Lieber den Spatz in der Hand ….(Impulswerkstatt)

Ein Versatzstück deiner Impulswerkstatt, liebe Myriade, lautet: Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach. In diesem Spruch ist eine Lebenshaltung abgebildet, die manchen Menschen behagt, anderen aber ein Gräuel ist. Denn wer die Taube erreichen will, dem wird der Spatz in der Hand wie eine Niederlage erscheinen.

Die einen geben sich zufrieden mit dem, was sie erreicht haben. Die anderen sind sehnsuchtsvolle Hungerleider nach dem Unerreichlichen  (Faust II, hier nachzulesen).

Ich habe ein paar Legebilder aus dem Archiv gekramt, die solche unterschiedlichen Lebenshaltungen illustrieren. Und angesichts des Schnees, der bei euch so reichlich fällt, habe ich solche mit schneeweißen Schnipseln gewählt. Sie stammen übrigens von Marie (http://mmandarin.wordpress.com/). Danke, Marie!

Zugvögel ziehen in freiem Flug von Norden nach Süden! Heijaa! Die Flügellosen schauen ihnen verständnislos nach. Sehnsuchtsvolle Hungerleider! Ist es bei uns zu Haus nicht am schönsten? Hier haben wir Eis und Schnee, und satt zu essen!

Dass auch der Norden als Magnet wirken kann, weiß der Italien-verliebte Goethe.

Glänzen sah ich das Meer und blinken die liebliche Welle,
Frisch mit günstigem Wind zogen die Segel dahin.
Keine Sehnsucht fühlte mein Herz; es wendete rückwärts,
Nach dem Schnee des Gebirgs, bald sich der schmachtende Blick.
Südwärts liegen der Schätze wie viel! Doch einer im Norden
Zieht, ein großer Magnet, unwiderstehlich zurück.

O ja, Glänzen sah ich das Meer und blinken die liebliche Welle, Frisch mit günstigem Wind zogen die Segel dahin. Keine Sehnsucht treibt den Menschen am Bug des Bootes um. Er ist mir dem Spatz in der Hand glücklich.  Ach, spricht er, die größte Freud ist doch die Zufriedenheit. (Wilhelm Busch, Lehrer Lampe in Max und Moritz)

Die Frau aber wird von ihrer Sehnsucht umgetrieben: Was soll ich an Bord? Ach, könnte ich zum Fisch werden und immer im Meere leben!  Ganz hoch oben hockt ein drittes Menschlein und sieht den Vögeln zu: Wer fliegen könnte wie ihr!  Sehnsuchtsvolle Hungerleider nach dem Unerreichlichen und Liebhaber der Tauben auf dem Dach sind sie.

Spielerisch der eine, arbeitsam und haushälterisch der andere. Grille und Ameise, nennt der Fabeldichter sie.  Der eine plädiert für die Taube, der andere für den Spatzen.

Steht die Welt kopf? oder bist du es, der kopfsteht? ….

Bin hochgestellt, beherrsch die Welt! so freut sich die Kleine. Ick lass mir nich aufm Kopf rumtanzen, grummelt der andere. Und wenn er sich auch auf den Kopf stellt: Was ändert das? Hier zögere ich: Ist die Kleine womöglich der Spatz, der davon träumt, eine Taube zu sein?

Der eine kommt hoch zu Ross daher, der andere schleppt sein Sach sich nach. Und spricht zu sich: Lieber eine Tüte mit Eiscreme in der Hand als einen Pferderücken unter dem Hintern. Ein typischer Spatzenliebhaber, denke ich. Der Reiter aber ein Don Quichote?

Apropos Don Quichote: Der kam mir gestern in den Sinn, als ich die Ritterspiele beendet hatte. Ist er nicht geradezu der Prototyp des Spatzenverächters und Taubenersehners? Mit dem damals noch kleinen Willi des Jahres 2021 unterhielt ich mich über diesen Ritter von der traurigen Gestalt, der so ganz anders war als die Kreuzritter auf deinem Foto, liebe Myriade.

Beide sind Nostalgiker, beide sehnen sich nach Zeiten, die unwiederbringlich vorbei sind. Aber während Don Quichote noch einmal ernsthaft die Rittertugenden zu leben versucht und sich damit in Gefahr bringt und lächerlich macht …

reichen den bequemen Kreuzrittern der Gegenwart Äußerlichkeiten wie Kostüme und Insignien. Sie sind zufriedene Spatzenliebhaber.

Dies ist ein Beitrag zu Myriades Impulswerkstatt: Bild 3 und Satz 2

 

 

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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11 Responses to Lieber den Spatz in der Hand ….(Impulswerkstatt)

  1. Avatar von PPawlo PPawlo sagt:

    Was für ein großartiger Beitrag in Bild und Schilderungen , Gerda! Fantasiereich und tiefgründig , klug und verwegen zugleich! Wie schaffst du das alles Nur??? Chapeau! Die Frage, ob der Spatz eine Taube sein will, ist für mich das pikante i-Tüpfelchen. 😉 Herzlich, Petra

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  2. Avatar von Myriade Myriade sagt:

    „sehnsuchtsvolle Hungerleider nach dem Unerreichlichen“ Ja, das trifft bei mir einen Nerv. Für Sehnsucht ohne Versuch, das, was man sich wünscht zu erreichen, habe ich auch wenig Verständnis. Man kann ja auch das Unerreichliche aufgeben und ein anderes Ziel anstreben, aber immer nur Sehnsucht und Träume finde ich doch recht deprimierend.
    Ach, das ist ein Thema mit sehr, sehr vielen Aspekten, aber natürlich hauptsächlich eine Sache der individuellen Lebenseinstellung . Man findet den jeweils anderen Ansatz furchtbar 😉
    Sehr ausdrucksstarke Legebilder sind das ! Besonders gefallen mir die Zugvögel mit dem roten Faden.
    Herzlichen Dank für wieder einen sehr interessanten Beitrag !

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Da sind nun all deine vergeblich geschriebenen Kommentare (für die ich dir danke) heute im Spam aufgetaucht. All die Tage schaute ich nach: kein Spam. Heute dann gleich acht, einige Kommentare schon zwei Wochen alt…

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      • Avatar von Myriade Myriade sagt:

        Ach, du meine Güte! Das ist doch wirklich lästig, außer man betreibt linguistische Studien und vergleicht zwei aufeinanderfolgende Versionen dahingehend, ob da genau dasselbe steht 🙂

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  3. Avatar von finbarsgift finbarsgift sagt:

    Was bist du bloß für ein wundervolles, vielseitiges Kunstgenie, liebe Gerda!
    Mir stehen mal wieder meine Glotzerle bis zum Anschlag weit offen …
    Herzliche Grüße aus dem Ländle vom Lu

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  4. Avatar von Mitzi Irsaj Mitzi Irsaj sagt:

    Eine sehr feine Kombination. Die Legebilder, diesmal in klarem Weiß und deine Gedanken zu Spatz und Taube. Ich halte es wohl meist mit Meister Lampe und mag den kleinen Spatz.
    Im Goethe Zitat finde ich mich auch wieder.

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  5. Das ist sehr umfänglich, liebe Gerda. 🙂
    Ich las von Sehnsüchten, die eine umtrieb..und da war es das Mehr, das ihr lieblich erschien.

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