Welttheater, 4. Akt, 36. Szene: Wilhelm und Tschinn der Macher (kein guter Samariter)

Was zuletzt geschah: Jenny lässt sich im Austausch gegen eine Jacke überreden, Abud mittels einer Leiter aus dem Keller von Wilhelms Lager zu befreien. Dort lassen wir sie jetzt und wenden uns dem Besitzer des Lagers, Wilhelm, zu. Der liegt, erst von seinen drei Begleitern (Danai, Abud, Hawi), dann auch von Jenny verlassen, mit kaputtem Bein im Olivenhain. Dort besuchte ihn Isolde-Hedonie, um ihm klarzumachen, dass sie ein Gebilde seiner Begierde, eine Illusion ist (hier).

Um sie real zu erringen, müsse er im wirklichen Leben das Lieben üben.

Zuallererst komm wieder auf die Beine

und wenn du lieben willst, lieb erst das Kleine,

lass es ins Herz, und fühle wie es leuchtet

und deine harte Innenschicht befeuchtet.

 

Gib dich ihm hin, und nähre seine Glut

und freu dich dran, und nähre nicht die Wut

wenn andre dir mit Liebe nicht begegnen.

Beginne, jede Liebestat zu segnen.

 

Verbinde dich mit dem, was um dich ist

denn nur im andern fühlst du, wer du bist.

So lernst du leben, lernst du selbst zu sein

im liebend Wechselspiel, nicht mehr allein.

 

Jetzt muss ich gehn, verflossen ist die Nacht

die mich im Mondeslicht zu dir gebracht.

Gewinn mich neu in frischer Tageshelle

indem du sprudeln lässt der Liebe Quelle.

So sprach Isolde, entschwand und ließ Wilhelm zurück, der erschöpft einschlief.

Hera und die Spirits treten auf.

Hera

Nun helft, meine Kleinen, den Mann zu bewahren,

der hier in dem Hain ohne Hilfe geblieben.

Er stürzte herab, denn er war nicht erfahren

in Dingen des Herzens, er weiß nichts vom Lieben.

 

Doch ist er nicht schlecht, sonst wär er verloren,

nun helft ihm, so dass er wieder geboren.

Ho: 

Hoho, ei do! ne grüne Wiese!

Ro:

Ich schicke ihm ne leichte Brise!

Lu: 

Lass mich das tun, ist mein Metier

Wa:

Ich mach aus Blumen ihm nen Tee!

Ma:

Mama mia welche Lust!

Schaut, jetzt regt sich seine Brust!

Ro-Ho im Duett:

Ein Windchen wehe, zu kühlen die Stirn

Lu-Wa im Duett

So wird auch gekühlt dahinter das Hirn

Ma:

Ich lasse sein Herzchen von Neuem ihm schlagen

es sollen ihn keine Herzschmerzen mehr plagen.

Lu-Ho-Ro-Wa-Ma im Chor:

Er richtet sich auf, er wird langsam wach

er ist noch benommen, weiß nicht wo er ist

Er schaut auf das Bein, das er sich zerbrach,

ihm kommt die Erinnerung an einen Zwist.

Hera

Nun reicht es, ihr Lieben, ich danke euch sehr

die Lebenskraft habt ihr ihm wiedergeschenkt.

Für ihren Gebrauch gibts keine Gewähr.

Ob er nun begreift oder wieder verdrängt.

 

Da ist er ganz frei, er muss es selber rausfinden

von seiner Willensfreiheit kann niemand ihn entbinden.

Hera und die Spirits verschwinden.

Auftritt Tschinn, der Macher

Tschinn:

Ich bin der Macher, mein Name ist Tschinn

ich suche den Kairos, wo ist der bloß hin?

Er zeigt mir die Chanc‘ und bei meinem Geschick

gelingt mir der Coup dann, mit ein wenig Glück.

 

O hoppla, was ist das, ein Mann liegt im Gras!

Was soll das bedeuten? Ich geb besser Gas,

Vielleicht ist er hilflos, vielleicht schon gestorben,

dann wäre mein ganzer Tag mir verdorben.

 

Ich müsste ihm helfen, vielleicht gar vermelden

dass hier liegt ein Toter, ich spiel nicht den Helden.

Ich hab nix gesehen, ich misch mich nicht ein,

das brächte nur Ärger, und das muss nicht sein.

