Welttheater, 4. Akt, 35. Szene: Jenny und Abud über Moral.

Was zuletzt geschah: Wilhelm liegt immer noch im Olivenhain, wo Jenny ihn verlassen hatte. Inzwischen kam Tschinn der Macher auf der Suche nach Kairos vorbei. Wilhelm ohne Bezahlung zu helfen lehnte er ab: „Ich bin kein Samariter“ und ging weiter. Nun erscheinen im Hintergrund Jenny und Abud.

Jenny:

Hier irgendwo auf den Terrassen

mit den Oliven hab ich ihn gelassen.

Er war mir wirklich nicht egal,

doch hatt ich keine andre Wahl.

 

Abud

Was findest du denn so an diesem Mann?

Was kann er denn, was ich nicht kann?

Jenny

Ich weiß nicht, kenn ihn nicht so gut,

doch scheint mir, er hat großen Mut.

Abud

Mut hab ich auch, das kannste gern mir glauben

Jenny

Ja ja, ich weiß, den Mut um andre zu berauben.

Abud

He, nein, das tu ich selten, tu es nur aus Not.

Jenny

Und warum gehst du nicht malochen für dein Brot?

Abud

Ich habe keine Lust, mich tot zu schinden.

Wo kann ich eine leichte Arbeit finden?

Wenn du das weißt, dann mache ich das gern.

Ansonsten halt ich mich der Arbeit lieber fern.

Jenny

Das sag ich ja, du bist ein Tagedieb.

Du sagst am liebsten: Her damit und Gib!

Abud

Und was machst du, darf ich mal fragen?

Jenny

Das werd ich dir ein anderes Mal sagen.

Denn wenn mich nicht die Augen trügen

seh ich da vorn den Wilhelm liegen.

 

Und von da drüben kommt Danai,

die Domna und der Hawi sind dabei.

Was tun sie? ich kanns schlecht erkennen,

Ich hoffe, dass sie Wilhelm helfen können.

 

Er war zuletzt ja völlig durcheinander.

Die Sinne hatt‘ er nicht mehr beieinander

und schrie mich an, er wollte zu ner Frau.

Ich wurde aus ihm überhaupt nicht schlau.

 

Und so lief der Kairos uns auch noch fort

danach dann ließ ich ihn an diesem Ort.

Ich weiß nicht, was die andern von mir denken.

Drum will ich mir das Hallo! erst mal schenken.

 

Abud:

Danai hat Wilhelm auch im Stich gelassen,

 egal ob ihn im Sumpf die Ratten fraßen.

 

Und weißt du wohl warum?

Da lachst du dich gleich krumm!

 

Ich hörte sehr genau, was sie ihm sagte,

bevor sie dann auch mich zum Teufel jagte:

 

„Du Wilhelm musst jetzt selber schauen

wie aus dem Sumpf du dich erretten kannst.

Erlerne erst, den Menschen zu vertrauen

und wie Verachtung du aus deinem Herzen bannst.“

 

Wie findst du das? Ich finde das genial.

Der andre stirbt und dir ist es egal.

Du sagst ihm einfach ins Gesicht:

Vertrau erst mal, sonst helf ich nicht.

Jenny

Das ist nicht wahr! Du lügst mich an!

Abud

Ich schwörs! erinnere mich genau daran.

So sind sie, die von der Moral stets sprechen

und über andern immer gern den Stab zerbrechen.

Jenny:

Und mit der Domna, was ist wohl mir der?

Sie ist ja blind und dennoch kommt sie her.

Abud

Ja, blind ist sie und dann macht sie Gedichte

sie sagt, dass über Menschen sie nicht richte.

 

Sie hat wohl ernsthaft mit Danai gesprochen

und dann sind sie zusammen aufgebrochen.

Nun sehn wir mal, ob sie nur wieder reden.

Denn praktisch helfen, dass ist nicht für jeden.

 

.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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6 Antworten zu Welttheater, 4. Akt, 35. Szene: Jenny und Abud über Moral.

  1. Und die Moral der Geschicht, es ist ein kluges Gedicht❣️👌🏻👍🏻

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  2. Gisela Benseler schreibt:

    Dauernd verändert sich das Bild vom Menschen, wandelt sich, je nachdem, aus welchem Blickwinkel es gesehen wird.

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