Gestern schrieb ich über einen Verlust. Oder vielmehr, ich schrieb über Erinnerungen an Geselligkeit, Freude, Freunde, die plötzlich, als ich vom Tod eines mir lieben Menschen erfuhr, in großer Lebhaftigkeit aus dem Nebel der Vergangenheit auftauchten.
Heute passierte etwas ganz Ähnliches, aber nicht durch den Weggang, sondern durch die überraschende Ankunft eines lieben Freundes. Und das ist natürlich viel viel schöner!
Seit wievielen Jahren haben wir uns nicht gesehen, Christos? Irgendwann im vorigen Jahrhundert war es wohl zuletzt, wir besuchten dich in Stockholm, wohin du aus dem kleinen griechischen Dorf ausgewandert und ein geschätzter Geschäftsmann geworden bist. Mit dir hast du heute vier Männer gebracht, die wie du in Stockholm leben. Der eine ist aus Marokko gebürtig, aus dem Volk der Berber, der andere aus Algerien und in vielen Ländern herumgekommen, der dritte stammt aus der Türkei, Assyrer christlichen Glaubens, der vierte wurde in einem messenischen Dorf geboren, also gleich hier um die Ecke. Eure gemeinsame Sprache ist Schwedisch.
Da sitzen wir nun an unserem Küchentisch, sieben Menschen mit so und so vielen Geschichten, verständigen uns auf Englisch, ein wenig Französisch, Griechisch, ein wenig Deutsch… Wie freudig schlägt mein Herz, so viel Welt in unserem abgelegenen Haus empfangen zu dürfen!
Dass wir nicht in einer Taverne sitzen, ist dem Vorschlag meines Mannes zu verdanken. Als Ungeimpfte hätte ich ja nicht mitkommen können. So platzieren wir uns also am verlängerten Tisch, essen Pastizio aus der Taverne, prosten uns mit einem guten Weißwein zu, schließen mit einem süßen griechischen Kaffee und noch süßerem Baklava ab.
Nach dem Essen wandern die Gäste ein wenig herum. Der Mann aus Algerien bleibt vor dem Bild im Wohnzimmer stehen, das ich „Bir-bu-Rekba“ betitelt habe.
Die Farben gefallen ihm. Ja, sage ich, es ist eine Hommage an Paul Klee und seine Reise nach Tunesien. Da war Paul Klee, ein deutscher Maler, im Jahr 1914. Ins Bild eingeklebt habe ich Zeitungsausschnitte – ich suche sie, ja, hier sind sie, da ist die Rede von einem schweren Erbeben in Algerien, 1980, ja, ich war dort, nein, nicht damals, sondern 1963, als Algerien gerade frei geworden war und die begeisterten Menschen Ben Bellas Reden hören wollten … Der Mann als Algerien fotografiert verstohlen diese winzigen, kaum noch lesbaren Ausschnitte aus einer griechischen Zeitung über eine Katastrophe in seinem Heimatland, das seit langem nicht mehr sein Zuhause ist.
eine Tür fällt zu, eine andere öffnet sich – bestimmt ein besonders schöner Tag –
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Ja, Afrikafrau! es fühlt sich lebendig an in all dem Toten.
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Wie schön für Dich, Gerda!
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Wie schön!!! So viele Länder an einem Tisch 😀💖
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Ja, so etwas belebt! Sie haben alle in Schweden ihren Lebensschwerpunkt gefunden. Es ist unser Freund Christos, der sie verbindet und ihnen dadurch so eine Art Ersatzheimat schafft. Handel ist doch was Feines, wenn er „auf die alte Art“ geschieht. Sie kommen alle aus Ländern der Olive..
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wie wunderbar vielschichtig deine Beiträge sind, sie würden Bücher füllen! Ich war begeistert von August Macke und seinen Aquarellen, als ich jung war. Nie war ich in Nordafrika, doch der Süden bis hin nach Indien wurde meine Sehnsucht, und ich sah das, Farben und Licht, …so ein Reichtum!
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Herzlichen Dank! Ich war leider auch nie in Tunesien und Marokko oder Libyen. Sonst habe ich das Mittelmeer ziemlich umrundet: in Katalonien, Südfrankreich, Algerien und zweimal in Ägypten, dann weiter östlich in Israel und Jordanien sowie in der Türkei und natürlich in Griechenland, Italien und immer mal wieder Sizilien Nur einmal kam ich weiter nach Osten: Sri Lanka.
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Oh, und du hast einen guten Mann!!!!!!!!!!!!
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Das ist wahr! 🙂
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Solche Treffen sind sehr schön… die Welt könnte ein friedlicher Ort sein, wenn alle das wollten…
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Ja und Nein, liebe Leela. Ja, wenn es bedeutet, sich über alle Grenzen zu verständigen, nein, wenn es um Unheil, Kriege, Epidemien, dunkle Geschäfte geht . Es kommt auch bei internationalen Treffen immer auf die Inhalte an.
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im zweiten Fall ist Frieden nicht gewollt oder nur zu einem Preis, den der jeweils andere bezahlen soll und vermutlich nicht bezahlen will…
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Wie lebendig hast Du uns den Überraschungsbesuch bei Euch zuhause beschrieben, liebe Gerda. Wie schön und zufrieden klingen Deine Worte!
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Danke, Bruni! Ich freu mich, wenn meine Freude über diesen Besuch rübergekommen ist. Was ist ein Haus wert, das sich nicht dann und wann mit Besuchern füllt? Was ist ein Esstisch wert, an dem sich nicht Menschen versammeln und miteinander speisen, trinken, reden? Drum mag ich Tavernen so gern. Der griechische Philosoph Epikur hatte sich geschworen, niemals allein zu speisen. Immer lud er Gäste zu sich ein. (Natürlich war er wohlhabend und hatte Personal 😉
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