Petra, Ulli, Marie und noch so manche und mancher andere haben letztens ihre hohe Wertschätzung für Steine zum Ausdruck gebracht. Ich selbst wollte schon lange den großen grauschwarzen Stein zeichnen, den ich irgendwann von einem Strand heimgeschleppt habe und der seither das Tischtuch auf dem Balkon beschwert, damit es nicht davonfliegt. Dass Frau Wildgans als Wort des Tages „schwarz“ gewählt hat, wusste ich da noch nicht.
Heute vormittag legte ich ihn vor mich hin, und es fanden sich andere schwärzliche Dinge dort auf dem Tisch, die ihm Gesellschaft leisteten:
- ein schwerer runder Aschenbecher mit hermetisch schließendem Deckel aus einem Indienshop – wir rauchen zwar schon lange nicht mehr, aber für BesucherInnen steht er halt immer dort -,
- eine runde dunkel matt lasierte Tonvase mit dem abgebochenen Zweiglein einer Sukkulenten in der engen Öffnung,
- das Transistorradio, das mein Mann stets bei sich hat,
- zwei schwarze Kulis wie der, mit dem ich zeichnete,
- die schwarze Schrift eines französischen Gedichts (Baudelaire? Apollinaire?) auf dem Wachstischtuch, das leichte Wellen schlägt. Leider weiß ich nicht, von wem es stammt (das Gedicht). Das Tischtuch ist eine Spende meiner Schwägerin.
Der Stein und die anderen Dinge sind „schwarz“. Was aber heißt schwarz? Wenn ich das Foto farblich verstärke, zeigt sich eine Flut von Farben.
PS. Durch Myriades Hinweis, dass es sich um ein Gedicht von Aragon handelt, fand ich bei planetlyrik.de eine ausgezeichnete Besprechung von Aragons Lebensgang und Teile der Übersetzung:
„Eine der schönsten Übersetzungen des Bandes, zugleich eine der ältesten, stammt von Friedhelm Kemp. Das Gedicht „Der Flieder und die Rosen“ beschreibt eine Episode des Krieges, die deutsche Offensive im Mai 1940, den Vormarsch der französischen Truppen über die belgische Grenze, den Jubel der Bevölkerung, die sich geschützt und befreit meint, das darauffolgende Debakel.
O Mond der Blütenfülle Mond der Metamorphosen
Mai wolkenlos und Juni von scharfem Dolch durchwühlt
Nie werd ich dies vergessen den Flieder und die Rosen
und jene die der Frühling in seinem Schurz behielt
Nie werd ich dies vergessen die tragische Verblendung
den lauten Jubelzug das Volk die Sonne groß
die Panzer Belgiens Gaben und liebende Verschwendung
der Straßen grellen Flimmer in summendem Getos
den Taumel des Triumphes voran ob Schlacht und Stürmen
das Blut das im Karmin der Küsse schon erglänzt
und jene Todgeweihten aufrecht in ihren Türmen
die ein berauschtes Volk mit Flieder rings umkränzt
Liebe Gerda, so konntest du durch die Bearbeitung das sichtibar machen, was uns die Physik über die Farben lehrt: schwarz, diese „Nichtfarbe“ oder auch „unbunte Farbe“ genannt, was du aber nun widerlegt hast, schwarz vereinigt alle Farben in sich, schluckt sie und gibt sie nicht mehr her, es sei denn Frau Kazakou lässt die Filter spielen 🙂
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Herzlichen Dank, Ulli. Ich hab gar keine Filter gebraucht, sondern es reichte, die schon vorhandenen Farben zu verstärken. Ich habe sie lediglich ein wenig verschoben.
Wie findest du denn Myriades Entdeckung?
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Die Entdeckung wird besonders dich freuen, ich kann ja leider kein französisch 😦
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ich habe eben eine teilweise Übersetzung gefunden und als PS im Text oben zitiert.
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muss ich nachher nochmal schauen – danke …
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Idyllisches Stillleben und die Frage nach dem Schwarz – es ist eben Alle-Farben, was du in der Bearbeitung interpretierend enthüllst, liebe Gerda. Und doch behält der Stein sein Geheimnis für sich.
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Vielleicht hat das Gedicht auf der Tischdecke nun das Geheimnis teilweise enthüllt. Myriade hat es identifiziert (ich hatte die lesbaren Zeilen vergebens im Netz gesucht). Im Schwarz des Steins – der unerträglichen Trauer und dem Zorn Aragons über die schmähliche Niederlage seiner Heimat – verbergen sich die Farben der Rosen und Lilien, die an jenem herrlichen Junitag 1040 blühten, als Flandern blutete und brannte. Blühen und bluten….
