Welttheater, 4. Akt, 11. Szene. Tristan-Überlebenskünstler und Isolde-Hedonie (Halluzination)

Was zuletzt geschah: Jenny findet Clara und schimpft mit ihr. Sie habe sich durch Kairos‘ Tricks zum Diebstahl verführen lassen. Clara ist, wie wir uns erinnern, das „innere Kind“ von Jenny, der verwahrlosten Jugendlichen.

Bevor wir weiteres über Tschinn und sein Bauprojekt erfahren, wenden wir uns zurück zu Wilhelm, der nach seinem Sturz von Danai, Abud und Hawi im Lager gepflegt wird (hier).

Danai (zu Abud):

Geh, hol mir von dem trocknen Kraut

das draußen wächst an einer Wand

des Schuppens, den er hingebaut,

Bring Wurzeln und den Samenstand

Abud geht hinaus und kommt mit einer Pflanze zurück.

Ich mache draus die Arzenei

die man auch Hexensalbe nennt.

Verrufen zwar als Hexerei

doch nicht für den, der sich auskennt.

 

Die wird von Schmerzen ihn befrein

und süße Träume ihm bereiten.

Sie wird auch gut tun seinem Bein,

und er wird durch die Lüfte reiten.

 

Und wenn er aufwacht, wird die Welt

ihm anders scheinen als zuvor.

‚Was hab ich mich denn so gequält?

Was war ich fürn verdammter Tor?‘

 

So wird er sprechen, denn sein Sinn

der stets auf Sicherheit bedacht

wird suchen höheren Gewinn

und nur noch, was ihn glücklich macht.

 

Und nun hinaus!

Dies ist jetzt Arbeit nur für Frauen

da sollt ihr Kerle nicht zuschauen!

 

Hawi und Abud gehen ab. Danai bereitet die Arznei und reibt Wilhelm damit ein.

Danai:

So komm herab. du Bringerin der Träume

nimm Wilhelm mit und führ ihn fort in Räume

wo er von Neuem wird geboren

und wieder findet, was er glaubt verloren.

Luise, das Traumwesen, erscheint.

Zeig ihm die Frau, die er einmal im Traume

geschaut, doch hat er sie verachtet

als er sie schon umfing am Meeressaume

Sein höhrer Sinn war noch umnachtet.

Isolde (Hedonie) schwebt herein, übergroß.

Wilhelm

O Pein! O Lust!

in meiner Brust

tobt Schmerz

Mein Herz!

Du kommst zurück?

Ach komm und drück

den warmen Leib

an mich, du Weib!

Dass ich in dich

und du in mich

versinkst

ertrinkst …

Danai (zu Luise)

Zeig ihm, wer ihn zur Welt gebar

damit er fühlen kann das, was ihn trug

wie sicher er in ihrem Leibe war

als Herze noch an Herze schlug.

Wilhelm:

O weh, ich werde winzig klein

der Mutterleib, er saugt mich ein!

Doch nein!

ich fliege, schwebe über ihr

Sie gibt die volle Freiheit mir

und ist doch, wenn ich falle, da

mich aufzufangen, ja!

 

Ich fliege, schwebe, sicher, frei

Ich fürchte nichts, was es auch sei!

Ich brauche nichts zu sammeln, horten

bin ja versorgt an allen Orten.

Isoldes Brust ernährt uns alle

Gibt Milch für mich, den Feinden Galle.

Danai (zu Luise)

Zeig ihm die Lust, sich zu vereinen

mit der Geliebten, die ihn liebt.

so wird er lernen, möcht ich meinen

zu nehmen, während er doch gibt.

Luise:  Der Traum geht fort, in höchsten Wonnen

ergießt der Mann sich in das Weib

Ihm ist, als gingen tausend Sonnen

ihm auf in dem erfrornen Leib.

 

Er muss eindringen, er muss stöhnen

und schreien wie ein brünstig Tier

er will versinken in der Schönen

und trinken sie in wilder Gier.

 

Sie nimmt ihn auf, sie biegt den Hals

sie hebt die Brust und zittert, bebt

sie schreit und jubelt ebenfalls

und fühlt im Innern, dass sie lebt!

 

So ists, wenn beide sich erkennen

und einer sich im andern fand

Es kann kein Schicksal jemals trennen

die, welche Aphrodite band

 

So ist der Tristan der Isolde

und sie dem Tristan anvertraut:

Der Tapfere und seine Holde.

Dagegen hilft kein Zauberkraut.

Abud und Hawi kommen herein.

