Klar, auch ich lese nicht nur in Blogs rum, sondern auch richtige Bücher. Zuletzt waren und sind es teilweise noch immer: eine Autobiografie, ein Roman und ein Erzählband. Die las und lese ich nebeneinander, denn nicht immer steht mit der Sinn nach Vargas Llosas‘ „Der Fisch im Wasser“ (Originalausgabe 1993 El pez en el aqua) und seine Geschichten über die politischen Intrigen in Peru, die mehr Überdruss als Freude bereiten, da sie mich an allzu Bekanntes und Aktuelles erinnern. Womit ich die Erzählkunst des großen peruanischen Romanciers keinesfalls herabmindern möchte.
Wen Peru nicht nur wegen der Anden und der Inka-Kultur interessiert, wer also in das gesellschaftliche und politische Gewebe des Landes einen intimen Blick werfen möchte, dem sei es wärmstens empfohlen.
Llosas Buch steht unter einem überraschenden Motto – überraschend. weil es von Max Weber stammt, und zwar aus seinem Buch „Politik als Beruf“ von 1919. Das Zitat lautet:
„Auch die alten Christen wussten sehr genau, dass die Welt von Dämonen regiert sei, und dass, wer mit der Politik, das heißt: mit Macht und Gewaltsamkeit als Mitteln, sich einlässt, mit diabolischen Mächten einen Pakt schließt, und dass für sein Handeln es nicht wahr ist: dass aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil. Wer das nicht sieht, ist in der Tat politisch ein Kind.“
Um mich von der gefühlten Aktualität dieser Berichte ein wenig abzulenken, las ich zwischendurch einen Roman, der vor 400 Jahren, also in der Zeit des Umbruchs vom Mittelalter zur Neuzeit spielt:
Dabei geriet ich vom Regen in die Traufe. Denn leider sind die Geschichten, die Kehlmann hier rund um das Leben des Tyll Ulenspiegel ausbreitet, bei genauerem Hinsehen nicht weniger aktuell, und sie bestätigen einmal mehr Max Webers Einsicht in den Charakter des Politischen. Der einzige Weise im grausamen Narrenstück des 30jährigen Kriegs, der Hexenverhöre, Pseudowissenschaft und hegemonialen Eitelkeiten der gekrönten Häupter Europas ist ein Narr. Das Buch las ich in einem Atemzug von Anfang bis Ende durch, denn trotz der berichteten Schrecknisse ist es, wie Kehlmann eben zu schreiben weiß: „süffig“.
Das dritte Buch, das immer mal dazwischen funkt, ist ein Erzählband von Alice Munro (Originalausgabe 1968 „Dance of the Happy Shades“, übersetzt von Heidi Zerning).
Ihre Geschichten um die Probleme des Erwachsen-Werdens spielen in einer fern der aktuellen politischen Ereignisse vor sich hin existierenden Welt irgendwo in der nordamerikanischen Provinz. Und obgleich mich diese banale abgelegene Welt ja eigentlich nichts anzugehen braucht, bringt Alice Munro es fertig, dass ich mich von diesen Geschichten nicht losmachen kann. Erst ziehen sie sich hin mit genauesten, aber durchaus nicht überflüssigen Beschreibungen, ziehen und ziehen sich wie das zähe Material des Alltags, eine innere Spannung baut sich auf, die, damit sie nicht überhand nimmt, zwischendurch auch mal ein bisschen gelockert wird – und dann ist plötzlich das Ende da, und mit dem Ende der Satz, der allem einen überraschenden Sinn gibt. Ich kann sie nur in kleineren Dosen vertragen, und auch dann liegen sie mir schwer im Magen, wo sie weiter rumoren.
Zum Beispiel dieses Ende der eher kurzen Erzählung „Rotes Kleid“ (über einen Schulball, die Ich-Erzählerin geht in die 1. Klasse der Highschool).
„Ich ging am Küchenfenster vorbei und sah meine Mutter. Sie saß, die Füße auf der offenen Ofentür, und trank Tee aus einer Tasse ohne Untertasse. Sie saß einfach da und wartete darauf, dass ich nach Hause kam und ihr alles erzählte, was vorgefallen war. Und das wollte ich nicht, auf keinen Fall. Aber als ich die wartende Küche sah und meine Mutter in ihrem ausgeblichenen fusseligen Paisley-Morgenrock, mit ihrem müden, aber hartnäckig erwartungsvollen Gesicht, da verstand ich, welch eine geheimnisvolle und erdrückende Pflicht ich hatte, glücklich zu sein, und dass ich bei dem Versuch, diese Pflicht zu erfüllen, beinahe gescheitert wäre und wahrscheinlich jedesmal scheitern würde, ohne dass meine Mutter es ahnte.“
Alice Munro wollte ich immer mal lesen. Du hast mir eine gute Gelegenheit gegeben, aber da liegt der Hans Henny Jahnn noch auf den Tisch, den du mir aufgebrummt hast 😀 … schön, dass es so viel zu entdecken gilt. Viele Grüße und Danke für die schönen Besprechungen!!
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HH Jahnn und Munro – die expressionistische Großform und die realistische Miniatur – vielleicht wird parallel was draus?
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Erlaube mir bitte eine kleine Korrektur: Peru, nicht Chile.
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O parbleu! habe ich Chile geschrieben? Natürlich ist es Peru! Herzlichen Dank für den Hinweis.
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Lesen – rettete mich durch meine Kindheit und blieb mir bis heute unverzichtbar.
Den Tyll habe ich auch gelesen und mich in seine Zeit vergraben. Herrn Kehlmanns Art des Schreibens liegt mir sehr. Er bringt uns im Tyll nicht nur die lange vergangene Zeit des Mittelalters nahe, er bringt auch Nichtleser dazu, dran zu bleiben und das relativ dicke Buch ziemlich zügig durchzulesen.
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So seh ich es auch, Bruni. Allerdings sollte man nicht glauben, bei ihm wirklich Verlässliches über die Zeit des 17. Jahrhunderts zu finden. Es ist eine Art Holzschnitt mit groben Vereinfachungen und Verfälschungen. Gerade darum aber auch wunderbar zu lesen.
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Ja, ich finde, er hat da eine gute Mischung gefunden zwischen Fiktion und Realität.
Ich mag es sehr, wie er schreibt❣️
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