Zimmerreise: N wie Nähmaschine

Nun wieder in Athen, bin ich in der glücklichen Lage, euch einen richtigen gewichtigen N-Gegenstand präsentieren zu können: eine alte Singer-Nähmaschine. Unsere Mutter besaß eine solche und produzierte mit ihrer Hilfe die schönsten Kleider und Mäntel. Insbesondere erinnere ich mich an einen Wintermantel, den sie für meine Schwester unter Verwendung von drei mottenzerfressenen Militärmänteln fertigte und einheitlich dunkelblau einfärbte – ein Prachtstück! Eigentlich war alles, was wir trugen, ihren geschickten Näh- und Strickkünsten zu verdanken.

Also dachte ich, ich tue gut daran, mir auch eine Nähmaschine zuzulegen, wer weiß, wozu sie eines Tages von Nutzen sein würde. Und so kaufte ich ein gutes altes Stück, das ich im Frankfurter „Möbelbunker“ sah. Dort erstanden wir fast unsere gesamte Frankfurter Wohnungseinrichtung, beginnend mit einem Küchenschrank, der noch sämtliche blau beschrifteten großen und kleinen Porzellanschuber für Mehl, Zucker etc besaß,  über einen wie eine verblühte Tulpe breit sich öffnenden rötlichen Sessel mit geschnitzten Löwenfüßen bis hin zu einer schweren gusseisernen  Druckpresse mit wunderbar glatten hölzernen Walzen. Leider kann ich mich nicht erinnern, um welchen der vielen Frankfurter Bunker es sich handelte.

All diese wunderschönen geschichtsträchtigen aber unpraktischen Dinge mussten wir in Frankfurt zurücklassen. Im Umzugscontainer der DB, die auf unsere Bestellung hin vor unserer Wohnung im Frankfurter Nordend abgestellt und von mir befüllt wurde, fanden Platz nur die alte Nähmaschine, die noch ungeöffneten Ikea-Möbelpackungen für Wohn- und Schlafzimmer, ein paar Bären und Bälle, Bücher, Kleidung, Bettzeug und sonstiger Klimbim. Mein Sohn trauerte um den Tulpensessel, ich um den Küchenschrank und die Druckpresse. Ja, auch um das selbst gebastelte Kinderhaus, in dem man nicht nur wohnen, sondern von dessen Dach man auch runterrutschen konnte… und vieles mehr. Aber in Athen, so hieß es, würden wir uns nur eine winzige Wohnung leisten können. Also mussten die schönen Dinge zurückbleiben.

Es kam dann anders. Wir fanden eine geradezu hochherrschaftliche Villa, die freilich ohne Bad und Heizung war, dafür aber großräumig, hoch und erschwinglich. Wunderbar hätten sich da der Tulpensessel mit den Löwenfüßen, der samtene Ohrensessel, die Druckpresse, der verschließbare Sekretär mit den großen und kleinen Schubladen, hinter denen sich Geheimfächer befanden…. gemacht. Aber was half das Jammern, es war alles schon verschenkt oder verkauft – bis auf die Nähmaschine.

Bei jenem Umzug erregte sie die Aufmerksamkeit der griechischen Zöllner. Für sie nur musste ich Zoll entrichten, denn sie schien ihnen wertvoll zu sein.  Was in den schmalen hohen Pappkartons sei, wollten sie noch wissen, und als sie hörten: „unser Wohnzimmer“, schauten sie mich nur mitleidig an und winkten den Rest durch.

Seither schmückt die Singer-Nähmaschine eine Ecke unserer Wohnung, wird aber höchst selten benutzt. Doch wer weiß: vielleicht kommt ja noch mal eine Zeit, wo ein solches mechanisches Prachtstück wieder hoch begehrt ist.  Und hübsch anzusehen ist sie allemal, zusammen mit dem unscheinbaren aber echten Thonet-Stühlchen, das es ebenfalls vom Frankfurter Möbelbunker bis in unsere heutige Wohnung schaffte.

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Dies ist ein Beitrag für die Zimmerreisen von Puzzleblume:

https://puzzleblume.wordpress.com/2021/06/25/einladung-zu-den-zimmerreisen-07-2021/

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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27 Antworten zu Zimmerreise: N wie Nähmaschine

  1. Wir hatte früher eine PFAFF

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  2. puzzleblume schreibt:

    Diese Nähmaschinen sind zwar nicht so raffiniert mit allen möglichen elektronischen Programmen ausgestattet, aber ich habe in der Schule immer gern an einer „Trampelmaschine“ genäht. Das weiche Wiegen der Trittfläche und das viel leichter bestimmbare Tempo haben mir meine Nähanfänge viel angenehmer scheinen lassen als die elektrische Maschine, die meine Mutter seit den 60ern hatte, nachdem sie zuvor alles mit der Hand genäht hatte, sogar Kleider.
    Mein erster Lebenspartner besass von seiner Miutter eine alte Maschine mit Kurbel, die sogar mit Jeans und Leder fertig wurde, ohne zu stockem oder die Nadeln abzubrechen. Mir haben auch immer die schönen Formen und Verzierungen gefallen.

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  3. Gisela Benseler schreibt:

    Gerda, jetzt habe ich erst Deine sehr spannende Geschichte dazu gelesen. Wie schön, auf diese Weise davon zu erfahren!

