Vielleicht erinnert sich der eine und die andere an einen Eintrag vom Sommer 2022, als ich Deutschland besuchte (Skizzen von unterwegs: Architektur und Kristall). In Düsseldorf mietete ich ein Appartement direkt neben dem Flughafen. Es nannte sich „Sky View“, und tatsächlich sah man aus dem verwinkelten Raum durch ein übergroßes hexagonales Fenster direkt in den Himmel. 
„Sogar den neuen Sichelmond erspähe ich“, so schrieb ich damals, „als ich, schlaflos, hinüberschaue zum blinkenden Kontrollturm des Flughafens. Um halb fünf in der Früh werde ich meinen Rucksack schultern, mich die Treppen hinunter tasten und durch den bleichen Morgen zum Flughafen hinüberwandern. Jetzt aber versuche ich, die Logik dieses spitzwinkligen Innenraums zu verstehen….
Auch das Haus, in dem ich dann in Kassel abstieg, zeichnete ich. Und mir schien fast, als gebe es eine Ähnlichkeit zwischen der verwinkelten Dachmansarde und dem eleganten alleinstehenden Haus. Als gebe es eine geheime Korrespondenz zwischen dem Inneren und dem Äußeren.

In dem Haus zeigte man mir einen Bergkristall, und ich zeichnete auch diesen.
Ich drehte und wendete den schönen Kristall in meinen Händen. „Dies Ineinander von Innen und Außen, Transparenz und Opazität fasziniert mich.“ schrieb ich damals. „Auch versuche ich zu imaginieren, wie dies lichtvolle Gebilde im dunklen Schoß der Erde heranwuchs. Woher wusste es vom Licht?“
Nachsinnend stellte ich ein geschliffenes Weinglas neben den trotz seiner geschlossenen Form lichtdurchlässigen Bergkristall. „Das geschliffene Glas mit dem Rotwein nimmt die Kristallstrukturen auf und öffnet, was geschlossen war, in elegantem rundem Schwung zu einem anderen Sky View – Himmelsblick.“ schrieb ich damals.
Und so schloss sich der Kreis der Betrachtungen, ohne dass ich weiter über die Frage nachdachte, „wie dies lichtvolle Gebilde im dunklen Schoß der Erde heranwuchs. Woher wusste es vom Licht?“
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Was ist der Bergkristall eigentlich? Es ist Quarz, und das heißt, chemisch gesehen, Siliciumdioxid (SiO2). In wasserlöslicher Form nennt man es auch Kieselsäure. Quarz gibt es „wie Sand am Meer“, nämlich im Sand, in den Kieseln und Gesteinen der Küsten, in den kahlen Hochgebirgen, im Erdinneren … überall. Es ist nach Feldspat das häufigste Mineral unserer Erde.
Aber wie kommt es zu diesen hexagonalen Formen im Bergkristall? Nun, Siliciumdioxid kristallisiert im trigonalen Kristallsystem, und das bildet zusammen mit dem eng verwandten hexagonalen Kristallsystem die hexagonale Kristallfamilie.
Hm. Ja. So. Und? Irgendwie lässt mich das unbefriedigt. Wenn ich solch ein Wunderding wie einen großen unbeschädigten Bergkristall in der Hand halte, kommen mir ganz andere Gedanken.
„Für die imaginative Anschauung zeigen sich die Quarzkristalle als Sinnesorgane der Erde, in denen sich der Kosmos, die Sternenwelt widerspiegelt. Die Quarzkristalle und ähnliche Bildungen, z.B. auch Schneekristalle, sind so etwas wie die Augen der Erde.“ (hier)
Ja, das spricht mich. Augen der Erde…in denen sich die Sternenwelt widerspiegelt … wie die Schneekristalle… Ja, dass verstehe ich. Aber vielleicht ist das nur eine dichterische Umschreibung ohne tiefere Bedeutung?
Andererseits, was heißt hier „nur„? Wie finden Dichter denn ihre Bilder? Durch Imagination! Wenn ihre Bilder „stimmen“, rühren sie etwas in uns an, und wir sagen: Ja, das ist stimmig. Stimmen sie nicht, lassen sie uns kalt, und wir finden sie an den Haaren herbeigezogen.
Das Bild vom Kristall als „Auge der Erde“, in dem sich die Sternenwelt spiegelt, rührt etwas in mir an, ich finde es stimmig, und so lese ich weiter in dem Text, dem es entnommen ist (Vortrag von Rudolf Steiner (hier, Lit.: GA 232, S. 57f).
