Dies ist ein Beitrag zu den laufenden abc-etüden, die Christiane für uns organisiert. Auch die einzubauenden Wörter hat sie diesmal gespendet. Es sind:
Grenzerfahrung – mutig – abhaken.
Die Legebilder habe ich zu anderen Anlässen geschaffen, sie zeigen andere Grenzerfahrungen als die von mir hier geschilderten. Das Thema ist ja sehr groß und vielfältig und fast unerschöpflich. Ich weiß wohl, dass das Wort meist im übertragenen Sinn verwendet wird, aber mir reichen, ehrlich gesagt, die wortwörtlichen Grenzerfahrungen, die eigenen und die anderer Menschen, lebender und toter. Die Zeit des ungehinderten friedlichen grenzenlosen Reisens war eine kleine feine Episode in der langen Geschichte der Grenzen und Begrenzungen.

O ja, die gab es reichlich im Deutschland der Nachkriegsjahre, die Grenzerfahrung. Und als Kind machte ich sie oft.
Da meine Oma, Tante und Cousins sich bei Kriegsende „drüben“ befanden, mussten wir, um sie zu besuchen, über diese Grenze gelangen. Das war beschwerlich, denn man musste aus dem Zug aussteigen und eine lange Baracke mit vielen kleinen Nebenräumen betreten, da waren Soldaten, die Blassen Blonden waren Deutsche, die Rotbackigen Russen. Einmal war ich mit der West-Oma auf dem Rückweg von einem Besuch bei der Ost-Oma, wir gelangten auch gut an all den deutschen Kontrolleuren vorbei, aber der letzte, ein Russe, beguckte unsere Papiere und befahl der Oma: „Du gehen, Kind bleibt hier.“
Arme Oma. Sie machte sich in die Hose. Ich war zu klein, um erschrocken zu sein. Schon verzog sich das Gesicht des Russen zu einem Lachen. Er hatte sich einen kleinen Scherz erlaubt.
Einmal ging’s um die wunderhübschen Angora-Kaninchen, die unsere Ost-Cousine uns geschenkt hatte. Meine Schwester versteckte sie mutig in ihrer Rocktasche, und so gelangen sie unbeschadet über die Grenze. Die Kaninchen lebten fröhlich auf der Fensterbank, bis sie zu groß waren und ich sie einer Schulfreundin schenkte, wo sie verreckten: nasser Kohl bekam ihnen nicht.
Als Schüler wurden wir regelmäßig mit dem Bus hingefahren, um sie anzusehen, die Grenze, und wütend zu werden: Scheißgrenze. Was gibt es da? Abgefragt und abgehakt wurden die Wörter Kommunisten, Wachtürme, Todesstreifen, Selbstschussanlagen, Volksarmee, Regime, Besatzungszone, Mitteldeutschland, Schäferhunde (ich liebte Schäferhunde, aber doch nicht solche!) – nee, nee.
Später dann in Berlin, die Mauer war neu. Sie war für die Berliner unüberwindlich, ich als Westdeutsche durfte sie überqueren, wenngleich nur für einen Tageausflug. S-Bahn und dann raus, unterirdisch durch die endlosen Kontrollen. Ich lernte jemanden kennen, dessen Fenster nach Westen war zugemauert worden, für alle Fälle.
Scheiß-Grenzen! Weg damit!

298 Wörter
Macht Freude anzuschauen – so kreativ!
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vielen Dank!
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Unschöne Erinnerungen. An die Grenze erinnere ich mich auch noch. Aber mit weniger Grusel. Ich musste nur brav den Mund halten und verstand nicht ganz warum.
Wie immer begeistert dein Legebild.
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Danke dir, liebe Mitzi!
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Wir mussten nie aussteigen, aber es dauerte immer gefühlt ewig. Vermutlich war ich viel später unterwegs als du. Manchmal gingen sie mit Hunden durch den Zug, dann wurde geraunt, dass sie Flüchtlinge suchten. Ich hatte immer Angst, und ja, auch ich hatte den Mund zu halten 😏
Danke für deine Erinnerungen in Etüdenform. Gut, dass diese Zeit vorbei ist.
Morgenkaffeegrüße 🌥️🌳🌻☕
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Ja, ich war natürlich schon viel früher dran, sobald Verwandtenbesuch erlaubt war, fuhren wir, keine Ahnung, in welchem Jahr das war, aber vermutlich war es Ende der 40er Jahre, dass ich mit der Oma G zur Oma S fuhr. Vermutlich durfte mich nur meine Oma G begleiten.
Grenzerlebnisse deiner Art hatte ich dann wieder im Zug von Athen kommend an der Grenze zu Jugoslawien, 1970, da suchte das griechische Obristenregime unseren Zug mit Schäferhunden nach Flüchtlingen ab.
