Ihr wisst, ich bin grad dabei, mich auf eine Reise zu Heraklit zu begeben, und damit ich nicht ganz dumm dastehe, bereite ich mich vor. Manches von dem, was er gesagt hat, ist ja bis auf uns gekommen. Das meiste sind Aphorismen. Ich habe hier das fragmentum B 60 herausgefischt. Das sagt kurz und bündig:
Der Weg nach oben und der nach unten ist ein- und derselbe.
ὁδὸς ἄνω κάτω μία καὶ ωὑτή
(wortwörtlich: Weg hoch runter ein und derselbe).
Ein starker Satz. Ein erstaunlicher Satz. Ein logischer Satz. Kürzer gehts wirklich nicht, um ein viel diskutiertes Problem ad acta zu legen. Geht es mit uns, der Wirtschaft, der Welt, dem Leben, meiner Karriere… aufwärts` oder vielleicht doch abwärts? Falsche Fragestellung, sagt der Meister. Weg aufwärts-abwärts derselbe.
Wie soll ich diesem Weisen begegnen? Er hat ja unzweifelhaft recht! Dieselbe Treppe führt nach oben wie nach unten. Dieselben Stufen. Und doch! Wenn ich unten an der Treppe stehe, dann weiß ich: ich brauche gute Lungen und Kraft in den Beinen, um ans andere Ende, in dem Fall nach oben, zu gelangen. Ganz anders ist es, wenn ich oben bin, denn da kann ich notfalls auch auf dem Geländer oder Hosenboden runter sausen.
Was logisch dasselbe ist, ist es lebenspraktisch nicht unbedingt. Ob man aber einem altgriechischen Philosophen mit solchen Einwänden kommen kann? Ich fürchte, er wird sich verärgert umdrehen und murmeln: „Die Menschen sind offenbar noch genauso verblendet wie zu meiner Zeit. Es ist hoffnungslos. Nie werden sie den Logos begreifen“.
Solange man dadurch in einen Dialog eintreten kann (Für und Wider der Weg hinauf sei derselbse wie der Weg hinab), haben wir wenigstens etwas von den alten Griechen gelernt 😉
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O, wir haben weit mehr als das von ihnen gelernt! Zum Beispiel das Wort und vielleicht auch die Sache „Dialog“, und „Logik“ sowieso.
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Kann es sein, dass M.C. Escher Heraklit-Fan war?
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Das dachte ich auch gerade!!
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Gute Frage, Maren! Kann ja durchaus sein, seine Aphorismen haben so manchen Menschen unserer Zeit inspiriert , zB mich 😉
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Lebenszeit, lachend oder weinend verbracht…
Leichtfüßig Treppen runter, mag ja sein, doch steile Bergpfade hinab, o weh, aua.
Thema verfehlt?
Egal, ich mag diese Mischung von guten Gedanken und feinen Bebilderungen!
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Herzlichen Dank, liebe Frau Wildgans! Mein Kommentar zum „verfehlten Thema“ findet sich weiter unten bei mmandarin
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Vielleicht ist der Weg nach oben in jungen Jahren leichter, dafür der Weg nach unten im Alter leichter, aber nur vielleicht. Im Grunde ist alles relativ!
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Liebe Babsi, dies Wort von der Relativität jeden Urteils könnte auch von Heraklit sein 😉
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Von Höhen und Tiefen kann ich ein Liedchen singen. Habe ich grad hinter mir. Die Berge rauf im Schweiße meines Angesichts, um dann zu sagen Oh, ich habe es geschafft und einen grandiosen Ausblick, vielleicht auch Überblick zu haben. Und manchmal habe ich geflucht auf dem Weg nach oben, jedes überflüssige Kilo verwünscht, das ich mitschleppen musste, aber dann stellt sich, oben angekommen, doch ein Glücksgefühl und Friede ein. Ich glaube, es ist einfach wichtig, dass wir sowohl das Unten, als auch oben akzeptieren und manchmal überwinden. Ach, ich merke, ich könnte mich gerade weiter in das Thema, „versteigen“. Das Gedicht von Hermann Hesse fällt mir ein, von den Höhen, die da sind, um an ihnen die Tiefen zu messen. ……möglicherweise habe ich das Thema, „dein“ Thema gerade verfehlt. Zum Nachdenken hat es mich gedenfalls angeregt, Danke liebe Grüße Marie
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Ich lache! „Thema verfehlt“ scheint hier gerade das Thema zu sein. Natürlich bist du mitten drin im Thema, Marie. – Der Weg ist hinauf und hinunter „an sich“ (um es Kantisch zu sagen) derselbe, aber „für mich“ ist er es eben nicht. Das spiegelt sich wunderbar in den Antworten. Danke dir für deins! Gerda
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Das Schöne am Leben ist ja gerade, dass weder es logisch ist, noch wir logisch sind…
Und die wenigen Sätze Heraklits allesamt voller Rätsel sind!