Wilhelm (langsam zu sich kommend)

Wo bin ich? Und wo ist Isolde?

Hab ich sie denn erneut verloren?

Ist sie nicht mehr bei mir, die Holde

wozu ward ich denn dann geboren?

Was schaut ihr auf den Unglücksmann

der einsam mit kaputten Knochen

die er sich, er weiß selbst nicht wann

aus irgend einem Grund gebrochen?

 

Im Traume konnt ich fliegen, lieben

und fühlen, wie mein Herze schlägt.

Wo ist das Lustgefühl geblieben,

das leise sich im Leib noch regt?

 

O, heiß begehr ich, sie zu finden

die schöne liebe süße Braut

ich will mich ganz mit der verbinden,

die mir im Traume angetraut.

(zu Danai, Abud und Hawi)

Ihr müsst mir helfen, ich muss fort

zu einer Bucht; an jenem Ort

hab ich sie schon einmal getroffen.

Dort find ich sie, so will ich hoffen.

(Vorhang)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Welttheater, 4. Akt, 3. Szene: Wilhelm wird ins Lager transportiert. Die Gruppe trennt sich

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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11 Antworten zu Welttheater, 4. Akt, 11. Szene. Tristan-Überlebenskünstler und Isolde-Hedonie (Halluzination)

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Eine Szene in Deinem Welttheater, die ja nicht ausbleiben konnte…💘

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    • gkazakou schreibt:

      Stimmt, da es ja um „Geben und Nehmen im Ausgleich“ geht, „ohne das es gar kein Leben gäbe“, wie ich einmal schreibe. Die geschlechtliche Vereinigung – hier nur als Halluzination – ist der Prototyp dieses „Geben-und-Nehmens“, wobei sprachlich die weibliche als „gebende“ und die männliche als „nehmende“ bezeichnet wird: „Sie gibt sich hin“, „er nimmt sie“. Das Umgekehrte drückt sich dann aus in „er zeugt“ (gibt), „sie empfängt“ (nimmt): Wenn beides „im Ausgleich“ stattfindet, handelt es sich um eine „glückliche Empfängnis“.

      Gefällt 1 Person

      • Gisela Benseler schreibt:

        Wir sind aber nicht nur Körper. Aber das weißt Du natürlich auch, Gerda. Das muß ich Dir ja nicht sagen.
        Außerdem ist es Dein Werk, und darin bist Du frei, und ich habe mich da nicht einzumischen. Ich wollte nur zeigen, daß ich es gelesen habe, mehr nicht.

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      • gkazakou schreibt:

        Selbstverständlich sind wir nicht nur Körper, das ist aber kein Grund, das Körperliche gering zu schätzen. Ich fühle mich durch deine Kommentare nicht „korrigiert“,sondern bereichert, denn sie geben mir Gelegenheit, noch das eine und andere Klärende zu meiner Sicht der Dinge zu sagen.

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      • Gisela Benseler schreibt:

        Nein, das Körperliche ist sehr wichtig, sollte aber verbunden bleiben mit dem „Höreren“, Feineren.

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  2. Stefan Kraus schreibt:

    Und ein bisschen Parsifal ist auch noch dabei… Sehr schön!

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  3. Mitzi Irsaj schreibt:

    Fein geschrieben. Obwohl die körperliche Vereinigung so natürlich ist, gehört sie mit zu dem was am „steifesten“, schwülstigten oder oft irgendwie sperrig beschrieben wird. Hier klar und fein.

    Gefällt 1 Person

    • gkazakou schreibt:

      Ja, das stimmt. Es gehört trotz seiner Natürlichkeit zu dem „Unaussprechbaren“, es fehlt an Vokabular und Leichtigkeit. Das hat sich auch nicht wesentlich geändert, seit es in der Literatur von Beschreibungen wimmelt. Ich traute mich auch nur, weil ich es hier mit Papierfiguren zu tun habe, dazu habe ich es als „Halluzination“ bezeichnet, um ein bisschen von der realistischen Schilderung abzurücken.
      Es ist schon etwas Merkwürdiges mit der „körperlichen Vereinigung“ (hach, diese Wörter!). Bei Tieren ist sie äußerlich ähnlich, aber dennoch vollkommen anders, da sie ausschließlich der Fortpflanzung dient. Beim Menschen aber ist sie, wenn sie gelingt, die höchste Form der Vereinigung und Lust. Drum sind die meisten Menschen wohl auch so versessen drauf oder umgekehrt so tief verletzt, enttäuscht und abwehrend, falls sie misslingt.

      Gefällt 2 Personen

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