Die laufenden abc-etüden kreisen um die Wörter Schnitt-rot-beherrschen, die Myriade gespendet hat. Meine Gedanken kreisen um Kunst und Krieg. Vor mir ging es einem anderen offenbar auch schon so: Gerard Deschamps, Jahrgang 1937.
Als Gerard Deschamps, 24jährig, im Jahre 1961 einen Pariser Flohmarkt durchstreift, fällt ihm ein Stapel starkfarbiger Leinwände auf. Der Schnitt der Leinwände ist etwas ungewöhnlich, die Ränder sind sauber mit einem andersfarbigen Band eingefasst. Zum Malen werden sie kaum verwendbar sein, denn unter dem Gewicht der Farbe und vermutlich einer wasserfesten Imprägnierung sind sie steif und wellig geworden.
Gerard streicht über eine karminrote Leinwand, studiert ihre glänzende Oberfläche. Die Berührung löst eine Welle von Emotionen aus, die in ihm erstarrt sind. Gerade ist er aus Algerien zurück, endlose siebenundzwanzig Monate hat er dort Wehrdienst leisten und Menschen massakrieren müssen. Die Kriegsbilder beherrschen seine Fantasie. Er muss sie beschwichtigen. Dieses Rot!
Wozu dienen die Leinwände? fragt er beiläufig. Und: Was kosten sie? Sie kosten fast nichts. Wer will schon ausrangierte Signalmatten für Fallschirmjäger der US-Army kaufen?
Als ich durch die Sammlung „Neuer Realismus“ im Goulandri-Museum für Moderne Kunst in Athen streife, fällt mein Auge auf die Leinwand, die mit ihrem leuchtenden Rot die Wand beherrscht. Ich lese den beigefügten Text. Algerien, denke ich. Da war ich 1962, wenige Monate nachdem das Massaker zu einem Ende gekommen war. Das hunderttausendfach vergossene Blut auf einer Fallschirmmatte.
Ist das Kunst? fragt jemand. Und: Wieviel kostet so ein Bild?
Eine bessere Frage wäre wohl: Wieviel kostet ein Krieg?
Wer kann es besser sagen und zeigen?
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ich weiß es nicht, Gisela. Manches ist unsagbar.
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Ja.
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Unbezifferbar. Okay, für Bilder ließe sich bestimmt ein Preis finden, aber prinzipiell …
Danke dir, dass du mich nachdenklich machst. Ja, es nagt.
Spätnachmittagskaffeegrüße 🌅☕🍪
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Das Thema lässt sich nicht einfach unter einer Leinwand begraben….
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Nicht mal, wenn sie so leuchtet.
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Das war leider kein Ruhmesblatt für Frankreich: Hunderttausende wurden umgesiedelt und insgesamt 1,5 Mio Tote und Verwundete auf algerischer Seite.
Was allerdings eine US-amerikanische Fallschirmmatte mit Algerien zu tun hat, das erschliesst sich mir nicht ganz.
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Über diesen Zusammenhang, den ich dem Text neben dem Bild entnahm, habe ich auch gerätselt. Es ist wohl die Funktion (Krieg) und dann natürlich die rote Farbe, die den Zusammenhang herstellen. Aber vielleicht gibt es noch einen anderen, den ich nicht kenne. Die Parachutistes – Fallschirmjäger – hatten eine herausragende Rolle in diesem Krieg (Putsch gegen De Gaulle 1960). Vielleicht hat Deschamps in dieser Truppe gedient, keine Ahnung. Was die Amerikaner anbelangt, so lehnten sie es ab, den Franzosen via NATO zur Hilfe zu eilen…. Mir reichten die beiden Impulse: das Rot und Algerien, da ich mich mit diesem Krieg viel beschäftigt habe. Nicht nur für Algerier, auch für viele Franzosen traumatisch. Ich studierte 1961-2 in Aix-en-Provence, kannte pieds-noir, übrigens sehr liebenswerte, gastfreundliche Menschen, die sehr unter dem Heimatverlust litten. Von außen und aus der Ferne betrachtet waren sie natürlich „Rassisten“ und üble „Kolonialisten“.
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Putsch gegen de Gaulle ?
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Ja, in Algier. Er war 1958 wieder gewählt worden in der Hoffnung beider Seiten, in ihrem Sinn den Krieg zu beenden. Seine endliche Entscheidung, Algerien den Algeriern zu überlassen, war eine schreckliche Enttäuschung für die Algerienfranzosen, ich glaube auch etwa eine Million Menschen, die dort lange ansässig waren. Jedenfalls gab es einen Aufstand, offene Rebellion gegen den Befehl aus Paris, angeführt von den Parachutistes. Ihr Versuch, die Armee auf ihre Seite zu ziehen, scheiterte dann, sie konnten nicht in Frankreich landen. Das war 1962 im Frühjahr, glaub ich. (So meine Erinnerungen, ich müsste es mal nachlesen)
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Was ein Krieg kostet?
Menschenleben, unzählige Menschenleben…
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direkt und indirekt, wie das Zitat von Eisenhower unterstreicht.
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Danke für diesen Beitrag, macht sehr nachdenklich…..
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Danke, Sabine.
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