Was zuletzt geschah: Die kleine Gesellschaft (Jenny, Clara, Domna, Trud) findet wie durch ein Wunder Unterschlupf bei einer Schafherde. Da hatte wohl Dora ihr Händchen im Spiel. Clara ist jedenfalls davon überzeugt.
Alle haben selig geschlafen. Nun ist die Nacht vorbei, und sie erwachen allmählich.
Domna (sich dehnend)
der wind, den ich spürte, leimte die linien der frau
in die landschaft, daß, wo sie stand, kein platz blieb;
für magere hunde
(Marion Poschmann, milde kleine diagnosesplitter* )
Clara (verträumt):
Ich hab im Schlaf ein Lied gesungen
das hat ein ein bisschen so geklungen:
(singt)
Clara
Danach kam noch ein Verslein dran
mal sehn ob ich es singen kann:
(singt)
Schlaf, Kindlein, schlaf,
So schenk ich dir ein Schaaf,
Mit einer goldnen Schelle fein,
Das soll dein Spielgeselle seyn,
Schlaf, Kindlein, schlaf!
(1. und 4. Strophe, Des Knaben Wunderhorn)
Ich mache mäh und es macht muh
Ich rufe „bäh“ dem Schafe zu …
So spielt ich schön mit meim Gesellen
Da hör von fern ich Hunde bellen
(singt)
Schlaf, Kindlein, schlaf,
Und blöck nicht wie ein Schaaf,
Sonst kömmt des Schäfers Hündelein,
Und beißt mein böses Kindelein,
Schlaf, Kindlein, schlaf.
(5. Strophe)
Da musst ich weinen, denn ich machte
doch gar nichts Böses, wenn ich dachte
dass ich mit meinem Schafgesellen
ein Spielchen spiele bei den Ställen.
Nun sollte ich, weiß nicht warum
die Schafe hüten, o wie dumm!
und neben mir ein Hund der beißt.
weiß nicht mal, wie das Hündchen heißt.
Drum bin ich lieber aufgewacht
und hab die Augen aufgemacht.
Da standen Schafe um mich rum
die sagten nichts, sie waren stumm.
Trud
Wie bin ich geraten zwischen das Weiche der Schafe
und die Härte der Stadt mit den Steinen und Straßen?
Bin ich nun aufgewacht oder doch noch im Schlafe?
Mich träumte, dass Menschen die Schafe schlachteten und aßen
Und hier die ‚Linien zwischen Gras und grasbedecktem Stein’**
verlaufen wie? verzweigen sich? Versinkt hier das Sein
in Schatten, im Traum, in der Nacht?
und hier das Licht? Bin ich erwacht?
Jenny
Das war mal ein bequemes Schlafen
im dicken Pelz von Mutterschafen
Doch jetzt wirds Zeit, dass wir verschwinden
der Bauer sollte uns nicht finden
sonst holt er noch sein Schießgewehr
und jagt uns Hunde hinterher.
Mir scheint, ich sollt ich die Gegend kennen…
Gab hier nen Hahn und drei vier Hennen
Ich fand ein Ei, das trank ich gleich
und fühlt mich wie im Himmelreich.
Jedoch der Bauer
war stinksauer
Ich bin dem Hunde nur entkommen
indem ich einen Baum erklommen.
Da musst ich eine Stunde kleben
Das möcht ich nicht noch mal erleben.
Wenn ihr wollt, bleibt ihr halt hocken.
Ich aber mach mich auf die Socken.
Domna
Geh nicht allein, lass uns zusammen bleiben
Kein Windstoß soll uns auseinander treiben
Der Mensch ist nicht gemacht fürs Einsamsein
Hast du gehört, dass nur ein Fuß allein,
ein Kopf, ein Knie, ein Mund allein spaziert?
Mir scheint, dass es stets im Verbund passiert
dass Kopf und Fuß und Mund und auch die Hand
verbinden soll ein unverbrüchlich Band.
Wenn du allein gehst, kommst du schnell voran
das weiß ich wohl, doch denk einmal daran
wie es am Abend ist, wenn Dunkel dich hüllt ein
und du nicht einen hast, der sagt: Nun schlaf mal fein.
Wenn du nicht weißt wohin, und niemand kannst du fragen,
der dir was rät und hilft an solchen schweren Tagen.
Ich bin ja blind, und dir zu wenig nütze
doch sei gewiss, dass ich dich doch beschütze
durch Worte, die der Seele Nahrung geben
das ist so wichtig wie das Brot zum Leben.
Jenny
Schon gut! Ich warte ja, nur mach geschwind
und sammel ein auch das verträumte Kind
Und Trud, die niemals weiß, wolang es geht
und wo und wie und wann, die nichts versteht.
Ich fühl mich schon fast wie ein armer Hirt
der mit ner blinden Herde durch die Gegend irrt.
Wenn ihr zum Aufbruch seid bereit:
Von hier ist es zur Bucht nicht weit
Ich glaub, die Gegend ich mir bekannt
es sei denn, dass ich täusche mich
So ist es gar nicht mal sehr weit
bis hin zur Bucht.
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*Das Bruchstück von Marion Poschmanns Gedicht milde kleine diagnosesplitter fand ich in einem Text bei Planet Lyrik, zwei Texte zu Poschmanns Gedicht „Grund zu schafen“, zuerst veröffentlicht in die horen, Heft 246, Wallstein Verlag, 2. Quartal 2012
**Bezug zu Ilse Aichingers Gedicht Beyond, das Domna am Abend zitierte.
Neben der Hilfestellung von Dora freue ich mich hier wieder über die eingestreuten vielen Bezüge. So musste ich erkennen, dass ich fast alle Strophen des so vertrauten Kinderliedes vergessen hatte. Jetzt habe ich sie wieder gelesen.
Viele Grüße und einen schönen Sonntag.
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Lieben Dank, Mitzi. Es ist ein bisschen eine Gratwanderung. Beim Kinderlied ist es recht einfach, Eigenes und Überliefertes zu mixen. Zeitgenössische Lyrik aber durch eigenes Gereimtes zu interpretieren und ins Welttheater einzuweben, ist schon etwas übermütig. Ich mache es trotzdem, denn Domna ist die Leitfigur des Jahres, und so muss alles zu Poesie werden – und die Poesie zum Drama.
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Schlaf Kindlein schlaf. Wer kennt es nicht, dieses alte Kinderlied und doch kennt man nur noch ein bisschen vom Text.
Den Rest hatte der Wind der Zeiten verweht 🙂
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Ja, und der ist schon sehr merkwürdig.
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