Der 4. Akt dieses kleinen Welttheaters endete am 16. Mai (man richtet sich zur Nacht ein) , es folgte am 18. Mai ein Zwischenakt mit Domna, an dessen Ende alle schlafen und sich auch Domna zur Ruhe bettet. Am 25. Mai zog ich, ohne dass Neues passiert wäre, eine 10. Zwischenbilanz.
Seither herrscht Sendepause. Was ist los? Schlafen die Helden immer noch, wie einst Dornröschen, und warten auf den erweckenden Kuss des Prinzen? Sind die Protagonisten in Streik getreten? Hat die Welt aufgehört, sich zu drehen?
Nichts von alledem. Die Autorin dieses Theaterstücks ist in einen Tiefschlaf gefallen. Die Muse schleicht um ihr Kopfkissen herum und kann sich nicht zum weckenden Kuss entschließen. „Lassen wir sie schlafen“, höre ich sie raunen. “ Sie träumt grad so friedlich vom Meer, vom Sommer und von lieben Besuchern, von Katzen und Blumen. Die Welt dreht sich auch ohne sie weiter.“
Ich höre sie raunen … also schlafe ich nicht mehr so fest? Will ich aufwachen? Möchte ich mich an den 5. Akt des Welttheaters wagen?
Ich seufze tief und habe Lust, mich auf die andere Seite zu drehen. Doch nun höre ich Jenny-the-Kid mosern:
Soll ich ein Leben lang beim Schäfer bleiben?
Ich möcht auch mal was andres treiben
als Schafe melken, Butter rühren
und Dreck wegfegen vor den Türen
Abud stimmt ein:
Ist schön und gut beim Schäfer hier
Doch gibt er mir nur selten Bier
Ich höre sie und denke bei mir: Ich hatte eigentlich gehofft, dass diese jungen Herumtreiber hier Fuß fassen, Wurzeln in den Boden versenken, sich vielleicht ineinander verlieben, ein Häuschen im Dorf bewohnbar machen, Kinder kriegen. Danai könnte einen Garten anlegen und die Kinder hüten und belehren, und Domna hätte ein Dach über dem Kopf und ein Zimmerchen, um in Ruhe zu dichten. Trud müsste keine Fragen mehr stellen und wenn sie es doch nicht lassen kann, so macht es auch nichts. Clara und Hawi hätten alles, was sie brauchen: ein Zuhause, eine Familie, Freunde, Tiere, und jeden Tag was zu essen. Wilhelm käme in dieser Kommune eine wichtige Rolle zu, denn er hat irgendwo im Hintergrund ein Vermögen, aus dem man schöpfen könnte, um einige der verfallenen Dorfhäuser zu kaufen und zu revonieren. Menschen „so-wie-du“ kämen vorbei, angelockt durch ein vagues Gerücht und die schöne Natur – Höhle, Wald und Sumpf, Ölbäume und einen unberührten Strand -, sie entschlössen sich zu bleiben, das Dorf belebte sich, eine freie Schule würde entstehen, man würde Musik und Theater spielen, ums Feuer tanzen und Geschichten erzählen, kleine Kultstätten aus Steinen und Wurzeln entstünden, ein Museum, in dem man alte Handwerksgeräte ausstellt und Anbautechniken lehrt… Der Ort wüchse und würde berühmt, von überall her strömten sie herbei, um das harmonische Zusammenleben von Schwarz und Weiß, Alt und Jung, Mann und Weib, Mensch und Tier und Wald und Feld zu bestaunen, Interviews und Reportagen fürs TiVi zu machen, das neue Wirtshaus mit ökologisch und ökonomisch ausgezeichneter Bilanz hätte gut zu tun …
Ich bin nun vollends wach. Und höre Jenny maulen:
Du und dein Bier! Du hast schon einen Bauch
und Abud kontern
und deine Haare sind wie Kraut und Lauch!
Du liegst mit deinem Jammern mir im Ohr
Bleib du nur hier, Abud hat noch was vor!
Jenny:
Abud der Fußballstar, Abud der sehr berühmte Sänger?
Ja hau nur ab, du wirst schon sehn was ist, du blutiger Anfänger!
Abud
Ist mir egal, an diesem Ort bleib ich nicht mehr
Ich brauch die Freiheit, denn sie fehlt mir sehr.
