Dora zum AchtenSiebten: Im Pantheon (Geschichte)

„Was machst du da?“ fragt Dora, meine Lektüre* unterbrechend, mit etwas quengeliger Stimme und gähnt. „Bist du müde?“ frage ich zurück. – „Ja. All dieses Herumgereise und Herumgelaufe in Museen und Galerien und dies Ach schau mal vor allem, was irgenwie alt ist…“ – „Aber es macht dir doch auch Spaß?“ frage ich. „Ja, schon. Nur weiß ich hinterher nicht, was ich davon halten und behalten soll. Ich bin ja nur ein winziges Jahr …“

Die letzte Reise hat bei Dora eine neue Nachdenklichkeit hinterlassen. Sie wird sich ihres Beginns und Endes bewusst, sie ordnet sich ein und bemerkt, dass ihr Hier und Jetzt nicht alles ist. Kurzum, sie beginnt, ihre Existenz zu relativieren. Solange sie hier bei uns in der ländlichen Provinz, unter Katzen und Blumen, zwischen den erhabenen Bergen und dem ewigen Meer ihre Erfahrungen sammelte, hatte sie nie solche Anflüge von Selbstwert-Unsicherheit. Rom hat für sie erstmals den Sack der menschlichen Geschichte weit geöffnet. Da steht sie nun winzig neben der Übermutter Roma im Pantheon und hält tapfer ihre Fackel hoch. Doch deren Strahl dringt nicht bis in die Höhe der alten Mutter.

im Pantheon, Rom

Was soll ich ihr sagen? Dass Zeit eine Illusion ist, weil alles in der zeitlosen Dauer (Ewigkeit) aufgehoben ist? Dass der gelebte Moment das einzig Wirkliche ist, weil nur er die Kraft hat, etwas zu bewirken? Dass Größe sich bemisst an der Ausdehnung und wohl auch an dem Inhalt, dem Streben, der Helligkeit des Bewusstseins – und nicht an Maß und Zahl?

Du, liebe Dora, bist als Zahl geboren, eine schöne, eine besondere Zahl zwar, Anno Domini 2022, aber eben nur eine Zahl, und so wärest du tatsächlich zu einem kurzen unbedeutenden Leben verdonnert, wenn …. ja wenn du es nicht schaffst, deine eigene Begrenztheit zu transzendieren. Halte nur den Suchscheinwerfer deines Geistes tapfer dem ewigen Licht entgegen, so wird es dir vielleicht gelingen.

im Pantheon, Rom

*Ich lese grad in Umberto Ecos Sulle spalle dei giganti (Auf den Schultern von Giganten), 2017 bei Nave di Teseo (Schiff des Theseus) verlegt und 2018 bei Ellinika Grammata in griechischer Übersetzung erschienen.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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2 Antworten zu Dora zum AchtenSiebten: Im Pantheon (Geschichte)

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Dies sind beides wirklich erhabene Momente, und zu dem 2. hat nun Dora auch einen erhellenden Beitrag geleistet! 👁️

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  2. Mitzi Irsaj schreibt:

    Da wird Dora etwas bewusst, dass viele irgendwann erschreckt, wenn sie begreifen wie wenig Zeit Ihnen nur zur Verfügung steht. Oder aber, wie viel Zeit sie haben. Ich hoffe für Dora und für mich, dass diese Erkenntnis eher auf Dauer keine Angst macht, sondern sie weiter das Leben mit offenen Augen genießt. An der Anzahl der Tage wird sich nichts ändern können. Aber vielleicht ist das am Ende gar nicht so schlimm.

    Gefällt 1 Person

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