Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.

Conquista, zeitgenössische Gravour
„Zorn Gottes“ nannte sich einer der bösartigsten spanischen Eroberer von Mittel- und Südamerika, Aguirre. Grausamkeit und Gier trieben in ihm fürchterliche Blüten. Die rechtfertigte er mit dem katholischen „Bekehrungswerk“, das zugleich mit der Eroberung stattfand. „Gott“ wollte, dass sich das Christentum über den Kontinent ausbreitete, er aber begehrte das Gold von El Dorado (Goldland) und die Herrschaft über die eroberten Gebiete.
Die schreckensvolle Geschichte der Eroberung Mittel- und Südamerikas durch die Conquistadores hat sich mir quälender ins Gemüt eingeschrieben als die von Nordamerika, ich weiß nicht warum. Während mich die meisten US-amerikanischen Eroberungsfilme relativ kalt ließen, brannte sich der Film von Roman Herzog „Aguirre, der Zorn Gottes“ (1972) mit Klaus Kinsky in mein Gedächtnis ein. Zum Film hier.
Später, als ich mit dem Malen begann, drangen innere Bilder der Conquista an die Oberfläche. Da war zuerst ein liebliches Bild: Frauen weben im Lichte des vollen Mondes den Lebensteppich.

Über dieses Bild legte sich ein feines Licht-Netz, das die Figuren mehr und mehr einspann.

Darüber breiteten sich Ströme von vergossenem Blut

Immer dichter legten sich Feuer und Blut über die friedliche Szene

Als sich der Rauch verzog, erschienen hässliche Gestalten gepanzerter Soldaten. Im Zentrum aber stand der grausam ermordete Inka, dessen Seele ihn sanft an der Hand fasst und ins Jenseits führt.


Der spanische Mops hat die Sonne gefressen.

Einen „zürnenden Gott“ erblickte Georg Trakl im roten Gewölk, als er, Sanitäter in der kuk Armee , im September 1914 Dienst in Grodek/Ostgalizien (heute Ukraine) tat. Unfähig, den Leidenden zu helfen, brach er seelisch zusammen, kam in ein Militärhospital in Krakau und starb im November 1914 an Herzlähmung. Er lebte nur 27 Jahre.
Georg Trakl
Grodek
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
Offenbar wurde die obige Bildserie zur Conquista von diesem Gedicht, das ich immer in mir trage, inspiriert. Das merke ich eben, während ich schreibe. Es war mir nicht bewusst.
Ich weiß nicht, worüber ich zorniger bin: über die Verbrechen der Kriege selbst, oder über ihre Rechtfertigung durch angebliche göttliche Weisung und zivilisatorische Überlegenheit. Gerade wieder treten wir in einen neuen Kreislauf von Grauen und Zerstörung ein, und beide Seiten berufen sich: auf „Gott“. Das ist, meine ich, schwerste Gotteslästerung!
Bild 1 von dir ist grandios!
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Danke, Stefan. Ich bin froh, dass ich es fotografiert habe, bevor ich es übermalte.
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Wie recht Du doch hast, liebe Gerda: Es ist Gotteslästerung und nichts anderes!
Die lieben guten Christen, die meinen, IHR Gott wäre ein schützender Vater und da mordeten sie auf Teufel komm raus. Ich denke u.a. auch an die Kreuzzüge…
Die Grausamkeit in der *Bekehrung* erschüttert mich immer wieder.
Ich wußte nicht, daß Trakl in so jungen Jahren schon starb.
Sein Herz hielt nicht aus, was er sehen mußte…
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Ich hänge an dem Wort ‚Lästerung‘ und merke, dass ich es nicht so empfinde. Für mich ist das eher ein Missbrauch von ‚Gott‘. Grausames tun, im Namen von Wem-auch-Immer und es als ‚Gutes‘ verkaufen.
Was ist das, dass den Menschen immer wieder dazu antreibt? Woher all die Selbstgerechtigkeit und der Hass und Vernichtungswille? Gibt es denn keine gesündere Art, sich in seiner Wirksamkeit zu erfahren?
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Ich nenne es Lästerung für die, die diese Gottes-Beweisführung benutzen. Nach ihren Gesetzen ist sogar der unnütze Gebauch des Namens Gottes eine große Sünde, wie denn erst, wenn sie ihn als Rechtzfertigung für ihre Gier und ihren Machtwillen missbrauchen? Ich erinnere daran, dass alle Gebote gebrochen wurden:
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Ach… noch was: Ich bin total begeistert von Deinen Übermalungen und dass Du den Prozess festgehalten hast. WAS für ein Geschenk!
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Danke dir! Auch für mich ist diese Dokumentation sehr wichtig. Im Grunde ist es ein Vorläufer meiner Legebilder: malen, fotografieren, übermalen, fotografieren etc. So entsteht eine Ge-Schichte.
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