Das Welttheater des Jahres 2023 verabschiedete sich mit einem Themenbild, das von der Dame Transparenz aka Diaphania dominiert wurde (Diaphania ist griechisch, Transparenz lateinisch). Sie hat im laufenden Drama nur wenige Auftritte gehabt, aber im Schlussbild stand sie plötzlich da.
Am 1. Januar überlegte ich dann:
„Ob mir noch eine neue Leitfigur einfällt, um dem Neuen Jahr eine Form zu geben? Das wäre vielleicht eine Idee: Transparenz ist kein so schlechtes Motto.“
Johanna kommentierte zustimmend: „Ja, Transparenz ist gut, so klar wie das Wasser da bei Euch“.
Lyrifant bestärkte mich: „Transparenz wäre doch ein schönes Thema – sowohl philosophisch-gesellschaftlich wie auch in Hinblick auf die Materialien …“
Dieses „wie auch in Hinblick auf die Materialien …“ elektrisierte mich. Genau! Hatte ich nicht schon mit „Überblendungen“ experimentiert? Aus dem „philosophisch-gesellschaftlichen“ und politischen Thema ließe sich sicher auch künstlerisch was machen. Wie? Was? Das weiß ich noch nicht. Aber mein Hirn fing an zu rattern. Danke, Sabine!
Ich weiß noch nicht, ob es dieses Thema wird, denn es stehen noch weitere zur Auswahl.
Wer war diese „Transparenz“ des Welttheaters? Einiges erfahren wir im Vorstellungsgespräch, das Dora noch vor Beginn mit der Dame Diaphania führte.
12.12.2022 (Dora interviewt die Kandidaten)
Dora: „Ich glaub, ich nehm heute die Transparenz, die sieht so durchsichtig aus, da wird es leicht sein.“
Nachdem sie Diaphanias Bewerbungsschreiben durchgelesen hat, ist sie nicht mehr so sicher:
„Was fehlt, ist Transparenz! Sie fehlt in allem: In der Politik, der Wissenschaft, den Medien, der Geldwirtschaft, sie fehlt auch in den Motiven der Menschen, die Besserung versprechen.“ Scheinheiligkeit-Verlogenheit- Täuschung sei das größte Gegenwartsproblem. Was also am meisten vonnöten sei, sei Transparenz in allen Angelegenheiten…
„Klingt überhaupt nicht leicht“, seufzt Dora. „Sie sagt nur, wo sie nicht ist. Wie soll ich jemanden befragen, der fehlt? Aber egal, ich werde diese Transparenz schon auftreiben.“
Tatsächlich findet Dora sie in der Abteilung Stadtplanung, wo ich sie am wenigsten vermutet hätte. Fast hätte sie sie übersehen, da sie sich perfekt in die komplizierten Entwürfe für den neuen Stadtteil einpasste.
„Hallo, Transparenz, wie gut, dass ich Sie antreffe!“ kräht Dora los. „Ich möchte Sie wegen Ihrer Bewerbung fürs Jahr 2023 befragen. Was meinen Sie damit, dass Sie überall fehlen?“ – „Nun, hier bin ich am Werk, aber wie du siehst: Es ist kompliziert. Ich muss die vielen Verbindunglinien, Knoten, Kreise und Überschneidungen des Planungsbüros mit anderen Abteilungen und Interessenten überprüfen. Du darfst mich übrigens gern duzen.“ – „Könntest du mir bitte erklären, wie du das mit dem Überprüfen machst?“
Die Transparenz überlegt kurz und meint dann: „Dies ist eine zu komplizierte Materie für einen jungen Menschen wie dich. Ich werde dir meine Arbeit in einem anderen Sektor erläutern. Es handelt sich um den Sektor „Mythos und Geschichtsfälschung“…..
Den Rest kannst du bei Bedarf nachlesen (hier).
………………
„Transparenz ist das, was fehlt“. Deshalb also hatte sie im abgelaufenen Jahr auch kaum Auftritte. Schon bei ihrem ersten Auftritt (2. Januar 2023) kommt sie erstmal nicht zu Worte (hier). 
