Was zuletzt geschah: Jenny findet Clara und schimpft mit ihr. Sie habe sich durch Kairos‘ Tricks zum Diebstahl verführen lassen. Clara ist, wie wir uns erinnern, das „innere Kind“ von Jenny, der verwahrlosten Jugendlichen.
Bevor wir weiteres über Tschinn und sein Bauprojekt erfahren, wenden wir uns zurück zu Wilhelm, der nach seinem Sturz von Danai, Abud und Hawi im Lager gepflegt wird (hier).
Danai (zu Abud):
Geh, hol mir von dem trocknen Kraut
das draußen wächst an einer Wand
des Schuppens, den er hingebaut,
Bring Wurzeln und den Samenstand
Abud geht hinaus und kommt mit einer Pflanze zurück.
Ich mache draus die Arzenei
die man auch Hexensalbe nennt.
Verrufen zwar als Hexerei
doch nicht für den, der sich auskennt.
Die wird von Schmerzen ihn befrein
und süße Träume ihm bereiten.
Sie wird auch gut tun seinem Bein,
und er wird durch die Lüfte reiten.
Und wenn er aufwacht, wird die Welt
ihm anders scheinen als zuvor.
‚Was hab ich mich denn so gequält?
Was war ich fürn verdammter Tor?‘
So wird er sprechen, denn sein Sinn
der stets auf Sicherheit bedacht
wird suchen höheren Gewinn
und nur noch, was ihn glücklich macht.
Und nun hinaus!
Dies ist jetzt Arbeit nur für Frauen
da sollt ihr Kerle nicht zuschauen!
Hawi und Abud gehen ab. Danai bereitet die Arznei und reibt Wilhelm damit ein.
Danai:
So komm herab. du Bringerin der Träume
nimm Wilhelm mit und führ ihn fort in Räume
wo er von Neuem wird geboren
und wieder findet, was er glaubt verloren.
Luise, das Traumwesen, erscheint.
Zeig ihm die Frau, die er einmal im Traume
geschaut, doch hat er sie verachtet
als er sie schon umfing am Meeressaume
Sein höhrer Sinn war noch umnachtet.
Isolde (Hedonie) schwebt herein, übergroß.
O Pein! O Lust!
in meiner Brust
tobt Schmerz
Mein Herz!
Du kommst zurück?
Ach komm und drück
den warmen Leib
an mich, du Weib!
Dass ich in dich
und du in mich
versinkst
ertrinkst …
Danai (zu Luise)
Zeig ihm, wer ihn zur Welt gebar
damit er fühlen kann das, was ihn trug
wie sicher er in ihrem Leibe war
als Herze noch an Herze schlug.
Wilhelm:
O weh, ich werde winzig klein
der Mutterleib, er saugt mich ein!
Doch nein!
ich fliege, schwebe über ihr
Sie gibt die volle Freiheit mir
und ist doch, wenn ich falle, da
mich aufzufangen, ja!
Ich fliege, schwebe, sicher, frei
Ich fürchte nichts, was es auch sei!
Ich brauche nichts zu sammeln, horten
bin ja versorgt an allen Orten.
Isoldes Brust ernährt uns alle
Gibt Milch für mich, den Feinden Galle.
Danai (zu Luise)
Zeig ihm die Lust, sich zu vereinen
mit der Geliebten, die ihn liebt.
so wird er lernen, möcht ich meinen
zu nehmen, während er doch gibt.
Luise: Der Traum geht fort, in höchsten Wonnen
ergießt der Mann sich in das Weib
Ihm ist, als gingen tausend Sonnen
ihm auf in dem erfrornen Leib.
Er muss eindringen, er muss stöhnen
und schreien wie ein brünstig Tier
er will versinken in der Schönen
und trinken sie in wilder Gier.
Sie nimmt ihn auf, sie biegt den Hals
sie hebt die Brust und zittert, bebt
sie schreit und jubelt ebenfalls
und fühlt im Innern, dass sie lebt!
So ists, wenn beide sich erkennen
und einer sich im andern fand
Es kann kein Schicksal jemals trennen
die, welche Aphrodite band
So ist der Tristan der Isolde
und sie dem Tristan anvertraut:
Der Tapfere und seine Holde.
Dagegen hilft kein Zauberkraut.
Abud und Hawi kommen herein.