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  4. Finde ich wundervoll deinen Beitrag, es hat viele Erinnerungen in mir erweckt als meine Mutter an der Singer Naehmaschine meine Puppenkleider und vieles anderes nachts genaeht hat.

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  5. Mitzi Irsaj schreibt:

    Liebe Gerda, eine ganz ähnliche Maschine stand bei meinen Großeltern und jetzt bei meiner Tante. Dein Beitrag hat mich daran erinnert, dass ich mich unbedingt noch nach der Geschichte dieser Nähmaschine erkundigen muss. Liebe Grüße

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  6. Myriade schreibt:

    So eine habe ich auch, allerdings ist sie mit einer Glasplatte zum Tisch geworden. Ein schönes Erbstück von einer Großmutter

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  7. So eine alte Maschine,(Vorkriegsmodell) allerdings der Marke Pfaff, tut bei uns heute noch ihre gelegentlichen Dienste. Man muss sie nur immer sorgfältig ölen…

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    • gkazakou schreibt:

      Ölen … und benutzen. Als ich gestern den Deckel abnahm, fand ich drunter ein Stück roten samtigen Stoff, aus dem ich vor langer langer Zeit einen „Mummin“ fertigte, in der Hoffnung, damit eine kindliche Tragödie verhindern zu können. .Denn der Original-Mummin – ein weiches rotes Ungetüm mit zwei Zungen und sechs Ohren – hatte den Besitzer gewechselt und der neue Besitzer wollte ihn nicht an den Eigentümer zurückerstatten. Also nähte ich ein Double, Doch die Täuschung gelang nicht wirklich….

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  8. wildgans schreibt:

    Immer wieder dieses warme Heimkommgefühl, wenn ich hier lese!
    Meine Mutter war Schneiderin, nähte zeitweise viel, auch für uns Schwestern, beinahe Zwillingskleidung. Ich erinnere mich an zahlreiche Einkaufsgänge ins Posamenten- oder Stoffgeschäft. Später bestellte sie viel aus den kleinen Stoffpröbchenkatalogen.
    Deine Geschichte mit den zurückgelassenen und mitgenommenen Dingen werde ich nicht nur einmal lesen!
    Gruß von Sonja

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  9. signorafarniente schreibt:

    Ich habe wieder etwas dazu gelernt – besonders über Frankfurt. 😃 Danke für diesen schönen und informativen Beitrag. Besonders tut mir der Tulpensessel leid, den ihr zurücklassen musstet. Aber so ist es, wenn sich ein neues Kapitel im Leben öffnet. Irgendetwas muss man zurücklassen, bekommt aber dafür sehr viele, interessante, neue Dinge und Impressionen. 🌷
    Einen guten Start in die Woche und liebe Grüße aus dem Frankfurter Ostend, Eva

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    • gkazakou schreibt:

      Wie du sagst: es fällt schwer, etwas zurückzulassen, aber andererseits ist es auch notwendig und gut. In der Erinnerung gibt es ja all die schönen Dinge weiterhin. Sie hatten ihren Platz in der damaligen Welt – und da durften sie auch bleiben.

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  10. Leela schreibt:

    auch bei mir ruft deine schöne Geschichte viele Erinnerungen wach. Mama nähte fast alle Kleidung für uns Kinder selbst. Meistens nachts. Einmal hatte sie eine etwas unglückliche Idee: Aus rotgrün kariertem Stoff nähte sie mir ein Kleidchen und dazu ein Jäckchen und weil es ihr so gut gefiel, nähte sie den auf mich folgenden drei Schwestern dasselbe Kostümchen. Es sah wohl liebreizend aus, wenn wir so alle vier gemeinsam anstolziert kamen, hatte aber einen Haken: weil nichts weggeworfen wurde, das noch heile war und dieser Stoff von hoher Qualität nur so strotzte, konnte meine kleinste Schwester nachdem sie endlich mein Kleid aufgetragen hatte, nichts Kariertes mehr sehen…

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  11. pflanzwas schreibt:

    Diese alten Nähmaschinen sind solche Schmuckstücke. Wie schön und solide die noch gebaut waren! Und sie funktionieren ohne Strom. Auch toll oder?! Wir hatten auch noch eine mit Wiegetritt, vielmehr meine Großmutter. Ein ruhiges arbeiten war das. Schön, deine Geschichte.

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  12. Tja, die alten Nähmaschinen. Bei mir ist es die alte (Decker) Nähmaschine meiner Oma, die inzwischen aber – vom Nähblock befreit und einem wundervollen Ersatzstück in der Mitte – zum Tischlein umfunktioniert ist 🙂
    Sei froh, daß euch der Thonet-Stuhl erhalten blieb, liebe Gerda. Ich liebe die alten Kaffeehausstühle mit dem Wiener Geflecht. Hab sie mir auf Flohmärkten zusammengesucht 🙂

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    • gkazakou schreibt:

      Schön deine Erinnerungen. Ja, so manche haben die alte Nähmaschine zum Tisch oder zur Blumenbank umfunktioniert.Das ist auch schön und dekorativ. Obgleich ich sie nicht benutze, freue ich mich aber doch, dass meine funktonstüchtig geblieben ist – für alle Fälle. 😉

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  14. Ich kann gar nicht nähen, liebe Gerda…

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