Mir kam das Thema in den Sinn, weil ja die Nachrichten voll sind davon, dass die Grenzen um Deutschland dicht gemacht werden. Die scharfen Grenzkontrollen sind zurück. Das betrifft natürlich jedermann, nicht nur die potentiell illegalen Zuwanderer. Jetzt fehlt nur noch der elektronische biometrische Pass. Schluss mit dem grenzenlosen Verkehr in der EU. Das Covid-Regime lässt grüßen.
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Wundervolle Legebilder 💐
Deine Worte erinnern mich an etliche Sommerferien als junger Schüler im Erzgebirge, Zugfahrten von Hof nach Chemnitz über die DDR-Grenze voller Angst, eventuell gar nie wieder zu meinen Eltern zurück in den Westen zu kommen. Was für Zeiten!
Pass gut auf dich auf 🌹💐
Herzliche Grüße aus dem Ländle von mir zu dir, Finbar
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Solche Zeiten sind ja nur bei uns für ein Weilchen verschwunden gewesen. Für Menschen anderer Nationen waren sie immer da, für manche sogar lebensbedrohend aktuell. Nach den neuesten Ankündigungen der Bundesregierung stelle man sich die Angst der in Deutschland lebenden Migranten vor, wenn sie ihre Verwandten in der Heimat besuchen wollen: wird man sie wieder reinlassen? Haben sie ihre Mutter, ihre Schwester, ihre alten Freunde zum letzten Mal gesehen? Schon jetzt gibt es ein ziemliches Geschrei, dass sie diese Besuche überhaupt machen können.
Sicher bin ich kein Freund der wilden Einwanderung und des Missbrauchs von Asylrechten, wohl aber der freien Bewegung der Menschen über den Erdball, damit sie sich begegnen können.
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Du hast natürlich vollkommen recht, mit dem, was du hier schreibst, liebe Gerda.
Und trotzdem war damals die massive Todesangsterfahrung auf der Grenze im Zug als junger Mensch mit Soldaten und Gewehren im Anschlag eine extrem starke, lang nachwirkende.
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ja, das stimmt, es hat auch mich geprägt. Die Angst vor der uniformierten bewaffneten Staatsgewalt sitzt tief, die Bangigkeit an Grenzen auch. Daher empfand ich die ausweislose Reiserei im Schengenraum als so wohltätig. (ich bins, Gerda)
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Das sind ja nicht nur Geschichten, das ist ja Geschichte! Sehr fein.
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Pingback: Nach drüben – Querfühlerin
Meine Ost-Verwandten kamen alle früher in den Westen und sie verteilten sich über viele Gegenden. Vor allem in und um Bielefeld wohnten sie und in der Nähe von Bremen.
Von West nach Ost kam ich nur einmal, um weiter nach der *Insel* Berlin zu reisen.
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Grenz-Geschichten und Geschichte. Und diese Gefühle von unheimlich bis Angst bei den Kontrollen.Oh ja, alles, was hier erzählt wurde, ist mir noch gut bekannt. Erinnerung–bis in die Knochen.
Aber für mich gibt es auch noch ein anderes Erlebnis, das ich der Grundschullehrerin meiner Dorfschule verdanke. Wir, eine Rasselbande von 54 Drittklässlern, nur 8 Kinder kamen aus Schleswig-Holstein, alle anderen aus Pommern, Schlesien , Ostpreußen u.s.w…gingen mit ihr zusammen mitten im Unterricht an die Grenze unseres Dorfes .Hielten direkt am Ortsschild, auf der Straße. Links und rechts Wiesen, Felder. Nun war die Aufgabe, die Grenze mit dem Körper zu spüren. Ein Bein „hier“ ein Bein „dort“. In drängelnden Gruppen grätschen wir. Die unsichtbare Grenze lief unter meinen gegrätschten Beinen hindurch. Ein eigenartiges Gefühl.Geboten war: schweigen(!) ….und nachdenken, wie sich das anfühlt. Dann trotteten wir zurück ins Klassenzimmer. Und die Stimmen wurden gesammelt.Jede galt !! Viefältige Empfindungen, Erfahrungen. Einige sind mir in Erinnerung “ ne Grenze ist ja in echt garnich da“….“die Wiese, die Straße gehn einfach so weiter“….“und de Luft auch“ !
Beides ist real. Die konkreten und jetzt gerade wieder hochgezogenen Grenzen–aber auch das eigentliche Grundwissen- „Grenzen menschengemacht, immer .Außen und innen.“
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eine sehr schöne Anekdote, liebe Elsbeth! Solche „Grenzerfahrungen“ in der Kindheit zu üben, ist ein Geschenk! Aber auch die schmerzhafte Variante ist wichtig, denn sie lehrte mich zu fühlen, welch Ungeheuer Grenzen sein können und welch Glück, sie zu überwinden!
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