Je länger ich lese, desto stimmiger erscheint mir das Bild. Ich zitiere:
Man wird erinnert an die Insektenaugen, diese Facettenaugen, die in viele, viele Abteilungen zerfallen, die dasjenige, was von außen an sie herandringt, in viele einzelne Teile zerlegen. Und man möchte sich vorstellen und muß sich eigentlich vorstellen, daß, so unzählige viele solche Quarz- und ähnliche Bildungen an der Oberfläche der Erde sind, das alles sind wie Augen der Erde, um die kosmische Umgebung innerlich zu spiegeln und eigentlich innerlich wahrzunehmen.
„Sky-View“, denke ich. Wie die Zufälle so spielen….Geht man ihnen nach, kann man eine Struktur entdecken. Da fallen dann inneres Erleben und äußere Wahrnehmung in eins, das eine spiegelt das andere und erzeugt es, indem es sich spiegelt.






Sehr schön, wie du diese beiden Sehweisen, die naturwissenschaftliche und die poetische miteinander in Beziehung setzt. Ich habe auch oft das Gefühl, dass nur eine Sehweise den Objekten nicht gerecht wird. Dazu gehört auch der Bergkristall, der Opal und und… Man kann ganze Geschichten in ihnen sehen.
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Danke ! Leider weiß ich nicht wem. 🤨
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Vielleicht liest du diesen Kommentar zweimal (wenigstens dem Sinne nach ähnlich), denn der erste war weg, als ich ihn abschickte.
Ich finde es sehr schön, wie du die unterschiedlichen Sehweisen unter denen man solche Objekte wie den Bergkristall betrachten kann miteinander in Beziehung setzt. Erst in der Mehrperspektivität wird man solchen Gegenständen gerecht…
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Ich lese es gern zweimal, lieber Joachim. Doppelt hält besser.:) Bei mir gibt es eine Einstellung (am Handy), wo ich von drei Bildchen WP wählen muss, dann erst wird meine Antwort mit meinem Account verbunden. Wenn deine Antwort verschwwindet, heißt das, dass sie bei mir auf Genehmigung wartet. Ich weiß wirklich nicht, was sich WP an immer neuen Dingen ausdenkt, um uns das Leben zu erschweren. (Aber ich will nicht zu laut schimpfen, denn ansonsten bin ich ja sehr zufrieden mit WP).
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Dies ist mein dritter Versuch. Irgendetwas mache ich falsch. Jedenfalls entspricht das, was das unter Anonymous angekommen ist, von mir.
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Ich hatte schon diesen Verdacht, danke, Joachim. Es ist ja das, was du täglich tust: die beobachteten Phänomene sozusagen von zwei Seiten angehen, von naturwissenschaftlicher und dichterischer. Wenn beide zum Einklang kommen, empfindet man die Richtigkeit. Das gelingt freilich nur, wenn die Naturwissenschaft aus der Anschauung und die Dichtung aus der genauen Beobachtung schöpft. So meine ich.
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Gerda. das ist „stimmig“ und sehr wahr und schön, was Du da gezeichnet und geschrieben und durch empfunden hast, finde ich. Und so fängt das Wort „Transparenz“ sich für mich mit lebendigem Inhalt zu füllen.
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Mich beschäftigt Zurzeit mal wieder das ‚Wesen der Steine‘ – nun ist ja Stein nict gleich Stein und ob die Quarze dazu gezählt werden, weiß ich noch nicht einmal, aber was mir unglaublich gut gefällt ist: „Man wird erinnert an die Insektenaugen, diese Facettenaugen, die in viele, viele Abteilungen zerfallen, die dasjenige, was von außen an sie herandringt, in viele einzelne Teile zerlegen. Und man möchte sich vorstellen und muß sich eigentlich vorstellen, daß, so unzählige viele solche Quarz- und ähnliche Bildungen an der Oberfläche der Erde sind, das alles sind wie Augen der Erde, um die kosmische Umgebung innerlich zu spiegeln und eigentlich innerlich wahrzunehmen.“ Danke für dieses Zitat, das bringt mich jetzt in meinen Betrachtungen und Forschungen weiter.
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Ich freu mich. Ja, natürlich ist Quarz ein Mineral, nach Feldspat das häufigste und älteste auf Erden. Mir fiel noch ein: „Sterne gibt es so viele wie Sand am Meer“ – auch da gibt es eine Entsprechung.
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