Was ist das eigentlich: Geist? (Begriffsbestimmung, abc-etüde anlässlich des Pfingstfestes)

Das Nomen, das bei den laufenden abc-etüden verlangt wird, heißt Geist. Geist – was ist das eigentlich?

Wenn ich von Wiki Aufklärung erhofft haben sollte, erwartet mich eine herbe Enttäuschung.

„Geist … ist ein uneinheitlich verwendeter Begriff der Philosophie, Theologie, Psychologie und Alltagssprache… Allgemeinsprachlich (ist) Geist meist ein Synonym für die individuelle menschliche Psyche .“

Soso. Philosophen und Theologen füllen dicke Bücher über den Geist, aber die naturwissenschaftlich geprägte Denkweise von heute weiß nichts damit anzufangen. Sie setzt eine Unbekannte an die Stelle einer anderen. Denn was ist Psyche?

„Psyche bezeichnet die Gesamtheit aller geistigen Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale eines Individuums …Sie beinhaltet Fühlen, Denken und sämtliche anderen individuellen kognitiven Fähigkeiten…“

Die Autoren von Wiki unterstellen, dass es Geist eigentlich gar nicht gibt, sondern dass er in Seele aufgeht, die es eigentlich auch nicht gibt, weshalb man sie Psyche nennt – was freilich das griechische Wort für Seele ist. Geist = Psyche, x =y

Die beiden zentralen Begriffe der Philosophie und Religion werden durch Übersetzung in den Rang von Fachbegriffen erhoben: Nicht geistig, sondern mental (oder kognitiv), nicht seelisch, sondern psychisch nennt man nun die geistigen und seelischen Tätigkeiten des Menschen. Warum tut man das? Um ihnen die altehrwürdige transzendente Bedeutung abzudefinieren.  „Im Gegensatz zur Seele umfasst die Psyche keine transzendenten Elemente.“ Und Geist? Der wurde schon zuvor wegdefiniert, indem er als Unterfunktion der Psyche bezeichnet wurde.

Übrigens fand dieser Vorgang schon vor vielen Jahren statt: im 9. Jahrhundert auf dem 8. ökumenischen Konzil. Damals wurde die Zwei-Seelen-Lehre, gemäß der dem Menschen eine höhere, unsterbliche Geist-Seele und eine irdische, vergängliche Seele eigen sind, verflucht und zur üblen Häresie erklärt. „Wenn aber einer sich herausnehmen sollte, im Gegensatz zu dieser heiligen und großen Synode zu handeln, so sei er verflucht und ausgeschlossen vom Glauben und Kult der Christen.“

Gespenst/Geist – eine Projektion des kleinen erschrockenen Ich im Spiegel.

Dies ist ein Betrag anlässlich des Pfingstfestes zu Christianes abc-etüden.

Ich habe noch sehr viel mehr zu diesem Thema gesammelt und werde es vielleicht am morgigen Pfingstmontag posten.

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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17 Responses to Was ist das eigentlich: Geist? (Begriffsbestimmung, abc-etüde anlässlich des Pfingstfestes)

  1. Die „Wissenschaft“ trägt diesen Namen eigentlich zu unrecht, da sie wirkliches, also transzendentes Wissen gar nicht haben kann, sofern sie sich nur auf Beobachtungen und Sammlungen.., also den Verstand, bezieht. Da kommst Du nicht weiter auf der Suche nach den transzendenten Begriffen „Geist““ und „Seele“.
    Das heißt natürlich nicht, daß Wissenschaftler ohne Geist und Seele wären; jedoch halten sie sich da bewußt heraus, überlassen das der Psychologie und Theologie. Doch auch diese möchten ja gern zu den „Wissenschaften“ „erhoben“ werden. Nein. erhoben werden sie dadurch nicht.
    Der einfach Denkende und empfindende Mensch steht darin geistig-seelisch höher, weil die Empfindung höher steht als der Verstand, – jedenfalls in der ursprünglichen GEIST-geführten Rangordnung.
    Aber ich verstehe, warum die „Wissenschaft“ sich aus genaueren Erklärungen heraushält. Da beginnen die „Streitigkeiten, weil jede Ideologie diesen „Platz“ bereits für sich „besetzt“ oder „vereinnahmt“ hat, jedenfalls es von sich behauptet.
    Geist und Seele aber lassen sich gar nicht einfangen und in kein „System“ hineinpressen“, sondern sie schweben frei darüber.
    „Da wird der Geist dir hart(?) trainiert, in spanische Stiefel eingeschnürt“, das kennst Du ja aus Goethes Faust, Gerda.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      vielen Dank, Gisela. Mit naturwissenschaftlichen Erkenntnismitteln kann man tatsächlich nicht das fassen, was per definitionem ausserhalb der sinnlichen Wahrnehmung liegt, so wie die Meta-Physik jenseits der Physik. Danke auch für das Goethe-Zitat. Übrigens ist es Mephisto, der das „Geisttraining“ durch die logische Schulung empfiehlt („da wird der Geist euch wohl trainiert…“) Ein bisschen logische Schulung ist freilich nicht zu verachten.