Wilhelm (richtet sich auf)

He Kumpel, ich bitt dich, geh nicht so vorbei

ich brauch deine Hilfe, mein Bein ist entzwei!

Tschinn

Du hast was gebrochen? Das tut mir sehr leid

doch habe ich grade so gar keine Zeit.

Ich suche Kairos, wo steckt nur das Vieh?

er war mir gehorsam, entwischte mir nie.

Wilhelm

Den kenn ich, er trug mich am Abend hierher

doch dann ging er weg, er wollte nicht mehr.

Tschinn

Ja sag, wohin ist er gegangen?

ich muss ihn finden und einfangen.

Wilhelm

Wohin? Das weiß ich nicht. Ich würds dir sonst verraten.

Du nennst den Macher dich, wie stehts mit deinen Taten?

Brauchst du ein Vieh, um Taten zu vollbringen?

Tut es die eigne Kraft denn nicht vor allen Dingen?

Tschinn

Kraft habe ich schon. Doch was nutzt die Kraft

wenn sie nicht zugleich auch Gewinn mir verschafft?

Kannst du mich bezahlen, dann helfe ich dir

Ansonsten bleibe vom Halse mir.

Wilhelm

So einer bist du? dann darfst du verschwinden.

Ich werde woanders wohl Hilfe noch finden.

Tschinn

Das ist mir auch lieber, mein Herr und Gebieter.

Ich bin nun mal nicht der gute Samariter.

Der Macher geht ab.

Zwischen den Bäumen erscheinen Abud und Jenny

wird fortgesetzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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14 Antworten zu Welttheater, 4. Akt, 36. Szene: Wilhelm und Tschinn der Macher (kein guter Samariter)

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Oh Gerda, ich las erst den Anfang und bin begeistert von dieser Wende: Zuerst Isoldes aufrichtende, wegweisende Worte, dann der Auftritt von Hera mit dem Reigen der Spirits!
    Das erinnert mich sehr an den Anfang von Goethes Faust II, auch in Rhythmus und Sprache und natürlich dem guten Geist dahinter. 💓🌷🦋🍀

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  2. Gisela Benseler schreibt:

    Und natürlich bin ich begeistert von dem Wandel des Bühnenbildes und nun von den Spirits.

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  3. Gisela Benseler schreibt:

    Und wieder spricht Hera so weise Worte, bevor sie die Spirits verabschiedet.

    Gefällt 1 Person

  4. Gisela Benseler schreibt:

    Wie gut, daß nun Abud und Jenny erscheinen, nachdem Tschinn sich gerade zeigte und verschwand.

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  5. Gisela Benseler schreibt:

    Diese Lösung schwebte mir schon vor… Es bleibt jedoch spannend, da alle die Freiheit haben, sich so oder so zu entscheiden.
    Jedenfalls ist dies eine echte neue gute Gelegenheit (Kairos), alte Schuld oder Versäumnisse auszugleichen, wiedergutzumachen, auch für Wilhelm.

    Gefällt 1 Person

    • gkazakou schreibt:

      Das stimmt, eine gute Gelegenheit ist es. Ich bin gespannt, ob sie (wie sie) sie ergreifen. So mancher hatte eine gute Gelegenheit, sich zu versöhnen, und ließ sie ungenutzt verstreichen. (Ich hatte gestern eine entsprechende Aufstellung mit einer Frau, die mit ihrer Schwester verfeindet ist. Die Lösung lag offen da, aber sie konnte sie nicht nehmen.)

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      • Gisela Benseler schreibt:

        So geht es oft. Wie viele gute Gelegenheiten ließen wir ungenutzt verstreichen, und das können wir auch in der gegenwärtigen Politik beobachten, die uns ja gleichsam – im Vergröserungsglas – den eigenen „Spiegel“ vorhält.

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      • gkazakou schreibt:

        die Politik als unser eigenes Verhalten im Vergrößerungsglas zu betrachten, ist ein Gedanke, der mir sehr einleuchtet.

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      • Gisela Benseler schreibt:

        Ja, das denke ich manchmal. Und so wird uns ja gleichsam der Spiegel vorgehalten, um es auch im Kleinen zu bemerken und daran zu „arbeiten“, damit sich auf der „großen Bühne“ auch etwas ändern kann.
        Aber was heißt „große Bühne“? Was im Kleinen geschieht, ist möglicherweise das Größere.(?)

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