Heute las ich bei Susanne Berkenkopf als Wochendevise
„Habe nichts in deinem Haus, von dem du nicht weißt,
dass es nützlich ist oder dass du es schön findest.“
Am Ende der Woche wünscht sich Susanne eine Rückmeldung: „Was hat es ausgelöst?“ Meine spontane Antwort: Ich kann dir jetzt schon sagen, was es bei mir ausgelöst hat, liebe Susanne: widerstreitende Gefühle. Denn ich ertrinke in Unnützem, doch sobald ich es in die Hand nehme, um es wegzuwerfen, erkenne ich sein „künstlerisches Potential“, Da wird mir jedes Schnipselchen, jeder unbrauchbare Gegenstand zu einem Ausdrucksträger …
Tatsächlich hatte ich für diesen Montagsbeitrag Fotos von völlig überflüssigen und nicht mal schönen Dingen meiner Wohnung gemacht. Damit wollte ich in gewisser Weise anschließen an eine frühere Rubrik, die ich „Alphabet der Materialien“ nannte (Februar bis Mai 2018). Ich brach es damals ab, aber das Thema hat mich nie verlassen. Es behält seine Faszination, denn jedes Material gibt das Licht in verschiedener Weise zurück: anders Plastik, anders Eisen, anders Gewebe, anders Stein – und in jeder Kategorie unzählige Varianten… Und so reizt es mich oft, Alltags-Dinge in zufälliger Anordnung zu fotografieren.
- Bierglas mit eingeschliffenen Mustern
- Zeitung, Stein, Plastik
- Sofabezug, Kunst- und Naturfasergemisch
- Plastik, Holztisch
- Plastiktischtuch, Celophan,getrocknete Feigen
- Gusseisengeländer, Pappe
Schwer auszurangieren sind auch durchaus überflüssige und unschöne Dinge, an die viele Erinnerungen geknüpft sind. Und so beendete ich meine Antwort an Susanne so: „… und ich lege es beiseite, um es gelegentlich in ein Bild zu integrieren. Gestern ging es mir so mit Röntgenaufnahmen des zerbissenen Beins meines Hundes, der vor drei Monaten starb:“.
Die hatte ich nämlich aussortiert, um sie wegzuwerfen. Doch heute heftete ich sie an die Balkontür und fotografierte sie. Wahrscheinlich werde ich sie noch mal brauchen.
- 2014
- 2014
- 2015
Wie anrührend, die Röntgenbilder…
Mir gefällt dieses Thema, auch, wie du damit umgehst…
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Danke dir, liebe Sonja. Diese Röntgenbilder haben mir viele Grübleien beschert, da der Knochen am Gelenk gespalten blieb und ihm Beschwerden machte. Ein Chirurg riet uns zur Amputation. .
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Das sind großartige Fotos von deiner Alltagsaestethik. Besonders die Röntgenbilder haben es mir angetan, auch wenn sie ein bisschen schmerzen.
Liebe Grüße
Ulli
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Vielen Dank, Ulli! Nun schmerzen sie nicht mehr (anderes schmerzt noch).
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Wieviel besser die Bilder doch am Bildschrim zu betrachten sind. Und wieviel mehr Wirkung sie zeigen! Ein Smartphone ist zwar okay für einen ersten Eindrück aber es hat doch auch oft etwas von Husch, husch …
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Solche Röntgenbilder sind freilich eine Quelle der gemischten Gefühle. Das beginnt ja bereits bei ihrem Ursprung: auf der einen Seite die Beißerei, auf der anderen Seite eben auch die Fürsorge, ohne die solche Bilder gar nie entstanden wären. Und im Rückblick hängt an solchen Bildern dann eben weit mehr als die damalige Situation. Für mich sind diese leuchtenden Gebeine auch ein Sinn-Bild dafür, dass Tito auf irgend eine Weise als Lichtgestalt weiterlebt. 🌈
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aber ohne den Bruch! du siehst, dass der Knochen am Gelenk auch nach einem Jahr nicht angewachsen ist. Jetzt, in seiner Lichtgestalt, soll er nicht mehr hinken!!!
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Ja, der physische Körper kann irreversible Schäden davontragen. Aber ich gehe doch zuversichtlich davon aus, dass davon in lichteren Dimensionen nichts übrig bleibt. 🙂
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davon gehe ich aus, lieber Random. Wozu wäre der Tod sonst gut?
