Es ist eine prekäre Sache, wenn Freunde und Bekannte dir Modell sitzen. Sie möchten gern gut oder jedenfalls ähnlich aussehen. Wenn du sie hässlich zeichnest, sind sie sauer, denn sie halten das für Mangel an Sympathie (soo siehst du mich?), wenn du sie verzeichnest, halten sie dich für einen Stümper. Wenn du sie zeichnest, wie sie gerne aussehen würden,
macht sie das glücklich.
Ideal als Modell sind Menschen, die selbst mit der Kunst zu tun haben – also professionelle Modelle, denen das Ergebnis egal ist, sowie Kunststudenten, die auf andere Qualitäten der Zeichung als Ähnlichkeit und Wohlgestalt schauen. Sie haben auch eher Verständnis für die zeichnerischen Schwächen des Anfängers.
Einen nicht geringen Einfluss auf die Zeichnung hat der Lehrer. Das waren, außer der ersten Lehrerin im XEN, die eine durchaus strenge Auffassung vom Zeichnen hatte, in meinem Fall vor allem drei junge Frauen – fortgeschrittene Studentinnen an der Kunstakademie, die sich ihr Brot als Modelle verdienten: Julia, Gianna, Alkisti (Alkeste).
Dies ist Alkisti, die Älteste, zugleich auch die letzte, die mein Zeichnen beeinflusste. Charakteristisch ist die Linienführung. Jeder Punkt der Zeichnung musste gefunden werden, indem man ihn mit anderen verband. Dazu benutzt man einen kleinen eisernen Stab, den man gegen das Modell hält, den Winkel feststellt und diesen mit dem Kohlestift auf dem Papier notiert. So entsteht Linie für Linie die Figur. Die vielen Punkte, an denen sich Linien kreuzen, verbindet man und erhält so die Kontur. Das Ergebnis sind sehr präzise, aber irgendwie auch unlebendige Zeichnungen, Konstrukte eben. Eine gute Übung in jedem Fall.
Dies ist Julia, die Malerische. Sie legte wert auf die genaue Wiedergabe der Helligkeitswerte, also insbesondere der Grautöne. Wie hebt sich die Helligkeit des Arms vom hell-dunkel gebrochenen Hintergrund des Kleides ab? Manchmal ist die Konturlinie dunkel, dann wieder so hell, dass sie mit dem hellen Tuch fast verschmilzt. das Ergebnis sind klassisch anmutende Schwarz-Weiß-Studien.
Und dies hier ist Gianna, die Expressive. Zwei Sätze sind mir in Erinnerung geblieben, die sie immerfort wiederholte. Der eine Satz war: „Alles zusammen“. Du sollst dich nicht auf ein Detail versteifen, sondern immer das ganze Bild, also die Gesamtwirkung im Blick haben. Der andere Satz: „Es ist dein Werk, du kannst damit tun, was du willst“. Das war die Aufforderung, nicht ängstlich am Vorbild zu kleben, sondern autonom zu handeln. Und es hieß auch: Sei mutig, zerstöre, was dir nicht gefällt, übermale es, überarbeite es, es ist deins! Mach damit, was dir gefällt.
Ach, Gianna, du sehr begabte sehr junge Frau, als die ich dich kannte! Wie gut mir diese Sätze getan haben!! Nie habe ich sie vergessen. Auch dich habe ich nicht vergessen, Gianna. Als ich dich so nachdenklich, sogar traurig zeichnete, war mir nicht bewusst, welches Schicksal auf dich wartete. War es dir bewusst?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass du sehr begabt warst, und dreißig, als du an Leukämie erkranktest. Deine Freunde sorgten dafür, dass du deine erste Ausstellung bekamst. Mit 32 Jahren war dein Weg schon zu Ende.
Ich aber, Gianna mou, ich bin noch immer da, und ich erinnere mich an dich mit großer Liebe.
watn ding: die illusion der 3-dimensionalität auf 2D
grüsslinge von LUISE
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toll, so angeschoben zu werden, dem eigenen vertrauen, aufs eigene setzen!
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Eine wunderbare Begabung, Arbeit , Mühe und Fleiß inbegriffen, Kunst, bewunderswert!!!!
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Ei, du, Afrikafrau, hast ja selbst genug drauf 🙂
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Wunderschöne Zeichnungen!
Mit einer Begabung so gesegnet zu sein, ist ein großes Geschenk.
Deine Erinnerungen an Deine Kunstfreundin Gianna sind sehr traurig und Du hast ja in Deinem Portrait von ihr zu diesem Zeitpunkt nicht wissend wenn ich es richtig verstanden habe, schon etwas davon eingefangen.
Schön, dass Du sie so bedacht hast.
Manche Menschen verlassen uns nie, wenn sie in unserer Erinnerung bleiben.
Grüße Babsi
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danke, Babsi!
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Toll, wie du das Wesen der drei „Zeichenschulen“ auf den Punkt gebracht hast, Gerda – mit dem Kohlestift ebenso wie mit Worten. So zeigst du deine Kunst und zeigst zugleich auch die drei Kolleginnen.
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Danke Maren! Auch für mich war es interessant, in den Zeichnungen Eigenschaften der Modelle (Lehrerinnen) zu erkennen – die mir zu dem Zeitpunkt, als ich die Zeichnungen machte, kaum oder gar nicht bewusst waren.
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Ein sehr toller tiefer edit / nebst deinen feinen zeichen.
Eine feine Hommage.
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merci
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Neben der grossen Hochachtung vor deinem zeichentalent, nehme ich auch ein grosses Einfühlungsvermögen war. Immer wieder passiert es, dass wir Dinge wissen, ohne sie wissen und doch finden sie ihren Raum, um sichtbar zu werden. Dieses Mal ist es die Traurigkeit und der nahe Verlust … ich danke dir, dss du das alles mit uns teilst, so werden/bleiben die Menschen hinter den Bildern lebendig und dies über ihr Leben hinaus!
herzliche Grüsse an dich, liebe Gerda
Ulli
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.“.. dass wir Dinge wissen, ohne zu wissen“, ja freilich. Gerring ist das Wissen, von dem wir wissen, dass wir es wissen, und auch da irren wir uns oft genug. Aber dennoch sind wir plötzlich Wissende.
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