Wieder führte uns unser Weg über das Bergdorf hinaus. Wandernd sprachen wir über dies und das: über Weltentwicklung, Erwartungen, Zukunftspläne, zumal dies der letzte Tag meines lieben Besuchers hier ist. Unsere Unterhhaltung wurde unterbrochen durch einen prächtigen Esel, der im Gebüsch neben der Landstraße graste. In einem Seitenbeutel steckten mehrere Laibe Brot, darüber hing ein Regenschirm. Seine Besitzerin war durch das Gebüsch verborgen.
Dora, kaum wurde sie des Esels ansichtig, sprang auf seinem Sattel und schrie „Hü, hott!“ Der Esel ließ sich dadurch freilich nicht aus der Ruhe bringen. Seine Besitzerin…
… kam hinter dem Gebüsch hervor und winkte mit einem Strauß roter Anemonen, den sie soeben von der Wiese gerupft hatte. Sie wollte uns die Blumen schenken und natürlich auch ein wenig plauschen. Woher? Wohin? Von welchen Eltern? Auch wir fragten, und so erfuhren wir: sie sei aus Altomira – das ist ein verlassenes Dorf in den Bergen, von dem ich gelegentlich erzählte (hier) – , aber sie lebe nun schon seit 30 Jahren hier unten. Unverheiratet und kinderlos, zwei Ziegen habe sie noch und den Esel – und liebevoll-zärtlich schaute sie zu ihm hin, worauf er sich neben sie stellte und bestätigend nickte, wie Esel es tun.
Später wurden wir vom Regen überrascht und suchten Schutz in einem aufgegebenen Busunterstand. Während der Regen aufs Blechdach und auf den Asphalt der Straße pladderte, redeten wir über dies und das: über die Weltentwicklung, die Flüchtlinge, die eigene Identität zwischen zwei Kulturen und was es bedeutet, Fremder in einem Land zu sein.
„Ist diese Frau, die lebt wie in uralten Tagen, nicht auch eine Fremde im eigenen Land?“ Alle rundum haben sich verändert, und so blieb sie allein mit ihren beiden Ziegen, dem Esel und dem spärlichen Feuerholz, das sie gesammelt und dem Esel aufgebunden hat, um es am Abend in den Holzofen zu werfen, die Kleidung zu trocknen und die alten Knochen zu wärmen, wie immer schon. Von den Weltläuften – nein, davon weiß sie nichts. Wozu auch.
Dies Bild von einem einfachen Leben hast Du uns wunderbar nahegebracht, Gerda.
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Ob es glücklich ist, dieses Leben?
Wer weiss das schon.
Heute sprach ich mit meiner liebsten über eine verwandte, die 80 Jahre lang geistig verwirrt in einer Anstalt lebte. Mit 15 fiel sie aus dem Rahmen, keiner wusste wieso. Jetzt sowieso keiner mehr.
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Ja, wozu auch?
Sie macht Feuer, anstatt das Grübeln wieder und wieder anzufachen…
Beinahe könnte man sich so ein Leben auch wünschen.
Ach, Quatsch, es ist schon gut so wie es ist.
Der Esel würde sicher auch dazu nicken…
Gruß von Sonja
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Ja, wozu auch, das wollte ich auch schreiben…
Sie lebt ihr eigenes Leben, so, wie es ihr gefällt und ein anderes wünscht sie sich nicht.
Ist es traumhaft oder wie ein Albtraum, wenn wir darüber nachdenken?
Nun ist Dein Sohn wieder im Heimatland seiner Mutter und ich frage mich, wie er sich da fühlt.
Wie ein Wanderer zwischen den Kulturen oder in beiden gleich gut aufgehoben?
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