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das Rätselhafte ist das Reizvolle an diesem Denker. Drum haben ihn zu allen Zeiten Philosophen zitiert, wodurch wir ja überhaupt nur von ihm wissen. Ich liebe diese fein geschliffenen logischen Sätze, denn an ihnen kann ich das Leben messen und vielleicht ein wenig mehr verstehen. Die Naturwissenschaften wollen uns ja zB immer weismachen, dass die Sonne nicht aufgeht, sondern dass sich „in Wirklichkeit“ mein Himmelskörper Erde um den anderen, die Sonne, dreht. Ich aber erlebe sie als aufgehend, hab sie grad heute morgen wieder in ihrem Aufgang beobachtet, und mir wurde sehr froh ums Herz. Zwischen dem, was die Logik zu Recht betont,, und dem, was ich erlebe, fehlt die Vermittlung. Um diese Vermittlung geht es mir. LG Gerda
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Ja, klar, alles ist eine Sache der Perspektiefe, die ich einnehme…
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Da stimme ich dir nun nicht zu, Lu. Nicht alles ist eine Sache der Perspektive. Es gibt ein Sein, das auch uns einschließt. Das können wir auf verschiedene Weise (unter verschiedener Perspektive) betrachten. Auf dieses Sein schaut Heraklit als Denkender, und er meint erkannt zu haben, das es vom Logos durchwaltet ist.
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Ich erlaube mir mich an dieser Stelle einmal kurz einzumischen: es ist wahrlich schade, dass nur noch so wenig von Heraklit erhalten ist und dass wir ihn nicht mehr fragen können, Logos betrifft das Denken, ihre Folgerichtigkeit, da stimme ich zu, ob aber Logos das Leben selbst durchwaltet, möchte ich bezweifeln, es gibt einen Rhythmus, ja, eins folgt aufs anders, so gesehen ja, aber dann kommt das ins Spiel, dass Chaos = das Unberechenbare genannt wird, das uns zum Hader und zur Verzweiflung bringen kann … auch das als relativ zu begreifen kostet schon einiges an Hirnakrobatik-
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Yep, meint er…
oder auch nicht…
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Guten Morgen liebe Gerda,
für mich liest sich das wie eine Prabel. So ist das Leben. Es geht die Stufen hinauf, manchmal mit leichtem Schritt. Oft aber auch mühsam und anstrengend. Ist man oben angekommen genießt man den Ausblick, freut sich über das erreichte und paßt man nicht auf geht es wieder nach unten. Manchmal im Sauseschritt auf dem Hosenboden, manchmal auch langsam aber unaufhaltsam. Ist man unten rappelt man sich auf und macht sich wieder an den Aufstieg. So ist es das Leben.
Liebe Grüße von Bine. Diesmal nicht unter den Linden, das Wetter ist zu schlecht, sondern aus dem Atelier.
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O, schon wieder schlecht, euer Wetter? Ihr solltet mal eure Beziehung zu Herrn Zeus überprüfen! danke für deinen Kommentar, der eine weitere Auslegung der in dem einfachen Satz schlummernden Lebensgedanken enthält. Herzlichen Dank dafür! Gerda
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Oder: „Der Weg ist das Ziel“ also ist es eigentlich egal, ob man auf- oder abwärts geht – Hauptsache man geht…
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Ein in eine etwas unheimliche Tiefe führender Gedanke, liebe wgfkk. Kann man denn auch nicht gehen, solange man lebt? Geht das? Wenn man nicht selbst geht, wird man gegangen …..
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Ohne Geländer geht es seitwärts abwärts. Egal ob Du die Treppe hinauf oder hinunter wanderst.
