Welttheater, 4. Akt, 37. Szene: Über die Macht der Worte

Was zuletzt geschah:  Wilhelm hat sich erneut in seine Rolle als „einsamer Wolf“ verrannt. Aus dieser Position heraus beurteilt er Abud, den er (in klassischer Projektion) einen Wolf nennt, der die Schafe verachtet und frisst. Jenny kommt zu Hilfe und kündigt Abuds Nähe an. Wilhelm reagiert rüde.

Er war im Lager? Ha, was wollt er da?

Er wollt berauben mich, ich sag es ja.

(sieht Abud herabkommen)

Ja, komm nur her, wir müssen was besprechen.

Wenn ich es könnt, würd ich dir Knochen brechen.

Danai:

Warum dein Hass? Warum kannst du nicht sehen

dass dieser junge Mann bisher nicht gut noch schlecht?

Er scheint mir auf der Schwelle noch zu stehen

noch unentschlossen zwischen Schuld und Recht.

 

Wenn du ihn auf die falsche Seite stößt

wird er vermutlich wirklich böse werden.

Wenn du jedoch Vertrauen ihm einflößt

wird er zum Hüter deiner Herden.

Hawi

Meinst du den Hund, von dem du mir gesprochen?

der nur drauf wartet, dass man ihm befiehlt?

und wenn man ihm dann auch noch gibt nen Knochen

er nie und nimmer liebe Lämmer stiehlt?

Danai

So ähnlich meint ich es, doch nicht genau,

 denn sieh, die Menschen sind nicht Hunde.

Der Hund spricht nur Wauwau Wauwau

der Mensch jedoch führt Wörter in dem Munde

und jedes falsche Wort wird ihm zur Wunde.

 

Hawi

Zur Wunde? Welche? das versteh ich nicht.

Ist das, wenn dich ne böse Wespe sticht?

Danai

Die Wunde, die ich meine, ist in seiner Seele

Ein falsches Wort, und er ist schwer verletzt.

wenn ich ihn ehre und ihm nicht befehle

dann hilft er mir, weil er mich schätzt.

 

Doch wenn ich ihn nicht respektiere

und ich ihm sage, dass er böse handelt,

wenn ich ihn schimpf und maltraitiere

dann kann es sein, dass er zum Tier sich wandelt.

Abud (hat sich der Gruppe genähert)

Hallo, Hawi, wie ist es dir gegangen?

Hawi:

Ganz gut, und du, was hast du angefangen?

Abud

Ich war im Lager, meinen Lohn zu holen.

Hawi:

Der Wilhelm sagt, du hättest ihn gestohlen.

Ist das denn wahr, bist du ein Dieb geworden?

und bist nun einer von den bösen Horden?

Abud

Nein, Hawi, ich hab nichts geraubt

ich nahm nur das, was vom Gesetz erlaubt.

Die war ja da, die so was kontrolliert

Sie gab mir recht und hat es akzeptiert.

 

Ich hatte, sagt sie, mit dem Mann Geduld.

Er gab mir nichts und ist drum selber schuld.

(Abud bezieht sich auf Diaphania, die ihm im Lager begegnete)

Jenny (hat sich ihm genähert und zugehört)

Das stimmt, Abud, nur ungefähr.

denn nehmen wolltest du dir mehr.

Es war nichts da, drum nahmst du’s nicht

das war erzwungener Verzicht.

 

Und darum bist du ihm was schuldig.

Der Wilhelm ist schon ungeduldig

dass wir ihn endlich weitertragen

Nun komm schon, ohne groß zu fragen.

Abud

Na gut, ich schlepp ihn noch ne Weile

doch wozu diese große Eile?

Ich hätt zuvor gern was gegessen.

Das fände ich ganz angemessen. 

Jenny

Papperlapapp, hier gibts kein Essen!

Du willst doch nicht die Gräser fressen?

Komm schon, er wartet, und sei lieb

und sag nicht immer: Gib und gib!

Beide gehen zu Wilhelm

Jenny (zu Wilhelm)

Der Abud sagt, er hilft mir, dich zu tragen

er machts auch ohne Lohn. du kannst ihn fragen.

Und wahr ist auch, er hat dich nicht beklaut.

da war nichts mehr, ich habs mit angeschaut.

Wilhelm

Ich nehm dein Wort, und danke auch euch beiden.

Und hoff, ihr werdet es mir nicht ankreiden

wenn ich in meiner Wut so manches Wort gesagt

das, wenn ichs recht bedenke, mein Gewissen plagt.

Wilhelm geht, unterstützt von Jenny und Abud los. Danai, Hawi und Domna folgen.

Domna

O  Macht der Worte, die ein Herz verstören

und trösten auch, erfreuen und betören,

die Schlimmes brüten wie auch Wunderbares

die Widersinn und Lüge schaffen oder Klares.

 

O Worte, scharfe Waffen, mordsgefährlich

und Labsal, edelmütig, kindlich ehrlich,

die richten, wo Verdächtigungen walten

und Eintracht stiften, Freundschaften zerspalten

 

O Worte, wer euch recht zu setzen wüsste

so dass der Mund das Ohr mit Sanftmut küsste

und nicht der Hass stets neue Nahrung fände!

Wie gut es dann wohl um die Menschheit stände!

 

„Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort“*.

Im Munde gedreht bedeutet es Mord.

Und doch ist das Wort auch das schönste Geschenk

drum eh du’s gebrauchst, verweile, bedenk!

 

Und wenn du’s gebrauchst, so denk an die Schneiden

zweischneidig sind Wörter und schaden euch beiden.

Du meinst es nicht böse, du bist nur empört,

und ahnst nicht, wie sichs für den andren anhört.

 

„Wie groß die Macht der Worte ist, wird selten recht bedacht.“*

Drum spüre ihm nach und fühle im Herzen, was es mit dem anderen macht.

„Das Wort lebt länger als die Tat“, so sprach der Dichter Pindar

vor zweieinhalbtausenden Jahren und immer noch wahr.

______

*Rainer Maria Rilke (1875-1926)

** Christian Friedrich Hebbel (1813-1863)

***Pindar, griechischer Lyriker,  518 v. Chr.- ?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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5 Antworten zu Welttheater, 4. Akt, 37. Szene: Über die Macht der Worte

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Die Macht der Worte, gestützt auf bekannte Dichter, von Domna weitergeführt, – Gerda, das ist etwas ganz Bedeutendes und Großes, Wegweisendes!
    Da wird manchem das Herz aufgehen, warm, lebendig, weich werden und so vieles in der Welt zum Besseren führen. Hoffen wir es! ♥️

    Gefällt 1 Person

  2. Mitzi Irsaj schreibt:

    Ein schöner Akt über die Macht des Wortes. Wie schnell die Stimmung und die Wogen sich glätten (vielleicht auch nur für den Moment), wenn sanftere und versöhnlichere Worte gewählt werden.
    Die deinen in den Reimen sind wie immer besonders schön gewählt.

    Gefällt 1 Person

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