Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.
Als ich eben Cynthias heutigen Eintrag zu NEID las (hier), dachte ich: dieser „Neid“ klingt ja fast „NIEDlich“ und wird böse erst, wenn er sich mit Mißgunst verbindet. Allein und für sich könnte er ein Stachel sein, um sich mehr anzustrengen und die bisher anerkannten Grenzen des eigenen Wachstums zu sprengen. Nach einer „Todsünde“ klingt das eher nicht.
Dagegen das griechische Wort für Neid, ΦΘΟΝΟΣ (Phthonos), bei dem sich das dumpf zischende Θ/Th (wie im englischen „Thank you“) ins Wort ΦΟΝΟΣ (Mord) eingeschlichen hat. Da ist Neid ein böses, die Eingeweide zerschNEIDendes, mörderisches Gefühl, das erst nach der Vernichtung des Beneideten zur Ruhe kommt. Die erste uns davon erzählte Geschichte ist die von Evas Erstgeborenem Kain, der seinen jüngeren Bruder Abel erschlug.
| Adam erkannte Eva, seine Frau; sie wurde schwanger und gebar Kain. Da sagte sie: Ich habe einen Mann vom Herrn erworben.
Sie gebar ein zweites Mal, nämlich Abel, seinen Bruder. Abel wurde Schafhirt und Kain Ackerbauer. Nach einiger Zeit brachte Kain dem Herrn ein Opfer von den Früchten des Feldes dar; auch Abel brachte eines dar von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Der Herr schaute auf Abel und sein Opfer, aber auf Kain und sein Opfer schaute er nicht. Da überlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich. Der Herr sprach zu Kain: Warum überläuft es dich heiß und warum senkt sich dein Blick? |
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Der Bruder wird von mörderischem Neid gegen den Bruder ergriffen, sowie er sich mit diesem vergleicht und dabei den kürzeren zieht. Der Vergleich ist es, der tötet. Auch Götter ermorden Menschen, wenn diese erfolgreich mit ihnen konkurrieren („Neid der Götter“). Mythologische Erzählungen dafür gibts zu Hauf. Vom Unglück der schönen Arachne, die wundervoll weben konnte und mit Athene in einen Wettstreit trat, erzählt Ovid in seinen Metamorphosen (den Text kannst du bei mir hier nachlesen). Auch eine abc-etüde habe ich der schönen Weberin gewidmet (hier), die sich, um dem mörderischen Neid der Athene zu entkommen, aufhängt – vergeblich. sie wird in eine Spinne verwandelt.

Arachne vor ihrer Verwandlung. Gemälde von Nikolaos Gyzi, Ausschnitt, gesehen 2018 in Athen
Noch schauerlicher ist das Martyrium des Marsyas, dem ich auch schon einen Beitrag gewidmet habe (hier): Er, der große Flötenspieler, wird von Apoll persönlich kopfüber aufgehängt und bei lebendigem Leib gehäutet, weil er im musikalischen Wettkampf gleichzog und Apoll das nicht dulden konnte.

Marsyas mit der Pansflöte
Solche Schrecknisse erwartet die Menschen, wenn sie mit den Göttern gleichzuziehen oder sie gar zu übertrumphen versuchen. Für ihre „Hybris“, was wörtlich „Beleidigung“ bedeutet, werden die besonders Begabten und/oder Strebsamen, die sich hohe Ziele setzen, fürchterlich bestraft. Diese Ansicht ist Allgemeingut und erfreut sich bis heute hoher Zustimmung. Akuell: Ich las „Musk, ein verglühender Ikaros“? Die neidische Menschheit reibt sich die Hände, weil dieser Überflieger sich womöglich-hoffentlich die Flügel verbrannte und abstürzt. Wer war Ikaros? dazu hier.

Herodot (5. Jh v.Chr) erzählte eine Anekdote zum „Neid der Götter“, die bei den antiken Autoren sehr beliebt war und die Schiller in seiner Ballade „Der Ring des Polykrates“ wortgewaltig ausgemalt hat. Die entscheidenden Zeilen der Ballade weiß ich bis heute auswendig:
Mir grauet vor der Götter Neide,
Des Lebens ungemischte Freude
Ward keinem Irdischen zuteil.…
Doch hatt ich einen teuren Erben,
Den nahm mir Gott, ich sah ihn sterben,
Dem Glück bezahlt ich meine Schuld….
Drum, willst du dich vor Leid bewahren,
So flehe zu den Unsichtbaren,
Daß sie zum Glück den Schmerz verleihn.