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Geländer brauchen nur Menschen die mit unsicherem Schritt gehen, lieber Kormoran!
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Ich weiss, Griechen brauchen keine Geländer.
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ach so! Vielleicht meinst du das, weil wir griechen? 😉
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Nein, weil ich auf Thira, Santorin auch bei noch so steilen Aussentreppen an wirklich tiefen Abgründen keine Geländer gesehen habe.
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🙂 Da hast du recht. Hier gibts nicht viele Geländer, und auch die Schilder fehlen, auf denen die des Lesens Kundigen darauf hingewiesen werden, auf ihre Füße zu achten.
Als ich neu in Athen war, stürzte ich mal in einen Hauseingang, weil ich dachte, ein Bürgersteig sei eine sichere Gehbahn. Pustekuchen. Überall tun sich Treppen auf, die ins Souterrain führen. Ohne Geländer natürlich.
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Guten Morgen, liebe Gerda, (nein, ich lese jetzt nicht, was die anderen schon alles geschrieben haben, ich will bei meinem bleiben und dann erst lesen- so mache ich es ja oft) – ich habe dies als Betthupferl mit mir durch die Nacht getragen- meine erste Reaktion war: ja, wie oben, so unten, wie innen, so aussen … und wieder hat es mich zu der Philosophie der Tibeter getragen, die on der relativen und der absoluten Wahrheit sprechen, vielleicht stolpern wir über das Wort absolut, aber wie so oft sind wir auf Worte beschränkt, die immer nur eine Annäherung sein können, für das was ist und wirkt. In der relativen Wirklichkeit ist es natürlich ein Unterschied, ob wir die Treppe hinauf- oder hinabgehen (oder auf dem Hosenboden das Geländer herunterrutschen), in der absoluten Wirklichkeit ist der Weg so, wie Heraklit es sagt:Der Weg nach oben und der nach unten ist ein- und derselbe. Gleichzeitig ist die relative und die absolute Wahrheit nichts Getrenntes, sie bedingen sich gegenseitig, wie die Schönheit und die Hässlichkeit (zum Beispiel), bei all dem aber reicht Logos meiner Meinung nach nicht aus, es braucht die Erfahruung mit allen Sinnen, um es wirklich zu verstehen, zu „begreifen“.
Ob es geholfen hat, dass ich erst einmal darüber geschlafen habe? Ja 😉
herzliche Grüsse
Ulli
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Ob dein Kommentar das Ergebnis eines hoffentlich ungestörten Schlafs ist, kann ich nicht beurteilen, liebe Ulli! Dass er mir sehr gefällt – ja! Es braucht das Erleben mit allen Sinnen – und mit der Kraft des Denkens – um zwischen „absoluter“ und „relativer“ Wahrheit zu vermitteln, oder vielleicht besser, um in der relativen die absolute Wahrheit zu erspüren. Wir sind uns, scheint mir, ganz einig. Der Begriff Logos ist unübersetzbar, ist weit mehr als Logik. Du kennst den Beginn des Johannes-Evangeliums, das aus diesen alten Quellen der griechischen Weisheit schöpft? (Und die mit der indischen Weisheit zusammenströmt?). Zu Beginn war Logos, und Logos war bei Gott, und göttlich war Logos. … Er ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt,aber die Menschen haben ihn nicht begriffen…. (Ich zitiere aus der Erinnerung). Fleischwerdung des Logos – Vielleicht kannst du damit etwas anfangen? Liebe Grüße!
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Mein Schlaf war tief und ruhig und als ich heute Morgen das Fenster auch noch neben dem Bett (ich habe zwei in der Kemenate und das gegenüber vom Bett ist immer auf) öffnete, strömte mir ein Duft entgegen, der mich betörte … es sind vielmehr die Worte, die ich gerne richtig setzen möchte bei solch einem tiefen Thema, warum ich deins gestern Abend mitnahm- ich bin Zurzeit oft sehr müde, warum auch immer noch … jetzt aber guter Dinge- Heureka!
Und ja, ich stimme zu, man muss es „erfahren“, die Worte, das Wissen zeigen Wege, die aber jede und jeder selbst gehen muss, um zuzustimmen oder es stehen zu lassen …
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Ein guter Schlaf und Düfte, die der Morgenwind in die Kemmenate bringt – da kann der Tag nur gut werden! LG
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