Zum Tempel des Epikurios Apollon von Bassae, in die Bergwelt Arkadiens, fuhren wir – drei Frauen – vorgestern. Ich wusste, was mich erwartete, und mein Herz war nicht fröhlich, sondern schwer. Denn der gewaltige sonnenhungrige Bau steckt seit 30 Jahren unter Zeltplanen, angeblich provisorisch, solange die Renovierung anhalten würde. Ich habe ihn vorher besucht, frei und mächtig atmete er in der düsteren Bergwelt. Zwar, die großartigen Reliefs des Frieses hat schon 1815 ein eifriger Herr namens Charles Robert Cockerell ins British Museum nach London geschafft, wo sie neben den Friesen der Akropolis und etlichen marmornen Göttern aus Hellas ein trauriges Schattendasein führen. Aber immerhin war der Bau, der bereits Anfang des 20. Jahrhundert wieder aufgerichtet wurde, noch frei zugänglich, und zwischen den schweren Säulen erblickte ich die wabernden Schwaden des Nebels jenes Novembertags.
(Fotos von einem Video, das den Fortgang der Renovierungsarbeiten zeigt. Zum Vergrößern bitte anklicken)
Beim nächsten Besuch dann die große Enttäuschung, ja Wut: der Löwe im Käfig. Die riesigen Glieder in starren Korsetten aus Metall, verschraubt, vernagelt. Warum? Die gemauerte Basis des Tempels stehe auf mürben Felsplatten, die Säulen drohten zu stürzen und zu zerbrechen, erfuhr ich, und für eine gründliche Sanierung fehlte das Geld (und vielleicht auch der Wille). Das Zelt habe die französische archäologische Gesellschaft spendiert, es sei eine einmalige bemerkenswerte Konstruktion. Nun, vielleicht.
Vorgestern also sah ich, dass die Renovierungsarbeiten seit langem zum Stehen gekommen sind. Das Gerüst beginnt zu rosten, das Zeltdach hat Löcher. So wärmte und beschien die liebe Sonne jedenfalls ein paar Flecken der Säulen, was mich irgendwie tröstete.
Wer mehr über die Entstehung und Bedeutung des Tempels erfahren will, findet etliche Berichte im Netz, zB hier und hier. Ich aber gehe hinaus, wandere umher, treffe irgendwann meine beiden mitreisenden Freundinnen, auch sie allein, und ohne ein Wort zu wechseln finden wir uns auf Steinplatten unter Eichen ein, sinnen, meditieren, bis eine sich zu der anderen setzt, drei Rücken lehnen sich aneinander, sechs Hände fassen sich und legen sich fest auf die Steinplatte, als seien sie verankert, drei Hinterköpfe begegnen sich, wir werden eins, zusammengeschweißt zum heiligen Dreifuß wie der, der der Pythia von Delphi zum Weissagen diente.
All das geschieht absichtslos, lautlos. Lange bleiben wir so, nur die Köpfe trennen sich irgendwann, während der Körper als feste solide Basis bewegungslos verharrt. Keine kann und will sich lösen, und wir mögen wohl einen merkwürdigen Anblick geboten haben den Kindern, die vom Tempel heruntergelaufen kamen, um zu spielen.
Wir sind uralt, zusammengewachsen, auf der Steinplatte verankert, nur unsere Köpfe drehen und wenden sich leicht. Mein Gesicht ist nach Osten gerichtet, auf die Flanke des verhüllten Tempels. M schaut nach Südwest, P nach Nordwest. Jede überblickt einen Kreisabschnitt von 120 Grad, und so teilen wir uns den Weltenkreis, den wir nur gemeinsam erfassen können.
(Fremdes Foto)
Ich denke: Wir sind Hekate, die Dreifaltige Göttin, Bewacherin des Dreiwegs. Auf unseren Häuptern tragen wir die Schale mit dem irdischen Feuer dem himmlichen Feuer entgegen. Wir sind die Mütter, die den Dreifuß bewachen: „Göttinnen thronen hehr in Einsamkeit, um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit“ (Faust II, 1. Akt gegen Ende).
Irgendwann lösen wir uns von einander, tief entspannt. Wir beginnen wieder herumzuwandern, treffen uns wie selbstverständlich an einer gewaltigen Eiche.
Ihr Stamm ist im unteren Teil merkwürdig verformt und hohl, doch widersteht sie jedem Sturm, fest und unerschütterlich in ihrer Höhe. Wenn du dich gegen ihren Stamm lehnst, fühlst du ihre Kraft.




So träumt sich jedes Zeitalter seinen Tempel. Die Aufklärung weiß und rein und nackt, vielleicht zerbrochen, eine protestanische Mahnung der Vergänglichkeit. Das Stählerne Zeitalter will ihn fest verschraubt, zur Ewigkeit mit eigener Leistung umklammert.