Am nächsten Tag hat sie dann doch ihre Chance (https://gerdakazakou.com/2023/01/03/welttheater-2023-2-januar-debuet-fortgesetzt/) :
Unter dicken Schichten der Täuschung
liegt Wahrheit verborgen,
Kratzt du, riskierst du Enttäuschung
und ernsthafte Sorgen.
Doch das soll dich nicht erschrecken
die Wahrheit ist’s wert
Zu suchen, was sie verstecken
ist niemals verkehrt.
Das klingt ja … nun … wie aus einem Ratgeberbuch. „Niemals verkehrt“, „Enttäuschung riskieren“ .. also ich weiß nicht. Es muss doch noch einen etwas handfesteren Beitrag von ihr geben. Aha, ja! Sie legt sich mit Schurigel, dem Angstmacher an.
Schurigel:
„Der Mensch versuche die Götter nicht
und begehre nimmer und nimmer zu schauen,
was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen“.
So sprach schon Schiller, so spreche auch ich!
Was hinter dem Vorhang, ist fürchterlich
Was kommt, ist schrecklich, ist Krankheit und Not,
Und wenn du nicht aufpasst, dann holt dich der Tod!
Diaphania hebt ihre Lupe und beäugt Schurigel:
Du bist ein aufgeblasener Wicht,
das seh ich klar
Du glaubst selbst deine Worte nicht
sie sind nicht wahr.
———
Also, das imponiert mir. Ich erkenne selten so schnell, was an Worten, Menschen oder einer Sache dran ist. Diaphania hat diese Gabe. Vielleicht lohnt es sich wirklich, sich näher mit ihr anzufreunden.
Was hat sie denn sonst noch zu sagen?
Am 8. Februar des Jahres 2023 sind sich die Dichterin Domna und Tschinn der Macher in die Haare geraten. Tschinn will am Strand einen Bau hochziehen und beruft sich auf das Recht des Stärkeren. Er beleidigt Domna, Jenny und auch Trud, die irritiert fragt:
Trud:
Er hat wohl keinen guten Stil?
von Transparenz hält er nicht viel?
Clara:
Da kommt sie schon! die hohe Dame!
Ich frag sie mal, ob das ihr Name.
Wenn es dich interessiert, wie die Dame Diaphania argumentiert und handelt, dann kannst du bei Recht gegen Recht nachlesen. Hier der wesentliche Auszug:
Diaphania:
Sprich, guter Mann, was ist dein Argument
was dein Begehr, und was dein Dokument?
Tschinn:
Ich bin zwar keine Rechenschaft dir schuldig,
doch sag ichs gern noch mal: Dies ist Privatbesitz.
Ich habs den Damen eben schon geduldig
erklärt, dass ich hier baue einen Ruhesitz
für Menschen, die ihr Leben lang mit Fleiß
sich mühten und, am Ende von Erfolg gesegnet,
sich leisten können, müde vom vergossnen Schweiß,
dass Lust und Wohlsein ihnen hier begegnet.
Diaphania:
Sehr wohl, ich hab verstanden jetzt dein Argument.
Doch würde ich gern sehen auch das Dokument
das mir bezeugt, dass du zu Recht hier waltest
wenn du ein Wohngebiet für Reiche hier gestaltest.
Tschinn:
Ein Dokument? O, das ist leicht gebracht.
(für sich) Denn wo das Geld ist, da ist auch die Macht.
Ich bring es euch, sobald ihr euch ausweiset
mir sagt, wer euch befugt und wie Ihr heiset.
Diaphania zieht mit einer sachten Bewegung den rechten Vorhang vor die Bühne.
Domna:
Nun hör auch mich, verehrte Frau.
Du siehst die Bucht, siehst auch das Meer, den Strand.
Du siehst den angefangnen Bau
den dieser Mann hier setzte in den Sand.
