Beim vorgestrigen Aussortieren im Atelier stießen wir auf eine Federzeichnung, die Will.is besonderes Interesse erregte. Er hat ja eine Schwäche für Ritter, weiß der Himmel warum. Jedenfalls sonderte er eine Federzeichung von Don Quichote und Sancho Panza (Kopie nach Gustave Dore) aus dem Haufen und wollte wissen, wer und was das sei….
… um welche Art von Helden es sich handele. Dass es Helden sein müssen, stand nicht zur Debatte.
„Das sind Don Quichote auf dem Pferd Rosinante und Sancho Panza auf einem namenlosen Esel“, gab ich Auskunft. „Die lebten vor mehr als 500 Jahren in Spanien. Oder vielleicht lebten sie auch nicht, aber ein Dichter namens Cervantes hat sie lebendig gemacht – so sehr, dass sie auch heute noch lebendig sind.“
„Und wo leben sie jetzt? Auf der Burg vielleicht?“ Ich lachte. „Nee, nee, mein Will.i, sie leben anders, also zum Beispiel in mir. Mal bin ich Don Quichote, sitze auf dem hohen Ross, schaue hinauf zu den Sternen und predige: „So und so müsste die Welt sein, so sollte sie sein!“ und verwickle mich in allerlei Kämpfe, damit mehr Gerechtigkeit in der Welt herrscht. Dabei hole ich mir dann leicht eine blutige Nase. Dann wieder bin ich Sancho Panza und schimpfe mit mir: „Hör auf zu träumen und pass auf deine Füße auf, sonst fällst du wieder auf die Nase“. Sancho Panza ist ein Realist, und Don Quichote ein Idealist“.
So ganz verständlich scheint meine Erklärung nicht gewesen zu sein, denn Will.i guckte verwirrt und wusste nichts zu fragen. Also setzte ich von neuem an: „Ein Idealist wie Don Quichote hat ein paar Ideen im Kopf, zum Beispiel meint er, dass die Menschen von Natur aus edel und gut sind, dass man die Frauen und Kinder schützen soll und dass Gerechtigkeit auf der Welt herrschen soll. Auf der anderen Seite sieht er böse Mächte am Werk, die den unschuldigen Menschen allerlei Übel zufügen. Also wirft er sich in die Schlacht, um den die bösen Mächte auszurotten.“ – „Das ist richtig!“ befand Will.i. „Don Kischot macht es richtig! Gegen die Bösen muss man zu Felde rücken.“
„Schon“, gab ich zu bedenken. „Das Dumme ist, dass man nicht immer gleich erkennt, wer gut und wer böse ist. Realisten wie Sancho Panza wissen das, sie sagen: „Manche Menschen sind nur ein bisschen gut und sonst ist mit ihnen nicht viel los, und andere sind zwar ein bisschen böse aber nicht wirklich schlecht.“ Sancho Panza weiß das, weil er selbst so ein gewöhnlicher Mensch ist: ein bisschen gut, ein bisschen böse, ziemlich verfressen und andererseits auch ein guter Kumpel.“
„Der Sanso Pansa hat wohl recht“, meinte Will.i. „Ich bin auch so und so. Aber dieser Don Kischot ist auch in Ordnung. Wenn niemand gegen die Bösen zu Felde rückt, wärs auch Mist, oder?“
Was wir sonst noch redeten – über Illusion und Täuschung, Wirklichkeit und Traum, Rittertum und Demokratie … – kann ich hier nicht alles niederschreiben. Es wird einfach zu viel.
Liebe Gerda, auch wenn ich Dich bei Christiane heute kritisch gesehen habe, so verstehe ich den Widerspruch in Dir und vor allem auch Dein Ansinnen in Richtung Kishot, das Dich wohl mehr antreibt!
In jedem Falle: meinen Dank und meinen Respekt hast Du!
LG Werner
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Lieber Werner, unterschiedliche Ansichten sind in dieser (wie auch in allen anderen) Fragen das normalste von der Welt. Ich freu mich,wenn wir uns gegenseitig respektieren, mehr verlangt niemand. Liebe Grüße!
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„Ansichten“ ist im Grunde das Unwort des Jahres, finde ich, liebe Gerda.
Vielleicht müsste man ein anderes Wort finden 🙂
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Was ist an dem Wort verwerflich, Gerhard?
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Aber es wäre sicher viel dazu zu sagen. Und Vergleiche zum Heute kommen sicher auf.
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Ja, liebe Gisela. Manchmal fhlt man sich ja schon, als kämpfe man gegen Windmühlenflügel.
