Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.
Michael Lentz (Bachmann-Preisträger von 2001) : „Zuneigung ist das Wort. Das lange gesuchte. Das verlorene. Zuneigung ist eine verkürzte Zueignung. Ich neige dir zu, könnte auch ein Schiefstand sein. …Ich empfinde unter dem Wort Zuneigung etwas Umfassendes. Ganz zugeneigt. Unberührbar und triebhaft zugleich.“ (Quelle)
Goethe oder Ringelnatz? „Zueignung“ oder „Ich hab dich so lieb“?
„Empfange hier, was ich dir lang bestimmt!
Dem Glücklichen kann es an nichts gebrechen,
Der dies Geschenk mit stiller Seele nimmt:
Aus Morgenduft gewebt und Sonnenklarheit,
Der Dichtung Schleier aus der Hand der Wahrheit.“
(aus Johann Wolfgang von Goethe, „Zueignung“, Gedichte, Ausgabe letzter Hand 1827)
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Dazwischen scheinen Welten zu liegen. Doch ist es die Dame Poesie, die beiden die Worte eingibt, um ihrer Zuneigung bzw Zugeneigtheit Ausdruck zu geben: Die aber ist „unberührbar und triebhaft zugleich“, wie Michael Lentz sagt (s.o.), gedeiht am besten bei zugeneigter Distzanz. Das Geliebte wird umso liebenswerter, als es in der Ferne verschwindet. Was bleibt? Joachim Ringelnatz sagt es: „Wir können nicht bleiben“.
Joachim Ringelnatz
Ich habe dich so lieb (1928)
Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zumut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei – verjährt –
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
an einem Sieb
Ich habe dich so lieb.
Eine eindrucksvolle Rezitation fand ich hier!



Hm, Zueignung und Zuneigung…
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Danke für den Link. Hat er gut gemacht. 👍
Mittagskaffeegrüße ☁️🎶💻☕
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Fand ich auch. Ich hab meistens Probleme mit den rezitierten Gedichten, aber in diesem Fall ist es gelungen, sogar besser ohne Bild.
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Geht mir auch so mit den Rezitationen. Mir gefallen die wenigsten, auch von namhaften Schauspieler:innen bzw. Sprecher:innen.
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Denksport-Training,….
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Die von Dir eingestellte Rezitation ist einfach spitzenkasse, wunderschön, verträumt? und mit einem ganz winzigen Schmunzeln, das eigentlich gar nicht zu erkennen ist, vorgetragen. Gottseidank ohne Pathos und Patetik!
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