Die unglaubliche Madame Kolokytha (Schattenklänge)

Von meiner Wanderung am Gialova-See brachte ich einen Beutel mit Beutestücken mit, darunter etliche Schilfwurzelmännchen. Meine Idee war, diese entwurzelten, an Land gespülten Gestalten, diesen „Auswurf“ also, erst als wüsten Haufen, dann einzeln zu zeichnen, um ihre jeweilige Besonderheit und Individualität, ihr persönliches Schicksal sozusagen, zu ehren. Etwa so: 

Die Idee kam mir, als ich Ullis Beitrag zum Projekt Schattenklänge las.

Dann aber hieß es plötzlich:  Keine Zeit mehr für Portraits. Einsammeln, ab nach Athen. Ich schüttete die Wurzelmännchen samt Sand auf eine Arbeitsfläche, stellte auch Madame Kolokytha als Aufpasserin dazu. O wei! Ich hätt es mir ja denken können. Gut, dass ihr ihr Gekreisch nicht hören musstet! Ihre Ausdrucksweise war alles andere als political correct, soviel kann ich verraten. Sie war eben ziemlich in Panik. Ihr eigener Schatten machte ihr Angst! Obgleich ich ihr nicht ganz Unrecht geben konnte, denn das fremde Volk sah ziemlich abgerissen aus, sagte ich hart: „Ich gehe jetzt, Sie werden sich an ihre Gesellschaft gewöhnen müssen“. Und ging. Und schloss die große Tür zum Atelier zu.

Doch dann ändern sich unsere Pläne. Wir verschieben unsere Abreise noch einmal. Ich schließe das Atelier wieder auf…. und staune nicht schlecht: Madame Kolokytha singt aus Leibeskräften eine Arie, es ist, wie ich langsam begreife, „Dich, teure Halle, grüß ich wieder“ aus dem Tannhäuser.

Mme K singt Arie aus dem Tannhäuser (c) gerda kazakou

Und das armselige entwurzelte Volk liegt ihr zu Füßen oder reckt sich zu ihr empor und lauscht verzückt ihrem Gesang. Sie aber, scheint mir, hat ganz und gar vergessen, wo sie sich befindet. Der Schatten an der Wand scheint mir jetzt fast eine kleine Ähnlichkeit zu haben mit Herrn Wagner, der einst die Arie schrieb. Auch er lauscht wohlwollend dem Gesang der Olympia Kolokytha. Oder etwa nicht?

bearbeitete Fassung (c) gerda kazakou

Bleistiftzeichnung, mit Kohle verstärkt, auf weißem Karton, 50 x 70 cm

Zum Projekt „Schattenklänge“ : https://sofasophia.wordpress.com/2018/01/10/blogaktion-schattenklaenge-die-spielregeln/

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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24 Antworten zu Die unglaubliche Madame Kolokytha (Schattenklänge)

  1. kunstschaffende schreibt:

    Irgend wie habe ich das Gefühl, das Gesinde mag keine Oper!🤔Selbst der Hund in der rechten Ecke duckt sich! 🙉

    Deine Zeichnung ist einfach genial!👏👏👏👌

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  2. kopfundgestalt schreibt:

    Singen tut sie ganz gut 😉

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  3. wildgans schreibt:

    Deine schilfigen Gestalten und ihre Zauberwelt. Sogar Wagner klingt mit etwas Sandgeknirsche, mutet geheimnisvoll an…

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  4. finbarsgift schreibt:

    Von Schilfwurzelmännchen den gezeichneten, künstlerischen Bogen bis zu Wagner zu schlagen, wow, wenn das nix ist! *schmunzel*
    Liebe Morgengrüße vom Lu

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  5. TeggyTiggs schreibt:

    …ich hab den Eindruck, das ist die Position, die sie sich gewünscht hat und die ihr auch irgendwie zusteht…

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  6. Ulli schreibt:

    Musik lässt so viele Schranken fallen und kann auch Traurige/Verlorene froh machen, schön ist das alles!
    Liebe Grüße, Ulli

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  7. www.wortbehagen.de schreibt:

    nun ist sie also in ihrem Element und die Menge der Schilfgesellen liegt ihr zu Füßen.
    Ob sie alle genießen, wissen wir nicht, aber es kann durchaus sein 🙂
    Ist das rechts auf dem Boden ein Eselchen, oder doch ein Schilfmännchen?
    Hatte Wagner auch so ein Haarbüschelchen hoch oben auf seinem Kopf? *g*
    Auf jeden Fall vertragen sich jetzt alle und besser geht es doch gar nicht

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  8. Madame Filigran schreibt:

    Genial!

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  9. Sofasophia schreibt:

    Sehr hübsch … dieses Eigenleben aber auch, dass diese Wesen entwickeln. Ich weiß jetzt aber nicht so genau, ob und wie ich diesen Text fürs #Schattenklänge-Projekt verwenden soll. Eine Geschichte ist es ja nicht …
    Was denkst du?
    Vielleicht die Basis für eine Geschichte?

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    • gkazakou schreibt:

      ich könnte, wenn du das irgendwie brauchbar fürs Projekt findest, die Texte zu diesem und dem nächsten Beitrag so überarbeiten, dass eine Art Bildgeschichte entsteht. ich dachte, es wäre eine kleine Auflockerung zwischen den sonst allzu schweren Geschichten. Ansonsten kann ich auch ein normale unbebilderte Geschichte liefern. Wie es dir besser für den angestrebten Zweck erscheint.

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  10. Pingback: Schilfwurzelmännchen von Gerda Kazakou – Es wird Zeit, dass es Zeit wird.

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