Aus alten Tagebüchern: Jackson Pollock (Kunst, 1)

Ich probiere mal aus, ob es Sinn macht, frühere Eintragungen aus meinen handschriftlichen Tagebüchern hier abzuschreiben. Den Fluss der Gedanken und Ereignisse will ich nicht rekonstruieren, aber vielleicht diese und jene Beobachtung, Erfahrung, Idee aus dem Kontext herauslösen und unter einen Titel stellen. Der erste Titel wäre: Kunst. 

In diesen Tagebuch-Notizen scheint auf, wie ich Impulse von außen aufnehme und verarbeite, mir nur halb bewusst, selbst wenn ich es aufgeschrieben habe. Die Textstelle ist vom 4.10.2001 und beschreibt eine TV-Doku über Jackson Pollock. Zwei Tage später, am 6.10., schreibe ich über eigene Kunstproduktion, ohne Bezug auf Pollock zu nehmen. Doch mir scheint, dass dieser Bezug existiert.

4.10.2001: Nach Haus kam ich um 9.30, aß mit P zu abend und hockte mich vors TV: ein Jackson-Pollock-Film. Man sah Pollock bei der Arbeit: die harten und zarten Bewegungen, mit denen er die Farben auftrug! Ich empfand die Intensität seines Wesens, die nur zeitweise im Arbeiten einen Ausweg fand, sehr stark und geschwisterlich. Er ertränkte diese Intensität in Unmengen von Alkohol. War das fünfte Kind einer armen Familie, Vater haute ab, Mutter zog ihn fast allein auf. Ein schöner junger Mann, aber von schrecklichen Spannungen heimgesucht, die sich in ständigen Streitereien mit den Mitmenschen Bahn brachen. Nur eine Frau, moderne Malerin, die damals weit bekannter war als er, rettete ihn eine Weile vor sich selbst. Zuletzt versagte auch die Kunst, er verfiel schnell und starb bei einem Unfall/Selbstmord. Hinterließ diese wunderbare Tröpfelwelt, die den Blick der Menschen veränderte, in die Tiefenstrukturen hinein. 

Zwei Tage später, am 6. Oktober 2001, notiere ich etwas über meine eigene damalige Kusntproduktion:

Vorher hatte ich gemalt bzw Bilder zusammengeklebt und -geschmiert, eine ganze Menge, ich glaube 6 Stück. Ein Rekord. Quantitativ ein Durchbruch. Nun muss ich schauen, was es ist.  Alles ist „overall“* – zeichenhaft: schwebend, stürzend, wogend, treibend. Eines (…) ein merkwürdiger sehr bewegter und etwas bedrohlicher „Figurentanz“, ein anderes „Träume, ach!“ ist treibendes Eis, dazwischen rote Blüten. Es gibt auch (…) ein wüstes blau-rotes Bild auf der Grundlage von Börsenkursen („greed“). …


 

*Die Bilder, die ich damals herstellte, sind overall in dem Sinne, dass die Oberfläche in alle Richtungen gleich behandelt wird, also weder zentrale Elemente noch Vorder-Hintergrund, Links-Rechts, Oben-Unten eine spezifische Wirksamkeit entfalten sollen. Welche Bilder es genau waren, weiß ich nicht mehr. Das erste könnte „Träume, ach!“ sein. Ich finde, dass es einen starken Einfluss von Pollocks Malerei gibt, der mir aber damals kaum bewusst war. (Vergleiche hier)

Noch ein paar Beispiele:

 

 

 


 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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13 Antworten zu Aus alten Tagebüchern: Jackson Pollock (Kunst, 1)

  1. kopfundgestalt schreibt:

    Das macht erstmal Eindruck, deine Bilder.

    Zur Zerrissenheit: WAS vermag einen Menschen da herausführen???

    Und selbst wenn es gelänge, was ist dann mit der Kunst?! Dazu äussereten sich ja viele Künstler, die Angst hatten, ihre Kreativität zu verlieren, wenn sie „geheilt“ würden. Eine meiner Meinung unrichtige Angst, denn Kreativität kann nicht „durch Heilung“ verlorengehen, weniger, anders werden vielleicht.
    Es ist ÜBERHAUPT merkwürdig, daß ein gepeinigter Mensch sozusagen als Ent-Äusserung Kreativität entwickelt, ja entwickeln muß.
    Ich denke da auch an Kafka.

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  2. Ulli schreibt:

    Ist es nicht intetessant, wie sich Gesehenes, Gehörtes, Gelesenes irgendwo in uns verankert und sich dann Bahn bricht, ohne dass es in dem Moment bewusst ist?!

    Deine Bilder sprechen davon.
    Herzlichst, Ulli

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  3. GLUMM schreibt:

    Wer sich als Künstler nicht schrecklich verhält, zumindest dann und wann und dann, der muss es WENIGSTENS versuchen – zunächst mal. Aber die richtig bekloppten Phasen rauben einem die zentrale Kraft, und auf einmal ist man alt verschlissen; zerkünstlert.

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    • gkazakou schreibt:

      Lieber Glumm, schön hier einen Kommentar von dir zu finden. Ich stimme dir aber nicht zu, dass man als Künstler versuchen sollte, sich schrecklich zu verhalten. Überhaupt nicht. Im Gegenteil, auch als Künstler sollte man versuchen, freundlich und zuwendend zu sein. Schlimm genug, dass es tatsächlich Phasen gibt, wo man sich ziemlich schrecklich benimmt und Blödsinn hervorbringt – egal ob nun als Künstler oder als Mensch.

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  4. bonanzamargot schreibt:

    pollock ist nicht gerade mein stil. da kriege ich augenkrebs.

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  5. versspielerin schreibt:

    spannend, die einträge, deine beobachtungen, die zusammenhänge, die bilder, wunderbar!

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  6. Gisela Benseler schreibt:

    So versuchtest Du wohl, künstlerisch das Ungeheilte aufzuarbeiten, also zu heilen.🙏

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  7. Interessant Deine Eintragungen und während Du schreibst und selbst künstlerisch tätig bist, verändern sich Deine Bilder, Gerda

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