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So ging es Don Quichote.
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Nein, so ging es ihm nicht. Er dachte, dass er gegen Riesen kämpfte. Und am Ende des Romans verbrennt Don Quijote seine Ritterbücher, weil sie ihn vom wahren Leben fern hielten
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Danke für die Korrektur. Ich habe den Roman, glaube ich, damals nicht zuende gelesen.
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Ich habe den zweiten Band auch nicht gelesen. Nur die Zusammenfassung.
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Das Thema Realismus und Idealismus ist aber spannend, und dazu paßt natärlich der Roman. Nur sind die Deutungen wahrscheinlich unterschiedlich. Was denke ich? Ideale sind wichtig; aber man/frau darf dabei die Realität nicht vergessen. Wir leben hier auf Erden.
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Ich habs ja unten dargestellt: Don Quichote kämpft gegen Windmühlenflügel, die er für ein anstürmendes Riesenheer hielt (die in Windmühlen verzaubert wurden). Er sah die Welt durch die Brille angelesener Ritterromane und wollte unbedingt Unschuldige retten und sie von bösen Mächten befreien – auch wenn es sie so gar nicht gab. Seine Ideale waren hehr, aber er lebte in einer Illusionswelt. Das ist die eine Gefahr. – Die andere Gefahr ist, so wie Sancho Panza nur das Essen und Trinken und ähnliche Genüsse für anstrebenswert zu halten. Auch er ist Opfer einer Illusion – aber der umgekehrten: er denkt, er könnte sein Glück als König auf einer Insel finden.
Das Ende des zweiten, viel spätergeschriebenen Buchs ist wohl eher ironisch gemeint: Don Quichote verbrennt, bevor er stirbt, noch schnell seine Bücher, und Sancho Panza, der das Königsein satt hat, kehrt zu seiner Frau und bäuerllichen Tätigkeit zurück.
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Weil ich den Roman nicht zuende las, kann ich nicht viel dazu sagen.
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Gerne saß ich auch heute ein paar Momente bei euch und hörte lesend zu. Es brauch wohl beides Realismus und Idealismus. Wichtig nur, dass es ein paar mehr Idealisten gibt. Die holt der Realismus ab und an ein und doch bleib hoffentlich genug von ihren Ideen und Vorstellungen übrig.
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Danke, MitzI! Ohne Realismus ist der Idealismus in Gefahr, purer Illusionismus zu werden. Und ein Realismus ohne Unterfütterung durch höhere Ideen ist platter Materialismus. Der geniale Cervantes hat dies Doppelgespann wohl geschaffen, um die Gefahren beider, wenn sie sich fehlentwickeln, deutlich zu machen.
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Du bringst es mit wenigen Sätzen auf den Punkt, liebe Gerda. Bei Gelegenheit werde ich das Gespann wieder einmal zur Hand nehmen und vielleicht mit anderen Augen lesen. Ich war ein Teenager beim ersten Mal und mochte das Buch nicht sonderlich. Mal sehen, manchmal brauche ich ein gewisses Alter um ein Buch zu mögen (oder nicht mehr zu mögen).
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Ach Gerda, sag Deinem Will i, dass der Don Quichote auch mein immerwährender Held war und ist. Nun, ich habe mit der Zeit gelernt auch den Sancho zuzulassen, aber wählen tue ich immer noch den Don Q.
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Schön sagst du das, Melina. Auch ich liebe Don Quichote, den Ritter von der traurigen Gestalt.
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Wahrscheinlich brauchen wir beides… allerdings kommt drauf an was sich dahinter verbirgt, denn die Begriffe sind ja heute alle umgedreht/verdreht. Wenn jemand sagt er sei ‚Realist‘, werde ich meistens unruhig….
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🙂 Ja, die Leute, die sich selbst Realist nennen… Ich sehe förmlich, wie sie die Meßlatte des Lebens niedriger hängen.
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Ein schwieriges Thema
Gute Menschen haben auch schlechte Eigenschaften und die schlechten Menschen können bei bestimmten Situationen auch Güte zeigen. Nicht so einfach mit dem Gut und Böse…
Vieleicht kann es der Will.i auf den Punkt bringen?
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Der Punkt ist hier wohl die Einsicht, dass niemand nur schlecht und niemand nur gut ist, liebe Bruni, Oder auch: dass auch der Realist träumt und der Träumer die Welt kennen muss.
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Genau so ist es, liebe Gerda
Du hast es
ganz wundervoll formuliert
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