Ich sehs ja nicht mit Augen, weil ich blind,
doch in der Seele kann ich es erschauen,
wie hier ein freier Ort, an dem ein Kind
aus Sand wohl möchte Burgen bauen
nun abgesperrt nur noch die Reichen duldet.
Das ist nicht Recht. Die Erde dient uns allen
Und niemand ist, der ihr nicht Liebe schuldet.
Wer dürfte sich ein Stück für sich erkrallen?
Diaphania:
Nenn das Gesetz, auf das du dich berufst.
Domna:
Nicht ich wars, auch nicht du, die es erschufst
Es ist das Recht, das immer schon gegeben
und ohne das es gar nicht gäb das Leben:
Wer nimmt muss geben und der gibt, der nimmt.
Es wacht die Nemesis, das diese Rechnung stimmt.
Tschinn:
Was redst du da? wer ist schon Nemesis?
Die ist passee, auf die geb ich kein Schiss.
Inzwischen ist doch längst geklärt:
Nur ein Gesetz hat sich bisher bewährt.
Der Fitteste ist Herr, die anderen sind Knechte
Und wer sich durchsetzt, ist dann auch im Rechte.
Jetzt bleibt nur noch die Frage offen, wie Diaphania das Rechtsproblem löst. Im Welttheater kann man es nachlesen.
Diaphania (zu Tschinn):
Ich sehe, verstehe nun gut, wie ihr euch die Dinge
erklärt und was euch bedeutet das Recht.
Wenn es allein nach eurer Meinung nur ginge
Herr Tschinn, dann stünde es schlechter als schlecht
um unsere Welt, wo was ihm gefällt, sich jeder gleich raubt
Und wer als Erster erscheint, der nimmt was er will.
Ein solches Verhalten ist nicht mehr erlaubt
und war es schon nicht, als einstens Achill
die Tochter des Chryses, die schöne Chrisseis
von Agamemnon forderte, die dieser selber begehrte.
Apoll bestrafte sie beide, und auf sein göttlich Geheiß
schon bald die wütende Pest das Lager der Griechen verheerte.
So begann die Geschichte, die die Alten erzählten
und die bis heute noch nicht ist beendet
Begierden sind Räuber, sie plagen und quälten
die Menschen, so wurde die Erde geschändet.
Ich frag dich noch mal, hast du ein Dokument
das dich als Käufer und Besitzer nennt?
Hast du es nicht, so soll dies Haus verschwinden
Ein andres Urteil kann ich nicht erfinden.
Tschinn:
Ich habs nicht hier, ich bringe es dir morgen
nur keine Angst, ich werd es schon besorgen.
Wo ist Kairos, mein Biest, der wird gleich laufen
und ein paar Politbonzen kaufen.
Kairos? Kairos? wo bist du hin?
Ich bins, der ruft, ich bins, der Tschinn!
Er kommt nicht, er gehorcht mir nicht?
Was tu ich da, ich armer Wicht?
Was ich begonnen, ist zerronnen
und gar nichts habe ich gewonnen!
Das Gebäude löst sich in Luft auf.
Eine interessante Persönlichkeit, diese Diaphania des Welttheaters. Doch die ist nun mitsamt der ganzen Truppe abgetreten….
Aber vielleicht lässt sich ein neues Stück aufziehen, in der Diaphania die Hauptrolle spielt? Sie ist allerdings ziemlich blutleer und abstrakt.
Oder ich vergesse das Theater und die Poesie und behandle das Thema Transparenz nach Aspekten politisch-wissenschaftlich-künstlerisch in unterschiedlichen Kapiteln…. Mal sehen.


das Thema Transparenz wäre sehr spannend!
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„Was nun“ hast du unter einem meiner Kommentare erst gestern oder vorgestern noch geschrieben. Bevor ich mir eine Leitfigur für das Jahr wünschen konnte, kommt sie nun hier und eine meine Lieblingsfiguren, Dora, fragt sie ein wenig aus.
Diaphania und da Thema Transparenz würde mich interessieren. In Reimform, aber auch als Prosa. Bildlich gibt sie sicher wunderbare Vorlagen für das Auge. Deine Überblendungen passen da sehr gut. Ich bin gespannt was dir noch einfällt.