Wilhelm (langsam zu sich kommend)
Wo bin ich? Und wo ist Isolde?
Hab ich sie denn erneut verloren?
Ist sie nicht mehr bei mir, die Holde
wozu ward ich denn dann geboren?
Was schaut ihr auf den Unglücksmann
der einsam mit kaputten Knochen
die er sich, er weiß selbst nicht wann
aus irgend einem Grund gebrochen?
Im Traume konnt ich fliegen, lieben
und fühlen, wie mein Herze schlägt.
Wo ist das Lustgefühl geblieben,
das leise sich im Leib noch regt?
O, heiß begehr ich, sie zu finden
die schöne liebe süße Braut
ich will mich ganz mit der verbinden,
die mir im Traume angetraut.
(zu Danai, Abud und Hawi)
Ihr müsst mir helfen, ich muss fort
zu einer Bucht; an jenem Ort
hab ich sie schon einmal getroffen.
Dort find ich sie, so will ich hoffen.
(Vorhang)
Welttheater, 4. Akt, 3. Szene: Wilhelm wird ins Lager transportiert. Die Gruppe trennt sich
Eine Szene in Deinem Welttheater, die ja nicht ausbleiben konnte…💘
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Stimmt, da es ja um „Geben und Nehmen im Ausgleich“ geht, „ohne das es gar kein Leben gäbe“, wie ich einmal schreibe. Die geschlechtliche Vereinigung – hier nur als Halluzination – ist der Prototyp dieses „Geben-und-Nehmens“, wobei sprachlich die weibliche als „gebende“ und die männliche als „nehmende“ bezeichnet wird: „Sie gibt sich hin“, „er nimmt sie“. Das Umgekehrte drückt sich dann aus in „er zeugt“ (gibt), „sie empfängt“ (nimmt): Wenn beides „im Ausgleich“ stattfindet, handelt es sich um eine „glückliche Empfängnis“.
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Wir sind aber nicht nur Körper. Aber das weißt Du natürlich auch, Gerda. Das muß ich Dir ja nicht sagen.
Außerdem ist es Dein Werk, und darin bist Du frei, und ich habe mich da nicht einzumischen. Ich wollte nur zeigen, daß ich es gelesen habe, mehr nicht.
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Selbstverständlich sind wir nicht nur Körper, das ist aber kein Grund, das Körperliche gering zu schätzen. Ich fühle mich durch deine Kommentare nicht „korrigiert“,sondern bereichert, denn sie geben mir Gelegenheit, noch das eine und andere Klärende zu meiner Sicht der Dinge zu sagen.
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Nein, das Körperliche ist sehr wichtig, sollte aber verbunden bleiben mit dem „Höreren“, Feineren.
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Und ein bisschen Parsifal ist auch noch dabei… Sehr schön!
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Danke, auch für die Parzival-Assoziation.
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Fein geschrieben. Obwohl die körperliche Vereinigung so natürlich ist, gehört sie mit zu dem was am „steifesten“, schwülstigten oder oft irgendwie sperrig beschrieben wird. Hier klar und fein.
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Ja, das stimmt. Es gehört trotz seiner Natürlichkeit zu dem „Unaussprechbaren“, es fehlt an Vokabular und Leichtigkeit. Das hat sich auch nicht wesentlich geändert, seit es in der Literatur von Beschreibungen wimmelt. Ich traute mich auch nur, weil ich es hier mit Papierfiguren zu tun habe, dazu habe ich es als „Halluzination“ bezeichnet, um ein bisschen von der realistischen Schilderung abzurücken.
Es ist schon etwas Merkwürdiges mit der „körperlichen Vereinigung“ (hach, diese Wörter!). Bei Tieren ist sie äußerlich ähnlich, aber dennoch vollkommen anders, da sie ausschließlich der Fortpflanzung dient. Beim Menschen aber ist sie, wenn sie gelingt, die höchste Form der Vereinigung und Lust. Drum sind die meisten Menschen wohl auch so versessen drauf oder umgekehrt so tief verletzt, enttäuscht und abwehrend, falls sie misslingt.
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Die Beschreibung diese Natürlichkeit ist wirklich ein Drahtseilakt. Umso schöner dann darüber zu lesen und weder peinlich berührt noch amüsiert zu sein.
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Danke, das freut mich sehr!
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