Verständigung ist möglich II
Schacher
Sie trafen sich, aßen und redeten, der eine Russisch mit georgischem, der andere Englisch mit Oxford-Akzent. Sie verhandelten und verständigten sich über Ländereien, Grenzen und Einflusszonen. Großräumig ging es bei ihnen zu. Einen Landvermesser brauchten sie nicht. Um solche Kleinigkeiten mochten sich andere kümmern. Später.
Du willst Rumänien und Bulgarien? Und auch Ungarn? Nein, dear friend, das geht zu weit, Ungarn kriegst du nur zur Hälfte, und in Bulgarien behalten wir uns unseren Einfluss vor. Wieviel? 25%? Das ist zu viel, mein Lieber, sei nicht undankbar, wir halten dir die Deutschen vom Leib. 15 % müssen dir genügen. Dafür teilen wir uns Jugoslawien fifty-fifty. Und was machen wir mit Griechenland? Da reichen mir 10 %, genug, um einen Bürgerkrieg anzuzetteln. Na schön, daran habe ich nichts auszusetzen, aber gewinnen müssen wir. Versprochen? Versprochen.
Der eine entzündete seine dicke Zigarre und notierte das Ergebnis der Verhandlungen auf einer Serviette. Der andere zeichnete gegen. Die Völker aber lugten ihnen bleich und angstvoll über die Schultern: was schrieben die beiden Herren da? was wurde da verteilt? Ihr Haus, ihr Kartoffelacker? die letzte Kuh, die ihnen blieb?
Ach, ihr Dummchen! Wen interessiert eure Kuh, euer Haus und euer Kartoffelacker! Hier geht es um große Dinge. Um die Verteilung von Macht und Einfluss. Um eine neue Weltordnung.
So geschehen im Oktober 1944, in Moskau.
Churchill, der die Szene in seiner Autobiographie beschrieb, war es auch, der die Prozente auf der Serviette notierte (obige Abbildung, Wikipedia). Ob das nicht sehr zynisch sei, was sie da täten? will er den Führer der Sowjetunion gefragt haben. Die Antwort ist mir nicht bekannt.
Man könnte sagen: die Vermessung der Welt. Das kling weniger aggressiv als Aufteilung. Wir haben die Folgen ja alle erlebt und durchlebt.
Wo es genauso – aber mit exakt mit dem Lineal gezogenen Grenzen erfolgte, war die Aufteilung des Osmanischen Reiches und somit die Festlegung der Grenzen im Nahen Osten. Und die Probleme dort sind ja noch lange nicht bereinigt.
Ja, die sogenannten ORDNUNGSMÄCHTE, zu denen ja auch einmal Spanien und Portugal gehörten und auch das Deutsche Reich seine Ansprüche anmeldete und verwirklichte, oftmals mit Unterstützung der Kirche, waren nicht so der Segen für die Welt.
Klasse dargestellt, liebe Gerda!
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Danke, Werner, auch für die anregenden Wörter. Afrika ist auch so ein Kontinent, der unter dem Lineal-Aufteilungen bis heute leidet.,
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Hoher Gruselfaktor – umso mehr, als es Geschichte und nicht einfach nur eine Geschichte ist! Gänsehaut! Danke für dieses Lehrstück!
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Und wer glaubt eigentlich, dass es heute anders ist oder wäre? Oder kümmert das keinen? Mr. T. macht es doch vor.
Als ob das Wohl des Volkes, des einzelnen kleinen Menschen jemals interessiert hätte. Vielleicht muss „große“ Politik so sein, damit sie sich nicht verzettelt, kann sein, aber oft genug finde ich das einfach nur zynisch. 🤔
Danke dir, liebe Gerda.
Nachtgruß 😁🍷👍
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Geschichte à la Gerda! Interessant, welche Assoziationen Lyrifants Wortschnipsel bei diŕ auslösen.
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Das passt zu dem Buch, dass ich gerade lese. „Der Apfelbaum“ von Christian Berkel, in dem geht es um Einzelschicksale während und nach dem 2.Weltkrieg.
Die Vermessung der Welt war und ist kein Grund zur Freude.
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Die letzten 5, 6 Jahre habe ich viel Geschichtliches zu all dem gelesen. Immer wieder muß man wohl damit aussetzen, finde ich…jedes Buch setzt noch eins dauf.
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Bitteres trägst Du hier vor…
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Das Verschachern von Land und allem, was sich darin befindet…
*Die Völker aber lugten ihnen bleich und angstvoll über die Schultern*
Leider keine Fiktion, sondern die reine und kummervolle Wahrheit.
Schrecklich, daß es so etwas überhaupt geben kann.
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Die Sieger schreiben die Geschichte.
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