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Oh, oh …. ein Thema, das mich unentwegt begleitet. Es stellt sich mir dabei immer wieder die Frage, besitze ich die Dinge, oder besitzen sie mich? Ein weiteres Thema…. wer soll die Dinge entsorgen, wenn ich es nicht selber tue? Ich habe in den letzten Jahren häufig Wohnungen entrümpeln müssen. Das möchte ich niemandem zumuten. Der letzte Umzug war ein wunderbarer Aufräumprozess. Bis jetzt habe ich nichts vermisst. Im Gegenteil…. immer noch zuviel von Allem. Und da bin ich wieder bei Thoreau und seinem Leitsatz „vereinfache, vereinfache, vereinfache“ Dennoch erzählen deine Fotos Geschichten. Liebe Grüße Marie
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Danke, Marie! Es ist gar nicht das Besitzenwollen, das mich umtreibt. Ich könnte,glaub ich, jederzeit mit einer Tasche (darin Pass, Datenspeicher und Zugriff auf ein gefülltes Bankkonto) losziehen und würde nichts vermissen. Ich hänge an nichts wirklich. Das führt paradoxerweise dazu, dass mir alles mehr oder weniger gleich lieb ist und ich kein Auswahlkriterium habe, was ich behalten, was wegwerfen soll. Also bleibt alles undich vergesse es, bis er mir zufällig in die Hand fällt. Funktioniert wie das Gedächtnis. Oder wie in der Welt im allgemeinen. Soll ich die Elster wegschmeißen und den Spatz behalten? Die Rose ausreißen und den Löwenzahn behalten? oder umgekehrt? es ist alles gleichwertig, „gleichgültig“.
Aus praktischen Gründen werde ich freilich mal reinen Tisch machen müssen, bevor der Tod es für mich besorgt und die Erben das Nachsehen haben..
Ich habe eben bei Susanne (in ihrem Blog) kommentiert, und habe mir vorgenommen, in den nächsten Tagen täglich einen Sack mit Bildern, Sachen, Büchern, Dingen vor die Tür zu stellen, bis es hier leerer ist. Und mich dabei zu beobachten – wie es sich anfühlt.
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Lass uns wissen, wie es dir damit geht ja? Ich bin neugierig.
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Aber, wenn dein „Unnützes“ „künstlerisches Potenzial“ hat, ist es dann wirklich nicht nützlich? Ich finde, dass bei dieser Aufforderung der Begriff „nützlich“ weit gesteckt gehört.
Nachdenkliche Grüße
Christiane 🤔🍷👍
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alles hat künstlerisches Potential – das ist die Crux. Ob eine Plastiktüte, eine zerrissene Zeitung oder eine kostbare Kristallvase – egal. Wie in der Natur, wo du dich auch über verwelktes Laub beugst, seine Strukturen, Farben, sein Vergehen betrachtest, vielleicht es fotografierst – während der praktische Mensch die Maschine zum Aufsaugen des Laubs anschmeißt.
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Ja, klar. Dann musst/solltest du vielleicht eindeutige Prioritäten setzen – oder die Maxime in die Tonne treten, Stichwort: Nicht durch jeden Reifen springen. Oder mache ich es mir damit zu einfach?
Ich verabscheue übrigens Laubsauger, konkret wie prinzipiell 😉🍷
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ich verabscheue sie auch, ebenso wie alle Maßnahmen, die die Vielfalt des Lebendigen über einen Kamm (den der Nützlichkeit) scheren. Das bedeutet freilich nicht, dass ich gelegentlich aufräumen und wegschmeißen muss.
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Der praktische Mensch teilt mit, dass man mit Röntgenbildern versperrte Türen öffnen kann, bei entsprechender krimineller Energie oder wenn der eigene Schlüssel verschwunden ist oder drinnen steckt …
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dafür sind auch Kreditkarte und Personalausweis brauchbar. Hat man meist zur Hand, im Gegensatz zu Röntgenaufnahmen. Bei abgeschlossenen Türen gehts freilich nicht.
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Na, ich sehe, du kennst dich da aus 🙂
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Ich bin immer wieder fasziniert, Gerda, wie Du „Unnützes“, „Unschönes“, „Zufälliges“ ergreifst und in ein kleines Kunstwerk integrierst. Da denke ich auch für mich: besser nicht zu ordentlich sein und zweckrational leben. Alles kann zur Poesie werden, Du mußt nur kreativ sein.
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Das ist eine sehr schöne Rückmeldung, Hella, danke. Man kann Schönheit freilich auch anders kreieren, so wie du es tust; durch Auswahl und Arrangement, und nicht nur wie ich: durch Sehen.
