Tagebuch der Lustbarkeiten: Kunst als Dekor

Viel zu wenig Kunst sehe ich hier in meinem Paradies. Umso gieriger sauge ich auf, was mir gelegentlich vor Augen kommt, so wie letzten Sonntag, als wir in einem großbürgerlichen Haus zum Essen eingeladen waren. Das Gute an solchen Häusern ist: sie haben viele große Wände. Und wenn eine der Töchter des Hauses zudem Kunst studiert hat (in Lissabon zuerst, dann in Brüssel), kann man auf ein paar interessante Bilder hoffen.

Nun, das meiste, was an den Wänden hing, war der „klassischen“ Art und in seinen Farben erdig-dunkel. Wie lebendige Lichtblicke wirkten dagegen die beiden großformatigen starkfarbigen Arbeiten der Tochter.

Natürlich ging es in der Unterhaltung der Anwesenden – ein Arzt, der in England praktiziert und auf das dortige Gesundheitssystem schimpfte, ein gutmütiger älterer Herr, der die meiste Zeit seines Lebens in den Staaten verbrachte, ein stellvertretender Peripheriarch der Peloponnes, der das Wort „stellvertretend“ bei nächster Gelegenheit eliminieren möchte, zwei emiritierte Professoren der politischen Wissenschaften, drei Ehefrauen – nicht um Kunst, sondern vor allem um parteipolitischen Hickhack.

Die Frauen? Die lebhafte Ehefrau des Peripheriarchen langweilte sich offenbar, als ihr Mann eines seiner Projekt wortreich erklärte, denn diesen Vortrag hörte sie sicher nicht zum ersten Mal, Die kluge, gebildete Hausfrau, für die Küche und den stark bewegungs- und sprachbehinderten erwachsenen Sohn zuständig, war ohne Ehrgeiz, sich in die Unterhaltung einzumischen. Ich selbst war etwas neben der Kapp und zog mich irgendwann auf den großen sonnigen Balkon zurück, von wo ich beim fernen Stimmengewirr und Gelächter der Männer sanft einschlief.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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40 Antworten zu Tagebuch der Lustbarkeiten: Kunst als Dekor

  1. bonanzamargot schreibt:

    ist das kunst oder dekor?
    meine spontane einschätzung: mehr dekor als kunst.

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    • Ach, wer will das schon beurteilen… und: ist es wichtig? Ich bevorzuge immer die Frage: Berührte es mich? Löst es etwas bei mir aus?

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      • bonanzamargot schreibt:

        da ist was dran. kunstverständnis ist nicht immer gegeben.

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      • gkazakou schreibt:

        Ich wollte das gar nicht bewerten, Margot. Mir gefielen die Bilder als Raumschmuck sehr.

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      • bonanzamargot schreibt:

        das mit dem raumschmuck ist gar nicht so einfach. kommt drauf an, wie man gestrickt ist. manchmal ist eine weißgekalkte wand ohne irgendwas besser.

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      • gkazakou schreibt:

        Ja, sicher. Es ist in der Kunst wie beim Essen, alles auch eine Geschmacksfrage. Manche mögen die Nouveau cuisine mit riesigen fast leeren Tellern, andere fühlen sich dabei unbehaglich und bevorzugen einen gut beladenen Teller.

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      • bonanzamargot schreibt:

        ich fühle mich unbehaglich bei zu viel „künstlichkeit“.

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      • gkazakou schreibt:

        Sieh es aus der Perspektive der Bewohner, Margot: ihnen gefallen die Bilder, sie schmücken die Wände, sie sind zudem stolz auf die ferne Tochter, freuen sich, wenn ihre Arbeiten gesehen und gewürdigt werden….Das ist doch eine schöne Bilanz für ein Bild! Andere Bilder verstauben hinter Schränken oder in den Kellern der großen Galerien. Oder sie stecken, für Millionen gekauft, in feuerfesten Tresoren. All das kein guter Umgang mit Kunst. Das wichtigste bei Kunst ist immer: sichtbar zu sein, gesehen zu werden.