Noch keinen sah ich fröhlich enden,
Auf den mit immer vollen Händen
Die Götter ihre Gaben streun….
Hier wendet sich der Gast mit Grausen:
„So kann ich hier nicht ferner hausen,
Mein Freund kannst du nicht weiter sein,
Die Götter wollen dein Verderben,
Fort eil ich, nicht mit dir zu sterben.“
Und sprachs und schiffte schnell sich ein.
Früh werden wir gewarnt, immer schön bescheiden zu sein. Wer allzu hoch strebt und sein Glück allzu sehr genießt, den strafen die Götter. Auch Polykrates fand ein schreckliches Ende – wie jederman wusste bzw sich zusammenreimen konnte. Herodot erzählt davon: Nachdem Oroites ihn „eines Todes hatte sterben lassen, den ich nicht erzählen mag, hängte er ihn ans Kreuz.“ Recht ist ihm geschehen – dem Glückspilz!
In dem Fall war der Vollstrecker, der Polykrates‘ Glücksserie beendete, freilich kein Gott, sondern ein verräterischer Vasall. Und so ist es wohl meistens – um nicht zu sagen: in der Regel. Das Ergebnis aber schrieb und schreibt man den Göttern zu. Der „Neid der Götter“ ist – wie so manches andere – eine Projektion menschlicher Eigenschaften an den Himmel, der sich geduldig über uns ausspannt und als Projektionsfläche für all unsere frommen und bitterbösen Gedanken dient.
Die ganze Ballade lautet:
Friedrich Schiller
Der Ring des Polykrates
Er stand auf seines Daches Zinnen,
Er schaute mit vergnügten Sinnen
Auf das beherrschte Samos hin.
„Dies alles ist mir untertänig“,
Begann er zu Ägyptens König,
„Gestehe, daß ich glücklich bin.“
„Du hast der Götter Gunst erfahren!
Die vormals deinesgleichen waren,
Sie zwingt jetzt deines Zepters Macht.
Doch einer lebt noch, sie zu rächen,
Dich kann mein Mund nicht glücklich sprechen,
So lang des Feindes Auge wacht.“
Und eh der König noch geendet,
Da stellt sich, von Milet gesendet,
Ein Bote dem Tyrannen dar:
„Laß, Herr! des Opfers Düfte steigen,
Und mit des Lorbeers muntern Zweigen
Bekränze dir dein festlich Haar.
Getroffen sank dein Feind vom Speere,
Mich sendet mit der frohen Märe
Dein treuer Feldherr Polydor.“
Und nimmt aus einem schwarzen Becken
Noch blutig, zu der beiden Schrecken,
Ein wohlbekanntes Haupt hervor.
Der König tritt zurück mit Grauen.
„Doch warn ich dich, dem Glück zu trauen“,
Versetzt er mit besorgtem Blick.
„Bedenk, auf ungetreuen Wellen,
Wie leicht kann sie der Sturm zerschellen,
Schwimmt deiner Flotte zweifelnd Glück.“
Und eh er noch das Wort gesprochen,
Hat ihn der Jubel unterbrochen,
Der von der Reede jauchzend schallt.
Mit fremden Schätzen reich beladen
Kehrt zu den heimischen Gestaden
Der Schiffe mastenreicher Wald.
Der königliche Gast erstaunet:
„Dein Glück ist heute gut gelaunet,
Doch fürchte seinen Unbestand.
Der Kreter waffenkundge Scharen
Bedräuen dich mit Kriegsgefahren,
Schon nahe sind sie diesem Strand.“
Und eh ihm noch das Wort entfallen,
Da sieht mans von den Schiffen wallen,
Und tausend Stimmen rufen: „Sieg!
Von Feindesnot sind wir befreiet,
Die Kreter hat der Sturm zerstreuet,
Vorbei, geendet ist der Krieg.“
Das hört der Gastfreund mit Entsetzen:
„Fürwahr, ich muß dich glücklich schätzen,
Doch“, spricht er, „zittr ich für dein Heil.
Mir grauet vor der Götter Neide,
Des Lebens ungemischte Freude
Ward keinem Irdischen zuteil.
Auch mir ist alles wohlgeraten,
Bei allen meinen Herrschertaten
Begleitet mich des Himmels Huld,
Doch hatt ich einen teuren Erben,
Den nahm mir Gott, ich sah ihn sterben,
Dem Glück bezahlt ich meine Schuld.
Drum, willst du dich vor Leid bewahren,
So flehe zu den Unsichtbaren,
Daß sie zum Glück den Schmerz verleihn.
