Blind portraitieren. Experimente mit Doppelgesichtern

Gestern habe ich, während ich Modell saß, meine Mitzeichnerinnen „blind“ portraitiert. Auf meinem Schoß hielt ich einen Block mit dünnem Papier, 21 x 28 cm, auf das ich, ohne auf Hand und Block zu schauen, schnell notierte, was ich von meinem Gegenüber wahrnehmen konnte. Auf diese Weise füllte ich rasch viele Blätter. Zu meiner Verwunderung zeigten sie bisweilen trotz  der Verzerrungen größere Ähnlichkeit mit meinen „Modellen“ als die sorgfältig und „sehend“ gezeichneten.

Ich fotografierte sie zweimal: heute im Freien, gestern bei Lampenlicht. Bei der gestrigen Serie scheint die jeweils darunter liegende Zeichnung durch. Heute habe ich, um das zu vermeiden, jeweils ein weißes Blatt untergelegt.

Zuerst die heutige Tageslicht-Serie.

Die gestrige Lampenlicht-Serie mit den durchscheinenden Zeichnungen forderte eine Bearbeitung geradezu heraus, um den zufälligen Effekt auf seine bildnerischen Eigenschaften hin zu untersuchen. Ich liebe bekanntlich das Experimentieren, bei dem ich Bewusstes und Zufälliges zu einer neuen Bildwirkung zusammenführe.

Der Varianten sind so viele, dass ich gezwungenermaßen eine Auswahl treffen muss. Doch welche? Nehmen wir zB die Skizze No 3, die, bereichert um die durchscheinende Skizze No.2, mit wenigen Kunstgriffen zu einem eindrucksvollen Charakterkopf wird.

Aber es hilft ja nichts, ich muss mich beschränken. Hier ein paar  Variationen, bei denen die unterliegende Zeichnung als farbige Linien oder in der SW-Fassung als Schattenmuster aufscheint (No. 4, No. 6, No. 1, No. 17):

Die folgenden acht Bearbeitungen sind von No. 18 abgeleitet, durch die No 17 hindurchscheint: Wer hat die Oberhand? In der ersten Reihe ist es die aktuellle Skizze No 18 – in der zweiten die durchscheinenden Skizze No 17 – in der dritten sind beide in etwas gleichberechtigt.

Faszinierende Doppelgesichter fand ich auch in anderen Fotos und betonte sie durch die Bearbeitung (No 9, No 2 und No 16). Bei No 2 scheint eine Maske zu zerbrechen und dahinter das „eigentliche“ Gesicht aufzuscheinen. Die dritte und vierte Reihe zeigen Varianten der Skizze No. 16 – einmal die „Maske“ mit der Brille, dann das Gesicht dahinter.

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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24 Antworten zu Blind portraitieren. Experimente mit Doppelgesichtern

  1. mannedante schreibt:

    Die Serie mag ich sehr. Viele Grüße Manne

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  2. Ulli schreibt:

    Grandios, Madame!!!

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  3. Mitzi Irsaj schreibt:

    Immer wieder mag ich deine Bearbeitungen. Die einzelnen Schritte verfolgen, zu lesen wie Zeichnungen entstanden sind und so direkt mitzuerleben was daraus wird. Einfach immer wieder schön. Die Doppelgesichter sind fantastisch.

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  4. Ule Rolff schreibt:

    Sehr interessant (und schön), vor allem die Doppelgesichter!

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    • gerda kazakou schreibt:

      Danke, Ule! Mir gefällt es auch, es hat diese Mischung aus Unbewusstem und Bewusstem, die mich in allem, was ich tue und um mich herum wahrnehme, fasziniert. da es sich um Portraits handelt, kommt noch eine Ebene mehr hinein als bei den Naturobjekten. nicht nur mein Unbewusstes (Blindzeichnen) und Bewusstes sind im Spiel, nicht nur die vorgefertigten Programme (Fotoshop) und die Zufälle des Belichtens spielen hinein, sondern es zeigen sich Doppelspiele im Objekt selbst: dem Menschen mit seiner Oberfläche und seinen Tiefenschichten.
      Mal sehen, ob und wie ich damit weitermachen kann.

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      • Ule Rolff schreibt:

        Interessant fände ich solche überblendeten Doppelporträts auch von zwei verschiedenen Porträts derselben Person oder von den Porträts schon lange zusammenlebender Paare. Wenn du die Zufälle nicht so liebtest, könntest du sie sogar als PS Ebenen unterschiedlicher Transparenz und Mischmodi miteinander verschmelzen.

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    • gerda kazakou schreibt:

      PS-Modi? das überfordert grad mein technisches Verstehen. Ich habe vom Photoshop nur die aller-einfachsten Funktionen gelernt, nicht mal mit layers weiß ich zu arbeiten. Es ist vielleicht an der Zeit, mein Wissen zu erweitern….
      Ich habe ebenfalls überlegt, die Kombination der beiden Gesichter mehr zu steuern und dachte daran, als nächstes mehrere Skizzen von mir selbst anzufertigen und mit ihnen zu experimentieren. Aber auch die Idee, es mit zwei eng verbundenen Menschen zu tun, will ich im Kopf behalten. Danke, Ule, für die Anregung.

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      • Ule Rolff schreibt:

        Wenn du Photoshop benutzt, wäre es für dich vielleicht ergiebig, mal Anleitungen zur Arbeit mit Ebenen (=layers)zu erkunden. Eigentlich eine völlig simple Sache: du kopierst ein Foto und fügst es in ein anderes ein (über „Bearbeiten“)- schwupp, liegen sie als Ebenen übereinander. Wenn du die obere über einen Regler transparenter machst, schimmert die untere durch, und das kannst du noch verschieden mischen … letztlich geht auch das dann über Experimentieren, Variieren … was du mit Filtern sowieso immer machst.

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    • gerda kazakou schreibt:

      Herzlichen Dank, ich guck mal. Aber zunächst bleibe ich bei meiner „handwerklichen“ Technik, die mehr Raum für Zufälle lässt. Sonst besteht die Gefahr, dass das Ergebnis zu sehr intellektuell gesteuert wird.

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  5. Agnes Podczeck schreibt:

    Tolle Ergebnisse mit viel Seele und Ausdruck!
    Liebe Grüße

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  6. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Wirklich ganz famose Doppelgesichter, liebe Gerda. Vielleicht bist Du hier einer neuen Kunstrichtung auf der Spur! Wundern würde es mich wirklich nicht.

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