Schwarz: Stein, Vase, Aschenbecher (Zeichnung, vormittags 2019-07-13)

Petra, Ulli, Marie und noch so manche und mancher andere haben letztens ihre hohe Wertschätzung für Steine zum Ausdruck gebracht. Ich selbst wollte schon lange den großen grauschwarzen Stein zeichnen, den ich irgendwann von einem Strand heimgeschleppt habe und der seither das Tischtuch auf dem Balkon beschwert, damit es nicht davonfliegt. Dass Frau Wildgans als Wort des Tages „schwarz“ gewählt hat, wusste ich da noch nicht.

Heute vormittag legte ich ihn vor mich hin, und es fanden sich andere schwärzliche Dinge dort auf dem Tisch, die ihm Gesellschaft leisteten:

  • ein schwerer runder Aschenbecher mit hermetisch schließendem Deckel aus einem Indienshop – wir rauchen zwar schon lange nicht mehr, aber für BesucherInnen steht er halt immer dort -,
  • eine runde dunkel matt lasierte Tonvase mit dem abgebochenen Zweiglein einer Sukkulenten in der engen Öffnung,
  • das Transistorradio, das mein Mann stets bei sich hat,
  • zwei schwarze Kulis wie der, mit dem ich zeichnete,
  • die schwarze Schrift eines französischen Gedichts (Baudelaire? Apollinaire?) auf dem Wachstischtuch, das leichte Wellen schlägt. Leider weiß ich nicht, von wem es stammt (das Gedicht). Das Tischtuch ist eine Spende meiner Schwägerin.

Der Stein und die anderen Dinge sind „schwarz“. Was aber heißt schwarz? Wenn ich das Foto farblich verstärke, zeigt sich eine Flut von Farben.

PS. Durch Myriades Hinweis, dass es sich um ein Gedicht von Aragon handelt, fand ich bei planetlyrik.de eine ausgezeichnete Besprechung von Aragons Lebensgang und Teile der Übersetzung:

Zitat:

„Eine der schönsten Übersetzungen des Bandes, zugleich eine der ältesten, stammt von Friedhelm Kemp. Das Gedicht „Der Flieder und die Rosen“ beschreibt eine Episode des Krieges, die deutsche Offensive im Mai 1940, den Vormarsch der französischen Truppen über die belgische Grenze, den Jubel der Bevölkerung, die sich geschützt und befreit meint, das darauffolgende Debakel.

O Mond der Blütenfülle    Mond der Metamorphosen
Mai wolkenlos und Juni    von scharfem Dolch durchwühlt
Nie werd ich dies vergessen    den Flieder und die Rosen
und jene die der Frühling    in seinem Schurz behielt

Nie werd ich dies vergessen    die tragische Verblendung
den lauten Jubelzug    das Volk die Sonne groß
die Panzer Belgiens Gaben    und liebende Verschwendung
der Straßen grellen Flimmer    in summendem Getos
den Taumel des Triumphes    voran ob Schlacht und Stürmen
das Blut das im Karmin    der Küsse schon erglänzt
und jene Todgeweihten    aufrecht in ihren Türmen
die ein berauschtes Volk    mit Flieder rings umkränzt

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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19 Antworten zu Schwarz: Stein, Vase, Aschenbecher (Zeichnung, vormittags 2019-07-13)

  1. Ulli schreibt:

    Liebe Gerda, so konntest du durch die Bearbeitung das sichtibar machen, was uns die Physik über die Farben lehrt: schwarz, diese „Nichtfarbe“ oder auch „unbunte Farbe“ genannt, was du aber nun widerlegt hast, schwarz vereinigt alle Farben in sich, schluckt sie und gibt sie nicht mehr her, es sei denn Frau Kazakou lässt die Filter spielen 🙂

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  2. Ule Rolff schreibt:

    Idyllisches Stillleben und die Frage nach dem Schwarz – es ist eben Alle-Farben, was du in der Bearbeitung interpretierend enthüllst, liebe Gerda. Und doch behält der Stein sein Geheimnis für sich.

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    • gerda kazakou schreibt:

      Vielleicht hat das Gedicht auf der Tischdecke nun das Geheimnis teilweise enthüllt. Myriade hat es identifiziert (ich hatte die lesbaren Zeilen vergebens im Netz gesucht). Im Schwarz des Steins – der unerträglichen Trauer und dem Zorn Aragons über die schmähliche Niederlage seiner Heimat – verbergen sich die Farben der Rosen und Lilien, die an jenem herrlichen Junitag 1040 blühten, als Flandern blutete und brannte. Blühen und bluten….

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  3. Myriade schreibt:

    Das müsste Luis Aragon sein. Zeile 5 und 6 🙂

    POÈME LES LILAS ET LES ROSES
    O mois des floraisons mois des métamorphoses
    Mai qui fut sans nuage et Juin poignardé
    Je n’oublierai jamais les lilas ni les roses
    Ni ceux que le printemps dans les plis a gardés

    Je n’oublierai jamais l’illusion tragique
    Le cortège les cris la foule et le soleil
    Les chars chargés d’amour les dons de la Belgique
    L’air qui tremble et la route à ce bourdon d’abeilles
    Le triomphe imprudent qui prime la querelle
    Le sang que préfigure en carmin le baiser
    Et ceux qui vont mourir debout dans les tourelles
    Entourés de lilas par un peuple grisé