Noch keinen sah ich fröhlich enden,
Auf den mit immer vollen Händen
Die Götter ihre Gaben streun.
Und wenns die Götter nicht gewähren,
So acht auf eines Freundes Lehren
Und rufe selbst das Unglück her,
Und was von allen deinen Schätzen
Dein Herz am höchsten mag ergetzen,
Das nimm und wirfs in dieses Meer.“
Und jener spricht, von Furcht beweget:
„Von allem, was die Insel heget,
Ist dieser Ring mein höchstes Gut.
Ihn will ich den Erinnen weihen,
Ob sie mein Glück mir dann verzeihen.“
Und wirft das Kleinod in die Flut.
Und bei des nächsten Morgens Lichte
Da tritt mit fröhlichem Gesichte
Ein Fischer vor den Fürsten hin:
„Herr, diesen Fisch hab ich gefangen,
Wie keiner noch ins Netz gegangen,
Dir zum Geschenke bring ich ihn.“
Und als der Koch den Fisch zerteilet,
Kommt er bestürzt herbeigeeilet
Und ruft mit hocherstauntem Blick:
„Sieh, Herr, den Ring, den du getragen,
Ihn fand ich in des Fisches Magen,
O, ohne Grenzen ist dein Glück!“
Hier wendet sich der Gast mit Grausen:
„So kann ich hier nicht ferner hausen,
Mein Freund kannst du nicht weiter sein,
Die Götter wollen dein Verderben,
Fort eil ich, nicht mit dir zu sterben.“
Und sprachs und schiffte schnell sich ein.
Liebe Gerda
Danke für deinen Nachhilfeunterricht in griechischer Mythologie. Du rufst wieder wach, was wir vage nur aus unserer Uni-Zeit erinnern.
Ja, den Neid der Götter sollte man meiden. Das Gegenmittel lautet wohl Demut. Das sagte mir damals schon meine weise Psychoanalytikerin Olga von Ungern-Sternberg.
Mit herzlichen Grüßen vom Meer
Klausbernd 🙂
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Danke, Klausbernd, ja, eine gewisse Demut wäre angebracht. herzliche Grüße von Meer zu Meer
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Im Buddhismus spricht man ja von den 3 Geistesgiften, Neid ist eins davon. Ich empfand Neid schon zuvor als giftig. Und ja, er hat mit dem Vergleich zu tun. Neid und Eifersucht gehören für mich zusammen. Wer sich mit anderen vergleicht, wird immer wieder nur verlieren.
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Oh, auch gewisse Dichter raten zum bescheidenen Tun und Trachten, etwa Heine (Baue dein Hüttchen im Tal/und nicht auf dem Gipfel!) oder glaubwürdiger, denn Heine wurde nun nicht eben für seine außerordentliche Bescheidenheit berühmt, Mörike (Herr! schicke was du willt, Ein Liebes oder Leides; Ich bin vergnügt, daß beides Aus deinen Händen quillt. Wollest mit Freuden Und wollest mit Leiden Mich nicht überschütten! Doch in der Mitten Liegt holdes Bescheiden.). Und das scheinen mir gute Ratschläge.
Neidhart soll so viel bedeuten wie fest entschlossen, ein deutscher Vorname. Neid hier also eher positiv besetzt, wobei man das bekanntlich (und sehr deutsch) übertreiben kann mit der neidischen Entschlossenheit. Nidhöggr, der olle Drache, steht für Rachsucht und Schadenfreude, also Gefühle, die gerne in Gemeinschaft mit Neid auftauchen. Und aus dem Nid hat sich wohl auch das Wort Neid entwickelt. Was hieß, dass man dem Feind im Kampf schaden will (oh ja, wir sind immer noch hierzulande unterwegs…) und Eifer zeigt. – Moderner ist die Neiddebatte, ein Wort, das ausschließlich von jenen gebraucht wird, die deutlich mehr haben als andere oder ihren Wachhunden und die nichts abgeben wollen.
Es ist also durchaus zu diskutieren, in welchem Zusammenhang der Neid nur etwas Schlechtes ist. Und wo er vielleicht auch positive Kräfte weckt, die unter Umständen sogar positive Auswirkungen haben könnten (etwa die Webkunst und Musikinstrukente in die Welt bringen). Oder wo er nur zerstörerisch, auch selbstzerstörerisch wirkt.
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Wie können Göttr denn neidisch sein? Sollten sie denn nicht über den Schwächen der Menschen stehen?
Benehmen sich die Götter wie Menschen, tragen deren unglückselige Eigenschaften, dann sie sind wahrhaftig nicht anbetungswürdig in meinen Augen
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