Welttheater, 4. Akt, Szene 43a: Wilhelms Geschichte (Ödipus)

Was zuletzt geschah: Danai ging zu Domna hinaus. Sie fand sie zwischen den Häusern des Dorfes und hörte sie ein Gedicht von Hilde Domin rezitieren.

Jetzt betreten sie wieder das Haus des Hirten Fotis, wo Wilhelm begonnen hatte, seine Geschichte zu erzählen.

Fotis:

Hallo die Damen, kommt nur schnell herein!

Was haltet ihr von einem Gläschen Wein?

Den keltere ich selbst, hab ihn im großen Fass

Es redet sich viel leichter, hält man die Kehle nass.

 

Nimm, Wilhelm, einen großen Schluck

das nimmt vom Herzen dir den Druck

und rück hierher, an meine Seite

so ist es recht, zum Wohle, Leute!

 

Jetzt bin gespannt ich, was ich hören werde

geschieht ja ziemlich viel auf dieser Erde

von dem ich gar nichts weiß, in meiner Ecke.

Wird Zeit, dass ich ein Stückchen Welt entdecke.

Wilhelm:

Ich dank euch sehr, dass ihr ein offnes Ohr

mir leihen wollt, doch muss ich warnen euch, bevor

ich euch erzähl, wie es mir ist ergangen.

Ich weiß nicht recht, wo soll ich nur anfangen?

Fotis

Na, fang doch einfach mal am Anfang an.

Was war dein Vater für ein Mann?

Mein Vater der war Hirte so wie ich

das war schon immer so, gehörte sich.

Wilhelm

So hat es sich dann auch für mich gehört.

und das war es, was mich schon früh gestört.

Mein Vater war ein Richter und so sollte ich

auch Recht studieren, aber wollte ich?

 

Ich liebte schon als Kind die hohen Berge

und liebte es, im Wald mich rumzutreiben.

Ich glaubte damals an die sieben Zwerge

und wollt am liebsten immer draußen bleiben

 

Doch zwang man mich, dem Walde abzuschwören

und in Klausur zu gehn in dunkler Kammer.

Und später musst ich Straf- und Steuerrecht anhören

und anderes trocknes Zeug, es war ein Jammer

 

So wurde ich Jurist, ganz wie mein Vater

und in ner großen Firma Rechtsberater.

Abud

Du warst wohl reich und hattest Geld?

Jenny

Warst was man nennt ein Mann von Welt?

Wilhelm

Ja,  Jenny, ich war ziemlich weit bekannt

und hatte einen guten Ruf in meinem Land

weil ich die Reichen immer reicher machte

so dass man mich auch reichlich mitbedachte.

 

Dann kam ein Tag, mir ist, als wär es heute

da fielen Schüsse und Geschrei der Leute

Der Vater brach zusammen, war getroffen,

und meine Zukunft war nun wieder offen.

Abud

Wie war das, bitte? hab ichs recht verstanden?

Dein Vater wurd erschossen von den Banden?

So wie der von Hawi? von meinem weiß ichs nicht.

Und du hast sie bestraft dann vor Gericht?

Wilhelm

Die ihn erschossen, waren auf der Siegerseite

Ich selber suchte vorsichtshalber schnell das Weite.

und brach mit allem, was ich vorher kannte

Ich war nun frei und hatte Null Verwandte.

 

Ließ hinter mir, was ich zutiefst verfluchte

So kam ich her in dieses Land und suchte

mir diesen Ort, um endlich frei zu leben

und mich nicht mehr für andere herzugeben.

Trud

Du hast verlassen alles Alte und Gewohnte?

Hast du gefunden dann, was sich zu leben lohnte?

Wilhelm

Das dachte ich, bis ihr zum Lager kamt

und mir auch diese Illusion noch nahmt.

Da merkte ich, die Berge um mich her

sie fülln mich nicht, denn inseits bin ich leer.

Fotis

Nimm noch nen Schluck, das hilft die Leere füllen!

Was soll schon sein, nicht immer gehts nach Willen.

Trud

Darf ich dich fragen, ob das alles ist?

erzählst du wirklich ehrlich, wer du bist?

Wilhelm

Du fragst mich Trud, so will ich Antwort geben:

Was ich erzählt, war nur mein halbes Leben.

Denn ich war dort erfolgreich, wo der Rubel rollte

doch traf ich mich geheim mit Menschen der Revolte. 

 

Ich fands gerecht, dass sie den Aufstand schürten

damit die Reichen mal den Zorn der Armen spürten.

