Liebe Myriade, dein Foto von zwei Tauben in einer Felswand lockert viele eigene Bilder – vor allem innere. Denn wie oft habe ich ihrem ruckenden zuckenden Gang zugeschaut, habe ihrem Gurren gelauscht, habe versucht, dem plötzlichen Aufflug eines Schwarms mit den Augen zu folgen. Wie Funken und Flammen beleben sie für einen kurzen Moment den Himmel. Und schon beruhigt sich der Schwarm wieder, sammelt sich, lässt sich nieder.
Alles ist gut, um sich niederzulassen. Warum nicht auch eine der summenden surrenden elektischen Leitungen, die sich über die Felder spannen und einen Überblick über das Land gestatten?
Und da ist er wieder, der magische Spiegel, und in ihm werden die Tauben sichtbar.
Schau nur, wie sie sich in der sonnigen Bläue wiegen! „Und die Tauben und Sonne geben sich Zeichen…“
Max Dauthendey
Tauben und Sonne
Über den Dorfdächern lebt nur der Rauch gekräuselt,
Und ein Windzug in einer herbstlichen Baumkrone säuselt,
Wenn eine Taubenschar mit rauschendem Flug
An die blendende Nachmittagluft anschlug.
In der Tauben Reich, über die braunen Dachziegel,
Ist die Sonne gesetzt als der Stille Siegel.
Und die Tauben und Sonne geben sich Zeichen,
Schreiben Schatten, die über die Dorfstraße streichen.
Weil alle Dinge sich verstehen müssen,
Wie geheime Verliebte, die sich verstohlen grüßen.
Die sich mit ihren Blicken stärken,
Und kein Mensch kann es sehen, noch merken.
Noch vieles hätte ich über die Tauben zu sagen: über ihre Liebe und Partnertreue und deren Ausbeutung durch die Brieftaubenzüchter, über ihr besonderes Schwarmverhalten, von dem wir uns einiges abschauen könnten, über die reiche mit der Taube verbundene Symbolik – von der Geburt der Aprodite über die Sintflut und die Christustaufe bis hin zu Picassos Friedenstaube -, über die wechselnden Formen des Zusammenlebens zwischen Mensch und Taube von der Opferung* über die Fütterung bis hin zur Vergiftung. Vielleicht mache ich ja noch einen Eintrag dazu. Vorerst will ich mich mit einem weiteren Gedicht begnügen.
Hoffmann von Fallersleben
Der Täubchen Tod
Vor meinem Fenster saßen sie,
Die lieben Täubchen beide;
Sie flogen aus, sie kehrten heim
Zu meinem Fenster beide.
Ein Iltis schlich zum Schlag hinein
Und würgte mir das eine;
Das andre nun am Fenster sitzt,
Ich seh‘ es an und weine.
Ich hol‘ ihm Wasser, hol‘ ihm Korn,
Das Alles will’s nicht haben.
Es tut, als wollt‘ es sagen mir:
Ich sollt‘ es nur begraben.
Es schloß sein Aug‘, und ich begrub’s
Dort unterm grünen Flieder.
Ich sah’s und seh‘ es immer noch
Und wein‘ auch immer wieder.
Ich mag deine von vielen Seiten kommenden Beiträge sehr gerne. Man sieht daran, was sich aus einem Impuls, einem Stichwort alles machen lässt ! Mir fällt zu deinem magischen Spiegel jener Spiegel ein, den Stendhal als Symbol für den Schriftsteller nimmt, den Spiegel, der durch die Welt rollt und alles, was er sieht zurück spiegelt. Die beiden Tauben auf dem Foto wohnen übrigens in geschichtsträchtigem Gemäuer. Im Zistersienserstift Zwettl, das seit seiner Gründung 1138 ununterbrochen genutzt wurde und das drittältestete Zisterzienserkloster weltweit ist. Allerdings haben sie sich nicht den schönsten Ort ausgesucht: sie wohnen in der antiken Latrinenanlage 😉
Herzlichen Dank für den Beitrag, er hüpft gleich auf die Liste
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interessante „impulsierende“ Hinweise – beide: der zu Stendhal und der zum Wohnsitz der Tauben – danke, Myriade.
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Einmal Lehrerin – immer Lehrerin 😉 🙂
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Vielen Dank für die Taubenbilder und die ergreifenden Gedichte, die du uns heute ausgewählt hast!
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Diese eine Taube mit dem Olivenbaumzweiglein im Schnabel, ja, die mag ich. Ansonsten lieber Schwalben, Habichte und Fledermäuse…
Als Motive der Kunst und auf diesem Tummelplatz in Venedig: Nun ja. Du sagst es.
Die Gedichte sind gar heftig schön!
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Mir sind auch die Tauben recht, liebe Sonja. Und die Spatzen… Nur mit den Elstern stehe ich ein bisschen auf Kriegsfuß, weil sie überhand genommen haben und andere Vogelarten verdrängen. (Ich tu ihnen aber nix).
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und wie oft sind sie nicht gern gesehen…
Der Täubchen Tod ist ein wundersam schönes inniges Gedicht, aber bei er wunderschönen antiken Gestalt eines Mädchens geht mir der Gedanke im Kopf herum:
Zuerst wiegt sie es in Sicherheit und dann wird es gemordet…
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Vielleicht ist das Mädchen die Taube, die erst in Sicherheit gewiegt und dann geopfert wird. Es ist eine Skulptur aus dem Artemis-Heiligtum, wo kleine Mädchen zu ehefähigen jungen Damen herangebildet wurden. Dazu gehörte auch, sein Liebstes zu opfern: seine Freiheit und Selbstbestimmung.
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Sein Liebstes zu opfern hört sich für mich ganz fürchterlich an und ich würde mich einem solchen Gebot total verweigern, liebe Gerda, denn es könnte ja auch bedeuten, daß ich evtl. mein Kind opfern müßte.
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Selbst das war nicht auszuschließen, wenn es den Göttern gefiel, liebe Bruni. Hier aber handelt es sich um das Opfer des Kindseins.
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Oh, das ist natürlich etwas sehr anderes 🙂
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Liebe Gerda, zum Lesen kam ich bisher noch nicht, – Du ahnst auch, warum….
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