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Das müsste Luis Aragon sein. Zeile 5 und 6 🙂
POÈME LES LILAS ET LES ROSES
O mois des floraisons mois des métamorphoses
Mai qui fut sans nuage et Juin poignardé
Je n’oublierai jamais les lilas ni les roses
Ni ceux que le printemps dans les plis a gardés
Je n’oublierai jamais l’illusion tragique
Le cortège les cris la foule et le soleil
Les chars chargés d’amour les dons de la Belgique
L’air qui tremble et la route à ce bourdon d’abeilles
Le triomphe imprudent qui prime la querelle
Le sang que préfigure en carmin le baiser
Et ceux qui vont mourir debout dans les tourelles
Entourés de lilas par un peuple grisé
Je n’oublierai jamais les jardins de la France
Semblables aux missels des siècles disparus
Ni le trouble des soirs l’énigme du silence
Les roses tout le long du chemin parcouru
Le démenti des fleurs au vent de la panique
Aux soldats qui passaient sur l’aile de la peur
Aux vélos délirants aux canons ironiques
Au pitoyable accoutrement des faux campeurs
Mais je ne sais pourquoi ce tourbillon d’images
Me ramène toujours au même point d’arrêt
A Sainte-Marthe Un général De noirs ramages
Une villa normande au bord de la forêt
Tout se tait L’ennemi dans l’ombre se repose
On nous a dit ce soir que Paris s’est rendu
Je n’oublierai jamais les lilas ni les roses
Et ni les deux amours que nous avons perdus
Bouquets du premier jour lilas lilas des Flandres
Douceur de l’ombre dont la mort farde les joues
Et vous bouquets de la retraite roses tendres
Couleur de l’incendie au loin roses d’Anjou
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Sieh mal an! Danke, Myriade!!! Zeitgenosse von Apollinaire war Aragon, immerhin, und Dada auch, Kommunist, aktiver Widerständler. Das Gedicht, 1940 verfasst und 1941 in kleiner Auflage veröffentlicht, echot den Bltzkrieg der Deutschen Wehrmacht, die erst Belgien überrollt und wenig später auch Paris eingenommen hat. Aragon war in Flandern, setzte sich rechtzeitig nach dem Vichy-Süden ab….Hinter den lieblichen Bildern von Rosen und Lilien, im herrlichen Juni 1940, mit seinen fröhlichen Menschenmassen (foule) und der Sonne (soleil) verbirgt sich die Tragödie. (letzte Zeile: „Farbe der Feuersbrunst in der Ferne Rosen von Anjou.“)
Der schwarze Stein, immer schon sehr stark in seiner Wirkung, bekommt nun eine neue Bedeutung für mich. Einen schwarzen Stein hinter sich werfen – so sagt man in Griechenland, wenn man sein Land für immer verlässt.
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„Einen schwarzen Stein hinter sich werfen – so sagt man in Griechenland, wenn man sein Land für immer verlässt.“ Ah, das habe ich noch nie gehört, so ein starkes Bild …
Louis Aragon ist sowohl von seinem Werk als auch von seiner Biographie her ein sehr interessanter Autor. Manche seiner Gedichte wurden auch vertont und von berühmten französischen Chansoniers gesungen, wie Jean Ferrat oder Georges Brassens
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Danke, ja, ich sah Vertonungen auch dieses Gedichts bei Youtube. „richno mia mavri petra“ (ich werfe einen schwarzen Stein) sagten die Auswanderer, die ohne Hoffnung auf Heimkehr auswanderten. Darin drückt sich ein fester Entschluss aus: alles habe ich versucht in diesem Land, nun kann ich nicht mehr. Ich drehe ihm den Rücken zu und werfe einen schwarzen Stein auf den Haufen, der da schon liegt von all den anderen, die vor mir gingen.
Der Spruch ist allerdings sehr viel älter, sogar vor-homerisch, scheint es, als Mörder noch gesteinigt wurden. Später dann warf man – Auge in Auge mit dem Übeltäter – einen schwarzen Stein hinter sich, meist an Dreiwegen, wo es solche Haufen anscheinend noch gibt. Es war eine kollektive Verwünschung. Heute sagt man es auch, wenn man mit jemandem, den man einmal sehr geliebt hat, endgültig bricht und seiner Wege geht. „Ich reiße dich aus meinem Herzen, ich vergesse dich, ich habe dich nie gekannt“.
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Ein eindrucksvolles Gedicht, das ich nur in Bruchstücken lesen kann und da offenbart sich schon seine innige Schönheit
*Niemals werde ich die Schönheit der Gärten Frankreichs vergessen*
Im Grauen das Schöne sehen, wie schwierig/schrecklich muß es sein…
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Andererseits tritt aber auch das Schöne vor einem extremen, katastrophalen Hintergrund sehr intensiv hervor. Das ist wohl so wie die Kostbarkeit jedes Moments, wenn man weiß, dass etwas Schweres kommt, die Kostbarkeit des Lebens angesichts des Todes. Wären wir unsterblich wäre das Leben nicht mehr kostbar …..
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folge interessiert Steine viele gesammelt halben Koffer aus Bornholm . von überall her,
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Es geht eine Magie aus von Steinen. Und den schwarzen Schiefer liebe ich sehr. Seit einiger Zeit liegt ein Bruchstück auf meiner Fensterbank. Es hat feine Muster, die ich so gerne fortführen möchte. Nun….alles zu seiner Zeit. Hab einen schönen Samstagabend. Marie
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Danke, marie. ich weiß nicht, um was für einen Stein es sich hier handelt. Er ist sehr dunkel, dicht.
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Durch all die Worte, die ich dazu lese, liebe Gerda, habe ich nun das Gefühl, eine Zeichnung von Dir für die Ewigkeit zu sehen. Ein gar wundervolles Stillleben hast Du geschaffen mit dem Stein und dem Schwarz, das schon in leichter Verstärkung seine Farbigkeit zeigt. Aus was mag er bestehen?
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Es ist ein merkwürdiger, sehr schwerer Stein, ich nehme ihn immer wieder hoch, brauche beide Hände. Weiß leider nicht, woraus er ist. Basalt vielleicht?
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Vielleicht hast du recht, liebe Gerda
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