Welttheater, 4. Akt, 6. Szene: Erwachen, Aufbruch

Was zuletzt geschah: Die kleine Gesellschaft (Jenny, Clara, Domna, Trud) findet wie durch ein Wunder Unterschlupf bei einer Schafherde. Da hatte wohl Dora ihr Händchen im Spiel. Clara ist jedenfalls davon überzeugt.

Alle haben selig geschlafen. Nun ist die Nacht vorbei, und sie erwachen allmählich.

 

Domna (sich dehnend)

der wind, den ich spürte, leimte die linien der frau
in die landschaft, daß, wo sie stand, kein platz blieb;
für magere hunde

(Marion Poschmann, milde kleine diagnosesplitter* )

 

Clara (verträumt):

Ich hab im Schlaf ein Lied gesungen

das hat ein ein bisschen so geklungen:

(singt)


\language "deutsch"
\relative c'' { \autoBeamOff \key f \major \time 2/4 \tempo 4 = 80
                a4 g8 g8 | f4 r8 f16[ a16]
                c8 c8 b8 b8 | a4 r8 a8 | b8 b8 g8 g8|
                c8 c8 a8 a8 | b8 b8 g8 g8 |
                c8 c8 a4 | b4 g8 g8 | f4 r \bar"|."
}
\addlyrics {
Schlaf’, Kind -- lein, schlaf’! Der
Va -- ter hüt’t die Schaf’, die Mut -- ter schüt -- telt’s
Bäu -- me -- lein, da fällt her -- ab ein
Träu -- me -- lein. Schlaf’, Kind -- lein, schlaf’!
}

Clara

Danach kam noch ein Verslein dran

mal sehn ob ich es singen kann:

(singt)

Schlaf, Kindlein, schlaf,
So schenk ich dir ein Schaaf,
Mit einer goldnen Schelle fein,
Das soll dein Spielgeselle seyn,
Schlaf, Kindlein, schlaf!

(1. und 4. Strophe, Des Knaben Wunderhorn)

Ich mache mäh und es macht muh

Ich rufe „bäh“ dem Schafe zu …

So spielt ich schön mit meim Gesellen

Da hör von fern ich Hunde bellen

(singt)

Schlaf, Kindlein, schlaf,
Und blöck nicht wie ein Schaaf,
Sonst kömmt des Schäfers Hündelein,
Und beißt mein böses Kindelein,
Schlaf, Kindlein, schlaf.

(5. Strophe)



Da musst ich weinen, denn ich machte

doch gar nichts Böses, wenn ich dachte

dass ich mit meinem Schafgesellen

ein Spielchen spiele bei den Ställen.

 

Nun sollte ich, weiß nicht warum

die Schafe hüten, o wie dumm!

und neben mir ein Hund der beißt.

weiß nicht mal, wie das Hündchen heißt.

 

Drum bin ich lieber aufgewacht

und hab die Augen aufgemacht.

Da standen Schafe um mich rum

die sagten nichts, sie waren stumm.

Trud

Wie bin ich geraten zwischen das Weiche der Schafe

und die Härte der Stadt mit den Steinen und Straßen?

Bin ich nun aufgewacht oder doch noch im Schlafe?

Mich träumte, dass Menschen die Schafe schlachteten und aßen

Und hier die ‚Linien zwischen Gras und grasbedecktem Stein’**

verlaufen wie? verzweigen sich? Versinkt hier das Sein

in Schatten, im Traum, in der Nacht?

und hier das Licht? Bin ich erwacht?

Jenny

Das war mal ein bequemes Schlafen

im dicken Pelz von Mutterschafen

Doch jetzt wirds Zeit, dass wir verschwinden

der Bauer sollte uns nicht finden

sonst holt er noch sein Schießgewehr

und jagt uns Hunde hinterher.

 

Mir scheint, ich sollt ich die Gegend kennen…

Gab hier nen Hahn und drei vier Hennen

Ich fand ein Ei, das trank ich gleich

und fühlt mich wie im Himmelreich.

Jedoch der Bauer

war stinksauer

Ich bin dem Hunde nur entkommen

indem ich einen Baum erklommen.

Da musst ich eine Stunde kleben

Das möcht ich nicht noch mal erleben.

 

Wenn ihr wollt, bleibt ihr halt hocken.

Ich aber mach mich auf die Socken.

Domna

Geh nicht allein, lass uns zusammen bleiben

Kein Windstoß soll uns auseinander treiben

Der Mensch ist nicht gemacht fürs Einsamsein

Hast du gehört, dass nur ein Fuß allein,

ein Kopf, ein Knie, ein Mund allein spaziert?

Mir scheint, dass es stets im Verbund passiert

dass Kopf und Fuß und Mund und auch die Hand

verbinden soll ein unverbrüchlich Band.

 

Wenn du allein gehst, kommst du schnell voran

das weiß ich wohl, doch denk einmal daran

wie es am Abend ist, wenn Dunkel dich hüllt ein

und du nicht einen hast, der sagt: Nun schlaf mal fein.

Wenn du nicht weißt wohin, und niemand kannst du fragen,

der dir was rät und hilft an solchen schweren Tagen.

Ich bin ja blind, und dir zu wenig nütze

doch sei gewiss, dass ich dich doch beschütze

 

durch Worte, die der Seele Nahrung geben

das ist so wichtig wie das Brot zum Leben.

Jenny

Schon gut! Ich warte ja, nur mach geschwind

und sammel ein auch das verträumte Kind

Und Trud, die niemals weiß, wolang es geht

und wo und wie und wann, die nichts versteht.

Ich fühl mich schon fast wie ein armer Hirt

der mit ner blinden Herde durch die Gegend irrt.

 

Wenn ihr zum Aufbruch seid bereit:

Von hier ist es zur Bucht nicht weit

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ich glaub, die Gegend ich mir bekannt

es sei denn, dass ich täusche mich

So ist es gar nicht mal sehr weit

bis hin zur Bucht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

——————-

*Das Bruchstück von Marion Poschmanns Gedicht milde kleine diagnosesplitter fand ich in einem Text bei Planet Lyrik,  zwei Texte zu Poschmanns Gedicht „Grund zu schafen“, zuerst veröffentlicht in die horen, Heft 246, Wallstein Verlag, 2. Quartal 2012

**Bezug zu Ilse Aichingers Gedicht Beyond, das Domna am Abend zitierte.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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4 Antworten zu Welttheater, 4. Akt, 6. Szene: Erwachen, Aufbruch

  1. Mitzi Irsaj schreibt:

    Neben der Hilfestellung von Dora freue ich mich hier wieder über die eingestreuten vielen Bezüge. So musste ich erkennen, dass ich fast alle Strophen des so vertrauten Kinderliedes vergessen hatte. Jetzt habe ich sie wieder gelesen.
    Viele Grüße und einen schönen Sonntag.

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    • gkazakou schreibt:

      Lieben Dank, Mitzi. Es ist ein bisschen eine Gratwanderung. Beim Kinderlied ist es recht einfach, Eigenes und Überliefertes zu mixen. Zeitgenössische Lyrik aber durch eigenes Gereimtes zu interpretieren und ins Welttheater einzuweben, ist schon etwas übermütig. Ich mache es trotzdem, denn Domna ist die Leitfigur des Jahres, und so muss alles zu Poesie werden – und die Poesie zum Drama.

      Gefällt 1 Person

  2. Schlaf Kindlein schlaf. Wer kennt es nicht, dieses alte Kinderlied und doch kennt man nur noch ein bisschen vom Text.
    Den Rest hatte der Wind der Zeiten verweht 🙂

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