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wie schön, dass durch meinen Gedankenanstoss all deine Unnützigkeiten nun einen Platz in der Blogsammlung fanden. So kommt das Vergessene ans Licht, kommt Leben und Würdigung hinein. gehört es doch aus meiner Sicht auch zum künstlerischen, das sehen zu machen, woran wir allzu gern blicklos vorüber eilen …
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Dankeschön, Susanne. Heute habe ich schon mal geübt, die Unnützigkeiten in der Wohnung zu verringern. Zwei Plastiktüten bis oben gefüllt warten auf den Abtransport. Meine Devise lautete: Tu so, als wärest du schon gestorben und schaue mit fremdem Blick auf die Dinge. Ausgenommen habe ich Dinge, die ich gegenwärtig im Gebrauch habe. Ich fand es anstrengend. zB hätte ich fast das Fieberthermometer weggeworfen, weil ich es momentan nicht brauche. 😉
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Letztens habe ich das Buch „Das Leben ist zu kurz für später“ gelesen. Die Autorin hat einen interessanten Selbstversuch gestartet und sich die Frage gestellt: „ was würde ich (anders) machen, wenn ich noch ein Jahr zu leben hätte“. Ich habe da interessante Anregungen gefunden … und es klingt, als hättest du das Buch auch gelesen, Gerda.
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Das Buch kenne ich nicht, wohl aber die Fage, die sich in meinem Alter (ich bin Jahrgang 1942) freilich anders stellt. Es macht keinen Sinn, mein Leben unter einer künstlichen Annahme neu zu programmieren, wo doch das Lebensende unausweichlich und nah ist. Worum es mir eher geht, ist, das Schwinden der eigenen Kräfte richtig einzuschätzen und mich zurückzunehmen, damit nicht alle Last den Erben bleibt. Gleichzeitig aber möchte ich aus der Fülle leben, voll leben, solange ich es eben kann.. Da gilt es eine gute Balance zu finden. Dafür war nun deine Anregung sehr hilfreich. Liebe Grüße!
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✨✨✨sehr weise, danke Gerda! ✨✨✨
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Die apodiktische Forderung: „Habe nichts in deinem Haus, von dem du nicht weißt,
dass es nützlich ist oder dass du es schön findest“ passt nicht zu künstlerischen Existenzen, es sei dennm, man erweitert den Begriff der Nützlichkeit auf die Artefakte, die sich eventuell einmal künstlerisch verwerten lassen.
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danke, Jules. das herkömmliche Nützlichkeitsprinzip lässt mich tatsächlich kalt. Heute hätte ich in einer Wegwerfanstrengung fast das Thermometer entsorgt, weil ich es nicht brauche (schließlich merke ich ja, ob ich Fieber habe oder nicht), aber einen Zweig mit vertrocknetem Eichenlaub steckte ich zurück zum Lorbeerblatt und zur Zypressenfruchtstand, weil ich mich ihrer nicht entledigen mochte.
Andererseits gibt es auch die Faszination der leeren Räume, und draußen ist ja alles jederzeit zu finden,… Wozu muss ich es horten? Also ich versuche grad, mir Klarheit darüber zu verschaffen. Da ich nicht allein lebe, kann ich, welches Prinzip auch immer, sowieso nur mit anderen Ordnungs- un Nützlichkeitsvorstellungen kreuzen
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So viele Dinge, an denen das Herz hängt! Und um uns wird es voller und voller. Und enger.
Im Urlaub habe ich immer mal gedacht, wie angenehm das Leben in einer Ungebung wäre, in der es nur das Allernötigste gibt. Die Konsequenz wäre: wegwerfen. Kann ich (noch?)nicht. Werde ich das je können?
Dein Plan, täglich einen Sack voll … vor die Tür zu stellen, hat sich in meinem Koof festgesetzt.
Wie es dir damit wohl gehen wird?
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Ich hab heut gleich mal zwei Säcke zusammengekramt und rausgeschafft. Aber ans Eingemachte (Bilder, Zeichnungen, Bücher, Tagebücher, Fotoalben, Erinnerungsstücke. Briefe ..) traue ich mich noch nicht. Das sind Dinge, von denen ich immer annahm, dass ich sie „im Alter“ womöglich mal brauchen würde, um mich zurückzubesinnen. Nun bin ich „im Alter“, habe aber gar keine Zeit und Kraft, mich da hineinzubegeben, da ja jeder Tag von neuem gelebt sein will, und die Abwärtsbewegung dem Ende zu sich beschleunigt. Gleichzeitig wachsen die Artefakte meines Lebens weiter an, obgleich ich schon lange fast nichts mehr kaufe und eine Kunst produziere, die mit mir stirbt.
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Kunst, Musik und Geschriebenes sind die Bereiche, die ich auch am schwierigsten auszusortieren finde. Und in deinem Fall, bei deiner permanent aktiven Kreativität, wächst die Menge sicher, auch wenn du vieles im Datenspeicher verwahrst und die Vorlagen wieder abräumst.
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