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  2. Geist“ wurde „als Unterfunktion der Seele definiert“? Na, da siehst Du ja, wie verächtlich das alles ist. Der Verstand wurde“erhoben“ und der „Geist“ tief „erniedrigt“.

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  3. Das 8. ökumenische Konzil … Ich glaube, solche Ausschließungen gibt es in allen „Kirchen“, da diese sich „rein“ halten wollen von „falschen Lehren“ und von „Häresie“… Um der „Gläubigen“ Willen und ihres „Seelenheils“.
    Gut, es hilft den „Seelen“ oft, die innere seelische Balance nicht zu verlieren. Natürlich ist das nicht „gut“. Besser wäre es, sich selbst zurechtzufinden.
    Aber hier begibt man sich auch „aufs Glatteis“ und kann leicht hinfallen. Besser ist es, möglichst da zu bleiben, wo man sicher steht.

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  4. Jetzt stellst Du „Gespenst“ und „Geist“ einander gegenüber. Da geht es weiter mit den Verwechslungen und Verwirrungen. wo der Geist regiert, gibt es keine Gespenster. Die tauchen nur auf, wo man unsicher und ängstlich oder böswillig ist.
    Daher ist es sehr wichtig, „den Herd der Gedanken rein zu halten“ von solchen z.T. gefährlichen Gedankenspielchen.
    Aber das muß natürlich jeder selbst für sich entscheiden.
    Nur wo ernstes Suchen vorhanden ist, darf man sich auch in gefährliche Regionen vorwagen.
    6Aber da hilft uns dann die Nachstenliebe, um nicht seelisch zu Schaden zu kommen.
    So, Gerda. das war jetzt meine „wissenschaftliche Abhandlung“ zu der Thematik.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      na ja, ist wohl eher eine Predigt als eine wissenschaftliche Abhandlung. Aber in der Aussage stimme ich dir zu: Gespenster, auch zu Unrecht Geister genannt, „tauchen nur auf, wenn man ängstlich ( …. ) ist“. Genau das sagt ja auch mein Legebild.

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  5. Avatar von Verwandlerin Verwandlerin sagt:

    Vielen Dank für diese kurzweiige Begriffsklärung und frohe Pfingsten, liebe Gerda!

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  6. Avatar von Christiane Christiane sagt:

    Ha, Gerda, danke, ich habe beim Lesen bemerkt, wie brauchbar ich diese Definition finde: „Seele“ hat einen transzendenten Anteil, „Geist“ bzw. „Psyche“ haben ihn nicht (über Psyche muss ich noch einmal nachdenken). Also sind „Geist“ und „Seele“ schon definitionsgemäß nicht dasselbe, denn mir kommt es genau darauf an.
    Danke dir für die Etüde! Ich bin auf eventuelle weitere Ausführungen gespannt.
    Morgenkaffeegrüße 🌦️🌳🎶☕🍪

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    • Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

      Danke dir, Christiane, fürs wohlwollende Kommentieren. Geist hat natürlich ebenfalls einen „transzendenten Anteil“, doch wenn man ihn als „kognitive Fähigkeiten“ und „mentale Prozesse“ der „individuellen Psyche“ definiert, verliert er sich genauso wie bei der Übersetzung von Seele in Psyche. Meines Erachtens ist das Schummelei, um sich aus der Verlegenheit zu helfen, die diese Begriffe darstellen, wenn man die Psychologie auf naturwissenschaftliche Methoden gründen will. Freud benutzte den Begriff „Seele“ noch, doch seine Nachfolger fanden ihn wohl peinlich.

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  7. Ja Gerda, es war und ist mir durchaus bewußt, daß Mephisto es war, der diese spitzfindigen und herausfordernden Worte formulierte. Der versteht sich auch gut aufs Wort verdrehen und Rechterdrehen; aber ab und zu trifft er auch genau „ins Schwarze“ und bringt etwas „auf den Punkt“. Man sollte sich von ihm nicht “ ins Bockshern jagenlassen“, sondern „auf dem Posten stehen“, um ihn mit den eigenen Waffen notfalls zurückzuschlagen. Aber am besten, man ist vorher wach, damit man nicht in die Rolle der Abwehr kommt.

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  8. Avatar von Peter Klopp Peter Klopp sagt:

    Die Wortverdrehungen erinnern mich sehr an Orwells Roman 1984. Darin zeigt er uns, wie die Bedeutung von wichtigen Begriffen so verdreht werden, dass der Mensch nicht mehr in der Lage ist, seine Gedanken zum Ausdruck zu bringen.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Danke, Peter. Ich las mal irgendwo, die Psychologie habe es im 19. Jahrhundert, als sich die Disziplinen aus den allgemeinen Humanwissenschaften ausdifferenzierten und alle plötzlich Naturwissenschaften werden wollten, fertiggebracht, eine Wissenschaft über etwas zu etablieren, an dessen Existenz sie nicht glauben.

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  9. Hach, ich lieben Deinen ‚Bildungskanal‘! Er ist für mich eine echte Bereicherung. Das 8. ökumenische Konzil z. B. war mir noch nie über den Weg gelaufen und ich finde das, was die Herren damals so herauspostuliert haben in seinen Konsequenzen ziemlich nachdenkenswert.

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