Herr Ärmel schrieb heute über Reduktion und Völlerei (hier) und ich dachte: Nanu, das ist ja der passende Titel, um meinen Eindruck von den beiden Ausstellungen, die ich am Donnerstag sah, zu vergleichen. Von der Ausstellung „Die kykladische Welt“ habe ich schon ein wenig berichtet. Sie steht am Anfang der uns bekannten Kunst. Welch ein Start! Klare Formen in höchster Reduktion zeigen die marmornen Statuetten die Gebrauchsgegenstände
oder die berühmte marmorne Taube am Wassertrog
. Gegen Ende dieser Hochkultur wurden die Formen komplexer. Gesichter bekamen Nasen, Köpfe Haare. Aus war es mit der schönen Klarheit.
Dieselbe Entwicklung kann man dann wieder in der griechischen Klassik feststellen, die die hohe Kunst der Reduktion auf das Wesentliche sehr gut begriff … und die in der griechisch-römischen Dekadenz in Völlerei überging, als die Herren und Damen dieser Welt bitte schön in ihrer Besonderheit und Sonderbarkeit übergroß abgebildet zu werden wünschten, als Persönlichkeit mit Namen und Anschrift, sozusagen. Schluss mit der „edlen Einfalt und stillen Würde“ (Winckelmann).
Und heute? Offenbar leben wir erneut in einer Zeit der Dekadenz. Größer, schneller, mächtiger, reicher, verrückter ist die Devise. Die Persönlichkeiten drängen sich im Raum, die eine versucht die andere zu überragen, zu übertreffen an bizarren Absonderlichkeiten.
Das stellt der Künstler Nikos Tranos (Jg 1957) in seiner Installation „White Power“ dar („Work in progress“, seit 2007). Als ich die Galerie Zoumboulaki im Athener Zentrum betrat, wurde ich fast erschlagen vom Andrang bizarrer Formationen, die dicht gedrängt, hochragend und schwankend auf allerlei altmodisch-brüchigen Tischchen und Gestellen standen. Moderne Totems, dachte ich. Manche waren schwarz-glänzend, andere rosa oder unangenehm grün. Es gab auch viele weiße Gebilde, die im einzelnen betrachtet gar nicht mal hässlich waren. Aber dieses Gedränge, dies Wirrwarr, diese hypertrophen Gebilde, vergleichbar überzüchteten Gemüsen, diese Möchte-Gern der Selbstdarstellung auf schwachem Sockel – das war fast unerträglich. Es ist nicht möglich, den Anprall von Masse, den ich empfand, auf den Fotos wiederzugeben, aber dennoch: hier sind ein paar Eindrücke.
(Im Hintergrund rechts der Künstler mit einem Kollegen. )
Das Material? Die Skulpturen sind aus Tonerde, Porzellan, Glasfluss, Farben, Emaille, zwei bis drei Mal gebacken bei 1000 Grad C. Die Gestelle, Hocker und Tischchen, auf denen die hypertrophen Gebilde schwankend thronen, stammen aus dem Sperrmüll, Relikte bescheidenen bürgerlichen Wohlstands. Rundum an den Wänden läuft ein „Fries“ von 250 Buntstiftzeichnungen 20×30 cm („Green Park“), viele so akkurat, als handle es sich um archäologische Zeichnungen. Sie fungieren, scheint mir, wie im antiken Drama als Chor, der die Taten der Großen kommentiert. Hier ein paar Beispiele, davon eins mit dem Spruch „Hätte, hätte Fahrradkette“, das ich kürzlich bei Ulli las. (Ein „Buch in progress“, beginnend 1944 mit einem Liebesgedicht von Andre Breton, ein Video mit der Sprengung eines Kunstgebäudes und der Briefwechsel zwischen einem griechischen Gastarbeiter in Deutschland und seiner Mutter gehören ebenfalls zur Ausstellung).