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Hab ich dir schon geantwortet, liebe Mitzi? Wenn nicht: Danke für deinen Zuspruch und deine Gedanken zum möglichen Vorgehen.
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Ich bin für die realistische Prosaversion, aber es ist natürlich deine Entscheidung wie du die Sache aufziehen willst 😉
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Ich schließe mich Myriade an 🙂
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Danke, Myriade. Die Reimerei ist wohl nicht so deins?
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So kann man das nicht sagen. Deine Kata-Stophen zum Beispiel mag ich sehr: kurz, witzig, zu einem Thema. Aber die Form deines Weltentheaters gefällt mir nicht, nämlich die Mischung aus Lyrik diverser Autoren, streckenweise sehr bemühtem eigenem Gereime, streckenweise Reimen, wo die Vermittlung des Inhalts nach Prosa schreit. Für mich ist es nicht aus einem Guß.
Ich schreibe das übrigens nur, weil du gefragt hast 😉
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Danke, Myriade. Ja, ich habe gefragt, weil ich es wissen wollte. Vermutlich bist du nicht die einzige, die das gereimte Welttheater so empfunden hat. Ich habe immer wieder gezögert, ob ich weitermache, habe zwischendurch ja auch ausgesetzt. Insgesamt bin ich aber doch glücklich mit dieser Form geworden. Ein „Jedermann“ oder gar der „Faust“ ist es nicht geworden, aber ich bin zufrieden.
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Wenn du damit zufrieden bist, ist ja ein großer Teil des Anspruchs erfüllt.
Ich fände es interessant, ob so ein Projekt, das doch von seiner Form her um Jahrhunderte außerhalb seiner Zeit liegt, Erfolg haben könnte. „Jedermann“ zB wird alljährlich aus Tradition aufgeführt, ob es dem Publikum als neues Stück gefallen würde, bezweifle ich sehr. Auch „Faust“ oder gar „Faust2“ wird kaum aufgeführt. Von Faust 2. heißt es immer wieder, dass es eigentlich kaum inszenierbar ist. Der Stoff wiederum wird in vieler Form neu bearbeitet, weil es halt universelle Themen sind. Es stellt sich die Frage, ob „der Zeit ihre Kunst“ wie es auf der Wiener Sezession steht, auch für Literatur Berechtigung hat ….
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Hm, ich weiß nicht, ob es ein gutes Kriterium ist zu fragen, ob etwas „der Menge gefällt“. Ich würde sofort ins Theater rennen, wenn ich Gelegenheit hätte, Goethe oder Hofmannsthal auf der Bühne zu sehen. Die Texte sind einfach großartig (für mich). Obs dann auch die Inszenierung bringt, ist eine zweite Frage.
Das Zeitgenössische ist eine andere Kategorie. Nun könntest du mit einem gewissen Recht sagen, dass mein „Welttheater“ sich an heutige Ausdrucksformen halten sollte. Und doch: was ist das Zeitgenössische? Es ist das Post-Moderne, für das das Zitat und die Neuzusammenstellung älterer Formen geradezu charakteristisch ist….
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Den „Jedermann“ kannst du jedes Jahr im Sommer bei den Salzburger Festspielen sehen. Bei Schönwetter im Freien auf dem Domplatz, dann hallt „jedermann“ über den Platz. Sehr endrucksvoll, aber die Inszenierungen wechseln jährlich…
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Die Transparenz als Erscheinung und Methode „an sich“ scheint mir für dein künstlerisches Schaffen so vielversprechend, dass sie die Allegorie und das Theater nicht braucht.
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Vielen Dank, liebe Andrea! Ich drehe und wende das Thema schon in meinem Herzen.
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Das schöne an der Transparenz ist ein passendes Maß an Intransparenz…
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So ist es, danke, lieber Joachim. Das wussten schon immer die Damen. Heute ist dies Wissen ein wenig in Vergessenheit geraten. 😉
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