„O du Falada, da du hangest“, möchte ich bei dieser Karte ausrufen (Brüder Grimm, „Die Gänsemagd“). Die Welt steht Kopf. Und du kannst nichts tun, denn du bist kopfüber aufgehängt. Gefesselt. Hilflos. „Der Gehängte“: das ist Stagnation, ausgeliefert sein einer Macht, gegen die du nichts ausrichten kannst.
Die menschenfreundlichen Ausleger dieser Tarot-Karte versprechen dir: Wenn du dein Schicksal hinnimmst, anstatt zu zappeln – was sowieso nichts bringt -, kannst du zu tiefen Einsichten kommen.
Heute sind wir alle mehr oder weniger Gehängte. Und von allen Seiten tönt es: Geduld, Geduld! „Und so verzichtet Der Gehängte auf eine aktive Beeinflussung des Geschehens und vertraut darauf, dass am Ende alles gut werden wird“, lese ich. Wenn ich mich in das Verhängte ergebe und ausharre, werde ich erleuchtet werden, weswegen der Gehängte einen Heiligenschein trägt.
Ich liebe diese Karte nicht. Ich mag keine Verhängnisse, mag keine lang dauernde Stagnation und mag auch nicht aufgehängt sein. Aber ich gebe zu, dass sie die Weltsituation momentan großartig beschreibt: Weil wir, als Menschheit, nicht zur Besinnung kamen, steht unsere Welt Kopf. Und wurden gezwungen einzuhalten und die Dinge aus einer anderen Perspektive als der gewohnten zu betrachten. Vermutlich werden wir so lange hängen bleiben müssen („Geduld, Geduld!“), bis wir aufhören, davon zu träumen, dass wir es danach erst recht doll treiben werden! („Vier Eiskugeln statt nur zwei, bitte sehr!“). Nee, ist nicht drin, meine Lieben. Die Ressourcen der Erde sind fast erschöpft. Einsicht ist gefragt. So spricht der Herrscher, so spricht auch der Hohepriester. Der Narr trottet unbeeindruckt seines Wegs.
Aufhängen kannst du dich übrigens an jedem sich bietenden Ast, an Haken und Mauervorsprüngen. Auch an einem Sonnenkollektor. Endlos sind die Möglichkeiten.
Hauptsache, du bleibst ruhig hängen und denkst über deine Sünden nach. Dann wirst du, vielleicht, irgendwann erleuchtet.
Eine kleine Ergänzung (für Petra Pavlovski)

der Gehängte – umgedreht: Balletteuse


Gerda, soll man da weinen oder lachen? Auf jeden Fall bringst Du Auflockerung in etwas scheinbar Erstarrtes hinein. Kann man/frau angesichts solcher Situationen noch ernsthaft über Sinn und Unsinn und innere oder äußere Zusammenhänge diskutieren? Da muß ich doch erst einmal passen und Dich hängenlassen.
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Ich war nicht beim Bund, aber es ging kurz nach Wiederbelebung der Wehrmacht, sprich Bundeswehr, das Gerücht, den Soldaten würde ein Mittel namens „Hängolin“ in den Kaffee gegeben, um sie gegen irgendwelche Ablenkungen durch sexuelles Interesse zu feien. Scheint eine lange Tradition zu haben, dieses „Hängolin“, denn es wurde über die Jahrhunderte immer wieder verabreicht, damit die Leute sich hängen ließen und man ihnen ungestört die Taschen auf links drehen konnte.
Liebe Gerda, entschuldige diesen Vergleich, aber ich vertraue mir lieber selbst, als dass ich mich in eine wehrlose Position hängen lasse. Und die meinen, das schaukeln WIR schon.
Gruß aus aufrechter Position, Werner.
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Eine Vorstellung: Als Antwort kommt mir das Umkehren der Bilder. Da steht dann die Welt Kopf, wie du das beschreibst, aber die Gehängte wird zur Seiltänzerin, übt sich in graziler Balance , kann übers Wasser laufen und schwingt sich zur Hochform auf. 😉
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danke für deinen wohltuenden Kommentar, Petra. Ich were für dich ein neues Bild hinzufügen, ganz unten.