Jenny
Die Freiheit rumzuhängen und zu saufen
und hinter blonden Weibern herzulaufen,
Versteh,
dann geh!
ich halt dich nicht
du blöder Wicht.
Ich geh dann auch, doch nicht mit dir.
ein schwarzer Mann, das fehlte mir!
Abud
Wer will schon mit dir gehn, du Schlampe,
und essen, was du kochst, die Pampe?
Die hier sind ja sehr schnell zufrieden.
Die Menschen sind halt sehr verschieden.
Ich muss hier raus, ich geh allein.
muss unter andern Menschen sein.
Ich frag den Fotis, mir den Lohn zu geben
dann brech ich auf, um wieder frei zu leben!“
Hm, denke ich. Seinen Lohn will der Abud, richtig. Fast einen Monat ist er schon beim Hirten, hat seine Arbeiten erledigt, und ein Lohn wurde ihm versprochen. Ob Fotis wohl Geld hat, um ihn auszuzahlen? Oder wiederholt sich hier das Drama, das wir schon kennen: dass sich Abud um seinen Lohn betrogen fühlt? Mir ist ein wenig bange.
Bange ist mir auch wegen Jenny. Sie langweilt sich, das verstehe ich ja. Sie ist eine Jugendliche, die regelmäßiges Leben nicht kennengelernt hat und deren Zeitperspektive nicht viel weiter als vom Hunger zur Sättigung reicht. Sie denkt nicht so wie unsereins: langfristig. Dass man aus diesem verfallenen Dorf was machen kann: ein Paradies, eine Goldgrube, ein MODELL, was weiß ich. Sie sieht nur den eintönigen Alltag: Saubermachen, kochen und sich mit Abud streiten.
Und wie sehen die anderen ihr Leben hier?
Ich erinnere mich an Domnas letzten Gesang. Da hat sie im Grunde das Dilemma schon aufgezeigt: Bleiben, sich verwurzeln – oder weiter fliehen, in die Welt hinein, womöglich vor sich selbst auf der Flucht?
Müssen wir immer weiterfliehen
woher, wohin treibt es uns fort?
Wir lagen flehend auf den Knien
entrannen bösem Brand und Mord.
Das Meer verschlang uns und die Berge
sie warfen uns in ihre Klüfte
In Höhlen fanden wir Herberge
und wankten traumlos durch die Grüfte.
Wir teilten Speise mit den Toten
und nährten uns von Milch und Kraut
Das Leben wollten wir ausloten
Die Sonn verbrannte uns die Haut.
Der Himmel über uns erbleichte
es wurde Licht, es wurde Nacht
Wir nahmen das, was man uns reichte
wir schliefen und sind aufgewacht.
Da war ein Mensch, er stand bescheiden
mit seinem Hund und sprach uns an.
Wollt ihr mit mir die Schafe weiden?
Denn Hilfe brauch ich, sprach der Mann.
Wenn ihr mir helft, habt ihr zu essen
und habt ein Dach, das euch beschützt
hier könnt ihr eure Flucht vergessen
und tun, was euch und andern nützt.
Doch fort, o fort die Wogen rollen
wir müssen immer weiter fliehn
in uns ist Flucht, in uns ein Wollen
ein Jagen, Stoßen, Vorwärtsziehn.
Wär ich ein Baum, ich könnte wurzeln
im tiefen Grund und stark und still
die Äste breiten, statt zu purzeln
und stolpern zwischen Soll und Will.

Doch nicht so endet der Zwischenakt, denn gerade rechtzeitig treten noch einmal die Spirits auf und weisen hin auf das ewigen Spiel des Auf und Ab, des Wandels und Wechsels.
Lu-Ho-Wa-Ro
Das Oben sinkt runter,
was kraftvoll wird matt
was grün war wird bunter,
die Knospe wird Blatt
was jung ist, will werden,
was stillsteht verdirbt
und fällt auf die Erden,
was reif ist, das stirbt.
Domna sieht ein, dass das Grübeln sie nicht weiterbringt. Und ich sehe es auch ein. Ich lasse mich jetzt wieder vom Strom des Geschehens tragen – mag geschehen, was geschehen soll. Ich brauche es ja nur aufzuschreiben.
Muss es denn immer ein Entweder/Oder sein, oder geht ein Sowohl/als auch?
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Meine spontane Antwort wäre: ein dauerhaftes „sowohl – als auch“ setzt eine finanziell gesicherte Existenz voraus.
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Da muss ich Dir rechtgeben.
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