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Der Witz ist, dass ausgerechnet in unserer „schnelllebigen Zeit“ das Museale, Mumifizierte, Tote so viel Beifall findet und natürlicher Verfall als Bedrohung empfunden wird. So bei Gebäuden, bei Kunstwerken, auch beim menschlichen Körper. Nie wurde so viel konserviert wie heute.
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Souvenirs an die gute alte Zeit, die nie mehr zurückkehrt. Interessante Eindrücke hatte ich in Asien. Ohne Offenbarung und Reformation ist der Tempel dort noch in seiner ursprünglichen Bedeutung erhalten: Als geographischer Orientierungspunkt für die unzähligen Devotionialenhändler und Imbißbuden. Der Religiöse akt hat immer Volksfestcharakter. Besonders skurril in Japan: Die verbinden diese lebendige Ursprünglichkeit mit unserer melancholischen Nostalgie.
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Diese Funktion haben auch die Kirchen, deren Namenspatrone wie schon in der Antike die diversen Tempel, mit Volksfesten geehrt werden. Da werden Devotionalien verkauft, Brot, Salate und Braten ausgegeben, Musik gemacht ….Die älteren Griechinnen orientieren sich immer noch vor allem an Kirchen. Bei der Hl Anna musst du links, dann immer gradeaus bis zum Hl. Nikolaos (die jungen Männer werden eher eine Shell-Tankstelle erwähnen)….Ebenso: viele Athener Metro-Stationen und sogar ganze Stadtteile sind nach Kirchen benannt (Ag. Marina, Ag. Demetrios etc)
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Ich vergaß fast, daß es noch ein orthodoxes Christentum gibt. Ja, im Vorbeigehen bemerkte ich dort eine etwas buntere Glaubenstradtion. Als mehr oder minder Norddeutscher bin ich vom Christentum eher das museale und mumifizirende gewohnt, selbst bei den Rheinländer Katholen strahlt der Tempel immer noch sehr dominante und abschreckende Strenge aus.
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Zu Orthodoxen Kirchen schau mal hier:
https://www.google.gr/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwiY15GB4sDVAhVIcBoKHZrYCJoQFgglMAA&url=https%3A%2F%2Fde.wikipedia.org%2Fwiki%2FOrthodoxe_Kirchen&usg=AFQjCNGEZVxcEv9Gh4N80sB6ZeGcwoV_aQ
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Unerschütterlich, mütterlich: die Eiche.
Vergängliches durch Frevel und Mangel an Willen und Geld könnte verschwinden. Immer weniger Menschen, glaube ich, würde das interessieren. Man kann raten, woher die Irreführung und Betäubung der Geister kommt…
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Die mütterliche Eiche – ja. Diese ist innen hohl, als habe sie ein Kind ausgetragen ….
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Auf wohltuende Weise spirituell.
Gerne gelesen.
Euer Dreifuß könnte eine neue Körpertherapieübung sein – zur Heilung, zum Ruhigwerden.
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Danke, Gerhard. Mir gefällt grad das Spontane, das Unabgesprochene. Da gehen an solchen Orten sehr alte Menschheits-Schichten in Mitschwingung, wenn man sich drauf einlässt.
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Man lässt den Geist des Ortes durch sich strömen.
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Ja.
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Liebe Gerda, ich wurde beim Lesen auch ganz traurig, Apollo der Sonnengott von der Sonne abgeschnitten! Wie traurig!
Die Fotos sind eindrucksvoll.
Grüße aus dem regnerischen Berlin, Susanne
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Danke, Susanne. Zum Glück ist es nur sein Haus, nicht er selbst, der hier unter Zeltplanen versteckt wird. Hab einen schönen Tag.
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Man könnte meinen, Christo hätte sich da was abgeschaut!
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ja, oder umgekehrt. Mit dem Unterschied, dass man bei Christo wohl nicht indie Verpackung reingehen kann.
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Wie schön, das Bild mit den drei Frauen. Liebe Grüße Kat.
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Danke, Kat. Du meinst die Skulptur?
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Ja; und auch die Vorstellung, das Bild, das da drei Frauen stehen und sich aneinander halten. 🙂
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Pingback: 1967-2017. Unterwegs in Arkadien (zum Apollon-Tempel von Bassae und nach Karitaina) | GERDA KAZAKOU
wundervoll sind Deine Worte, liebe Gerda, ich hab sie gestern schon gelesen und habe gestaunt.
*wir werden eins, zusammengeschweißt zum heiligen Dreifuß wie der, der der Pythia von Delphi zum Weissagen diente.*
Welche Kraft steckt doch in diesem Ort des Besiinnens, des Meditierens, des Fühlens. Ihr habt es in Euch gespürt, jede auf ihre Weise und habt Euch getroffen
Wie wunderschön und überaus eindrucksvoll dieser Tempel gewesen sein muß, ist in Deinen Bildern sehr gut zu erkennen
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Hab Dank, liebe Bruni, für dein immer mitfühlendes Lesen und Kommentieren.
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