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Für diesen „Befreiungsakt“ herzlichen Dank zurück, Gerda! LG Petra Pawlofsky (schwer zu schreiben, ich weiß) 😉
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„kannst du zu tiefen Einsichten kommen.“, schreibst du. Klar, wenn der Kopf so tief hängt. Ungemütliche Lage über längere Zeit, wie es sich gerade andeutet. Dass ich den Kopf lieber oben trage, muss ich nicht extra erwähnen, dafür verzichte ich gerne auch auf tiefere Einsichten. Es ist bemerkenswert, wie es dir gelingt, auch in der aktuellen Situation beeindruckende Werke zu schaffen. Mich lähmt das alles ziemlich – lesen und rumspielen und im Garten werkeln sind die einzigen Tätigkeiten, die mir derzeit möglich sind. Ab und zu ist da plötzlich ein Gedichtansatz, oft allerdings nicht ganz „gesellschaftsfähig“. Eine klassische Hängepartie … hier schließe ich den Kreis.
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Hab eben, Petras Vorschlag folgend,den Gehängten umgedreht (im Eintrag ganz unten). Damit geht es dir sicher besser 🙂
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o ja, gute Idee … eine klassische Ballerina-Position hatte er ja sowieso schon eingenommen. ☺
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Ja, das ist die traditionelle Beinstellung dieser Figur. Man sieht darin eine 4.
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Irgendwie habe ich beim Lesen Gänsehaut bekommen. Lg. R.
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Lieber Rainer, ich habe eben, Petras Vorschlag folgend, ganz unten ein weiteres Bild eingefügt: der Gehängte ist nun eine Ballerina. Er steht aufrecht und die Welt steht Kopf. Das erheitert mich grad, vielleicht auch dich. Liebe Grüße zur Nacht.
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Stimmt, danke, das bringt mich besser über den Nachtdienst. Lg. R.
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Im Schach gibt es auch Hängepartien, wie Du sicher weißt. Man vertagt das Ergebnis auf den nächsten Tag.
Heutzutage nicht mehr üblich, denn man könnte ja seinen Computer anwerfen.
Bei Hängepartien jedenfalls konnte es passieren, daß der, der einen Zug versteckt „abzugeben“ hatte, nicht den besten abgab und man oft die ganze Nacht grübelte, wie es für einen weiterginge, wenn er den allerbesten Zug gemacht haben würde.
So wissen wir auch heute nicht, ob der Abgabezug der beste war…
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Tja, und dies scheint eine wirklich lange Hängepartie zu werden, lieber Gerhard. Machen wir uns auf etliche Verwerfungen gefasst.
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Der Gehängte, der mir keinen Schauder einflößt, denn ich sehe die Tanzposition der Beine und weiß doch noch nicht, daß Du ihn umdrehen wirst, aber das Umdrehen passt so gut zu meinen Gedanken. Das Aufhängen, das keine Flucht mehr zuließ, das Baumeln an einem Strick, was für eine entsetzliche drakonische Strafe und da baumelten sie nun, die armen Schlucker…
DEINEN Gehängten können wir umdrehen und Spitze tanzen sehen. Was für eine Erleichterung für die Gedanken.
Die Ressourcen der Erde sind fast erschöpft. Einsicht ist gefragt, so schreibst Du und ich hoffe,
die Einsicht nistet sich in all unsere Menschengedanken ein, liebe Gerda
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danke, Bruni, ich freu mich, dass das Umdrehen so gut bei dir angekommen ist. So denke ich mir die Funktion der Karten: Man zieht eine aus dem Pack und überlegt, was sie in einem auslöst. Und dann sucht man nach guten Lösungen.
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Sehr schön! Mit deinen Beschreibungen wird es auch für mich Tarot-Unkundigen eine ausdruckstarke Geschichte.
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Lieber Joachim, auch ich bin wahrhaftig keine Tarot-Kundige, aber ich mag das Fabulieren, mag auch Karten, die anregend sind. Man kommt auf dies und das, spielerisch. Als Vorhersage-Instrument würde ich sie nicht benutzen, da habe ich keinen Bezug zu..
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