Ich war es selbst, der ihnen gab die Waffen

damit sie auf der Welt Gerechtigkeit mir schaffen.

Trud

So bist dem Ödipus du wohl verwandt

der in der Wut den Vater nicht erkannt?

Du hattest nicht den Mut, ihn zu erschlagen

und hast es andern Männern aufgetragen?

Wilhelm

Nein, nein, ich hab …, ich wollte … wusste nicht

Trud

Hast du gesehen ihm ins Angesicht?

Wilhelm (weint wie ein Kind)

Er war so streng, er hat mich oft geschlagen

ich musst ihm immer, was ich dachte, sagen

dann straft er mich, weil ich was andres dachte

als was er wollte, und was andres machte.

 

Wenn ich was liebte, wars für ihn gestorben

Er hat mein Leben mir zutiefst verdorben

Kein Tier war mir erlaubt, um es zu lieben.

Für jede Unart straft er mich mit Hieben.

(ruhiger)

Auch vor Gericht war er sehr streng mit allen.

Ich glaub er fand am Strafen groß Gefallen.

Und manchmal träumt ich, dass ich ihn erwürge

Doch seinen Tod befahl ich nicht, Gott ist mein Bürge.

 

Wenn ich allein war hier in der Natur

da sprach ich oft mit ihm, damit er mal erfuhr

was er mir angetan. Und wie ich ihn gehasst.

Doch jetzt nicht mehr, denn die Erinnerung verblasst.

wird fortgesetzt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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12 Antworten zu Welttheater, 4. Akt, Szene 43a: Wilhelms Geschichte (Ödipus)

  1. Wie traurig die Geschicht, ist es die Moral an der alles zerbricht?

    Gefällt 1 Person

    • gkazakou schreibt:

      Nicht eigentlich der Moral. Mir gings darum, beispielhaft darauf hinzuweisen, dass hinter den meisten Revolten die Dramatik des Ödipus steckt: der Sohn revoltiert gegen den Vater und will nicht wahrhaben, dass er dem Vater verwandt ist (ihm in manchem gleicht). Truds Frage, ob er dem Vater ins Angesicht gesehen hat, ist auch eine Trage nach dem eigenen „Schatten“.

      Gefällt 2 Personen

      • Verwandlerin schreibt:

        Bei uns rebelliert die Tochter gegen den Vater, allerdings gibt sie offen zu, dass sie Angst hat, so zu werden wie er… Sie erkennt sich manchmal in ihm wieder…

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      • gkazakou schreibt:

        „Angst hat, so zu werden wie er“ – solche negativen Bindungen können genauso wie positive dazu führen, dass sie gerade so wird wie er. Am besten, sie versucht, sich auf ihr Eigensein zu konzentrieren und sich nicht mit Vater und Mutter und Brunder zu vergleichen. Was kann sie? Was möchte sie? Es muss ja nicht gleich der große Lebensplan sein, den gibts in dem Alter selten. Es reicht ja, wenn es kleine Zwischenziele gibt, und auch dann ist es nicht das Ende, wenn sie die nicht erreicht, sondern was anderes beginnt. All das sind ja nützliche Erfahrungen. Aber vergleichen soll sie sich nicht, vergleichen ist Gift.

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  2. Gisela Benseler schreibt:

    Danke, Gerda. Übrigens kam dies aus Versehen auf meinen Blog. Ich wollte Elke“Leben als Mensch“ eingeben und erwischte Deinen Beitrag zuerst.
    Nur damit Du Dich nicht wunderst – und es mir verzeihst, Gerda.

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    • gkazakou schreibt:

      Gewundert habe ich mich – und sogar gefreut, weil dann der eine und andere deiner Leser neugierig auf das Welttheater werden könnte. Donnerwetter, dachte ich, warum Gisela wohl gerade dieser Eintrag besonders gefällt? 🙃

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      • Gisela Benseler schreibt:

        Daß mir ausgerechnet dieser Eintrag besonders gefällt, kann ich nicht behaupten. Nun ist es aber geschehen, und dieser Kontrast kann ja auch belebend wirken und manchen Leser/Leserin neugierig machen auf Dein „Welttheater“, das ich ja ansonsten gerne begleite.

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      • gkazakou schreibt:

        So dachte ich auch. 🙂

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  3. Wilhelm ist ein gutes Beispiel dafür, daß ein Heraustreten aus des Vaters Schatten eine Lebensaufgabe werden kann!

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  4. Erst durch den Tod des Vaters findet er den Weg aus dem Schatten des Vaters! Das passiert bei toxischen Eltern!

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