    Je n’oublierai jamais les jardins de la France
    Semblables aux missels des siècles disparus
    Ni le trouble des soirs l’énigme du silence
    Les roses tout le long du chemin parcouru
    Le démenti des fleurs au vent de la panique
    Aux soldats qui passaient sur l’aile de la peur
    Aux vélos délirants aux canons ironiques
    Au pitoyable accoutrement des faux campeurs

    Mais je ne sais pourquoi ce tourbillon d’images
    Me ramène toujours au même point d’arrêt
    A Sainte-Marthe Un général De noirs ramages
    Une villa normande au bord de la forêt
    Tout se tait L’ennemi dans l’ombre se repose
    On nous a dit ce soir que Paris s’est rendu
    Je n’oublierai jamais les lilas ni les roses
    Et ni les deux amours que nous avons perdus

    Bouquets du premier jour lilas lilas des Flandres
    Douceur de l’ombre dont la mort farde les joues
    Et vous bouquets de la retraite roses tendres
    Couleur de l’incendie au loin roses d’Anjou

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    • gerda kazakou schreibt:

      Sieh mal an! Danke, Myriade!!! Zeitgenosse von Apollinaire war Aragon, immerhin, und Dada auch, Kommunist, aktiver Widerständler. Das Gedicht, 1940 verfasst und 1941 in kleiner Auflage veröffentlicht, echot den Bltzkrieg der Deutschen Wehrmacht, die erst Belgien überrollt und wenig später auch Paris eingenommen hat. Aragon war in Flandern, setzte sich rechtzeitig nach dem Vichy-Süden ab….Hinter den lieblichen Bildern von Rosen und Lilien, im herrlichen Juni 1940, mit seinen fröhlichen Menschenmassen (foule) und der Sonne (soleil) verbirgt sich die Tragödie. (letzte Zeile: „Farbe der Feuersbrunst in der Ferne Rosen von Anjou.“)

      Der schwarze Stein, immer schon sehr stark in seiner Wirkung, bekommt nun eine neue Bedeutung für mich. Einen schwarzen Stein hinter sich werfen – so sagt man in Griechenland, wenn man sein Land für immer verlässt.

      Gefällt 5 Personen

      • Myriade schreibt:

        „Einen schwarzen Stein hinter sich werfen – so sagt man in Griechenland, wenn man sein Land für immer verlässt.“ Ah, das habe ich noch nie gehört, so ein starkes Bild …
        Louis Aragon ist sowohl von seinem Werk als auch von seiner Biographie her ein sehr interessanter Autor. Manche seiner Gedichte wurden auch vertont und von berühmten französischen Chansoniers gesungen, wie Jean Ferrat oder Georges Brassens

        Gefällt 1 Person

    • gerda kazakou schreibt:

      Danke, ja, ich sah Vertonungen auch dieses Gedichts bei Youtube. „richno mia mavri petra“ (ich werfe einen schwarzen Stein) sagten die Auswanderer, die ohne Hoffnung auf Heimkehr auswanderten. Darin drückt sich ein fester Entschluss aus: alles habe ich versucht in diesem Land, nun kann ich nicht mehr. Ich drehe ihm den Rücken zu und werfe einen schwarzen Stein auf den Haufen, der da schon liegt von all den anderen, die vor mir gingen.
      Der Spruch ist allerdings sehr viel älter, sogar vor-homerisch, scheint es, als Mörder noch gesteinigt wurden. Später dann warf man – Auge in Auge mit dem Übeltäter – einen schwarzen Stein hinter sich, meist an Dreiwegen, wo es solche Haufen anscheinend noch gibt. Es war eine kollektive Verwünschung. Heute sagt man es auch, wenn man mit jemandem, den man einmal sehr geliebt hat, endgültig bricht und seiner Wege geht. „Ich reiße dich aus meinem Herzen, ich vergesse dich, ich habe dich nie gekannt“.

      Gefällt 2 Personen

    • www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

      Ein eindrucksvolles Gedicht, das ich nur in Bruchstücken lesen kann und da offenbart sich schon seine innige Schönheit
      *Niemals werde ich die Schönheit der Gärten Frankreichs vergessen*
      Im Grauen das Schöne sehen, wie schwierig/schrecklich muß es sein…

      Gefällt 1 Person

      • Myriade schreibt:

        Andererseits tritt aber auch das Schöne vor einem extremen, katastrophalen Hintergrund sehr intensiv hervor. Das ist wohl so wie die Kostbarkeit jedes Moments, wenn man weiß, dass etwas Schweres kommt, die Kostbarkeit des Lebens angesichts des Todes. Wären wir unsterblich wäre das Leben nicht mehr kostbar …..

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  4. afrikafrau schreibt:

    folge interessiert Steine viele gesammelt halben Koffer aus Bornholm . von überall her,

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  5. mmandarin schreibt:

    Es geht eine Magie aus von Steinen. Und den schwarzen Schiefer liebe ich sehr. Seit einiger Zeit liegt ein Bruchstück auf meiner Fensterbank. Es hat feine Muster, die ich so gerne fortführen möchte. Nun….alles zu seiner Zeit. Hab einen schönen Samstagabend. Marie

    Gefällt 3 Personen

  6. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Durch all die Worte, die ich dazu lese, liebe Gerda, habe ich nun das Gefühl, eine Zeichnung von Dir für die Ewigkeit zu sehen. Ein gar wundervolles Stillleben hast Du geschaffen mit dem Stein und dem Schwarz, das schon in leichter Verstärkung seine Farbigkeit zeigt. Aus was mag er bestehen?

    Gefällt 1 Person

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