Diese Ausstellung braucht meiner Meinung nach schlichtweg viel mehr Raum- in grossen Hallen kann ich mir das Ganze schon spannend vorstellen, so dicht gedrängt aber bekomme ich schon nur beim Betrachten der Fotografien Platzangst…
Klarheit und Schlichtheit, das sind ja auch eher meine Formen, und dann mag ich aber durchaus auch verspielt- ich denke gerade an ein kleines Scharmützel mit meinem Chef während eines Töpferpraktikums, als ich einen recht archaischen Topf gedreht hatte, um an ihm Henkel ziehen zu üben- sprich ich setzte ihn rundrum mit Henkel voll- ja, eigentlich vollkommen sinnlos, aaaber so witzig, er aber hielt mir einen Vortrag über klassische Formen und stellte dann meinen Henkeltopf ins Schaufenster- aus Ärger, dass immer wieder Kundinnen sich nach ihm erkundigten, verkaufte er ihn eines Tages zu einem Spottpreis vonn 11DM, als ich frei hatte und obwohl ich ihm gesagt hatte, dass er unverkäuflich sei… Blödmann!
Sorry, liebe Gerda, ich bin ein bisschen abgeschweift, kleine Erinnerungsschliefe zum Thema: Reduktion, Schlichtheit und Klarheit…
herzliche Sonntagabendgrüsse an dich
Ulli
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Danke für deine Erinnerungsschleife. Nur, die Aussage dieser Ausstellung braucht den engen Raum, denn sonst ginge der Effekt verloren. Es geht nicht darum, hier und da Verschnörkelungen zu vermeiden, sondern um etwas Sinnbildliches. Dass das, was heute eine „Persönlichkeit“ ist, hypertroph in den Raum ragt, aber auf einem schwächlichen Sockel steht. So viele Attribute, so viel Glanz und Glorie, und daneben schon ein ähnliches Gebilde. Show-Business…Die Sockel sind nicht nur schwächlich, sie zeigen auch die „Abstammung“ bzw Herkunft dieser grandiosen Figuren, die uns heute beglücken wollen.
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Du schreibst im obigen Kommentar, dass diese Ausstellung die Enge benötigt, um zu wirken. Auf mich wirkt das sogar auf den Bildern beängstigend. Ich denke, ich hätte den Raum verlassen müssen.
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ich war auch kurz davor zu fliehen. Genau das ist die Stärke der Installation: sie macht ein Thema deutlich, und sie ist auch sehr gut durchgeführt. Hier geht es nicht um Schönheit. Die Überfülle, das Gedränge, das sich gegenseitig Übertrumpfen ist die gesellschaftliche Situation, die kaum auszuhalten ist. Und da hilft auch nicht, dass sich jeder auf seine Weise von der Masse abzusetzen versucht – wie die Zeichnungen mit den Beinen ebenso wie die .verschrobenen oder überladenen Skulpturen zeigen. Liebe Grüße!
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Danke für die Erklärung, so macht das wirklich Sinn!
Grüße in den Süden 🌸
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super Beitrag, danke, möge es für uns alle eine gute Woche werden
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Danke! Kali ebdomada! (Gute Woche)
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alles gut, beste Grüße
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Mir gefallen die Objekte teilweise recht gut, aber ich finde, dass es einfach zu viele zum gleichen Thema sind, so erdrücken sie nicht nur räumlich sondern auch inhaltlich
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Ja, das kann man so sehen, Myriade. Ich halte das für ein Plus der Installation. Mir kommt es so vor, als seien hier viele der ach so bedeutenden Popkünstler, Politiker und sonst bedeutsamen Persönlichkeiten versammelt, die mir ebenfalls zu viele zum gleichen Thema zu sein scheinen. Zu geringe Varianz in der Aussage und Substanz, dabei verzweifelter Versuch, .sich im Aussehen zu unterscheiden und sich ein Flair der Bedeutsamkeit zu geben. Und was im Großen gilt, gilt auch im Kleinen, wie die Zeichnungen zeigen. Liebe Grüße!
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Auch für mich widerspiegelt diese Überfülle hervorragend unsere Welt! Vielen Dank, liebe Gerda, für diesen eindrücklichen Beitrag.🌸
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