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      • bonanzamargot schreibt:

        ich habe nichts gegen die präsenz von kunst für jedermann. im persönlichen raum bevorzuge ich persönliches… originales.
        wenn menschen durch ihre kunst geld machen können, ist das prima. aber eigentlich mag ich den kunstbetrieb als investition oder als deko-objekt nicht. in meinen augen uferte er längst aus…. kunst als konsumobjetk ist mir suspekt, und das wird so bleiben.

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      • bonanzamargot schreibt:

        entschuldige, ich empfinde einfach einen widerwillen gegen das dekor der heutigen zeit und die kunstvermarktung.
        aber ich gebe dir in allen punkten recht.
        wir wollen alle gesehen werden. jeder mensch ist ein kunstwerkt. jeder baum, jedes tier, jeder stein…
        danke für das gespräch.

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      • gkazakou schreibt:

        Danke! Deine Abneigung gegen die Kunstvermarktung teile ich. Um die ging es hier aber nicht. 😉

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      • bonanzamargot schreibt:

        okay. ich überreagierte.

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      • gkazakou schreibt:

        na und? Macht doch nichts. Solche Diskussionen helfen ja immer, die Gedanken zu klären.

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      • bonanzamargot schreibt:

        finde gut, dass du es so siehst – nicht überempfindlich reagierst. es geht hier nicht um rechthaberei, sondern um die gegenüberstellung verschiedener sichtweisen.

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      • gkazakou schreibt:

        Ja, ich mag Debatten, außerdem bin ich durchaus auch in vielem deiner Ansicht.

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      • Nun, was ist Kunstverständnis? Wer beurteilt? Hat Gaugin Kunst gemacht? Das fand damals kaum einer. Die Bilder lagen in Estrichen, weil man sie aus Mitleid gegen ein paar Fressalien in Tausch nahm. Und heute? Van Gogh? Schiele? Ist eine Ladung Butter zu Bergen geschichtet Kunst? Ein roter Punkt auf einer weissen Leinwand? Ein Riss?

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      • gkazakou schreibt:

        Schmückte es den Raum – ist meines Erachtens durchaus auch eine legitime Frage.

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      • bonanzamargot schreibt:

        wie sehr berührt mich ein smartphone? wie sehr berührt mch ein technisches objekt wie ein auto? wir wissen alles, dass sehr viele menschen hin und weg sind von solchen objekten und diese womögliche als kunst ansehen. ich muss das natürlich hinnehmen. ich muss hinnehmen, dass die städte immer mehr zu materialistischen monstern werden. wo bleibt die stadtkultur? wo ist hier noch echte architektonische kunst? okay, das ist freilich geschmackssache, wie alles. willkommen in der coca cola-kultur.

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    • gkazakou schreibt:

      Kunst als Dekor. Warum nicht so?

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      • bonanzamargot schreibt:

        am besten, wenn man selbst kunst macht… das muss gar nicht anspruchsvoll sein. es geht schließlich um den persönlichen bezug.
        und ich meine, dass in jedem menschen ein künstler steckt.

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      • gkazakou schreibt:

        Nein,Margot, nicht nur selbst machen, sondern unbedingt auch (!) die Arbeiten anderer ohne Vorbehalt ansehen und dadurch würdigen. Wenn zu Künstler und Kunstwerk nicht auch der Betrachter kommt, gibt es leicht einen Kurzschluss.

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      • bonanzamargot schreibt:

        ja, es ist schön, wenn andere meine bilder wertschätzen, aber zum verkauf stehen sie nicht. es ist schön, wenn meine gedichte gelesen und kommentiert werden, aber eine vermarktung… muss nicht sein. wobei ich zugeben muss, dass auch ich den reiz manchmal verspüre.

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  2. afrikafrau schreibt:

    Deine Erzählung amüsant zu lesen, Manner halten langweilige Monologe oder Vorträge im Allgemeinen. Sie erzählen anders.

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  3. Gisela Benseler schreibt:

    Ja die Malereien der Tochter sind erfrischend. Vielleicht interessiert sie – oder ihre Mutter – sich auch für Deine Kunst? Nicht nur zum Aufhängen.

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  4. wildgans schreibt:

    ..bist in eine sehr kultivierte Gesellschaft geraten…bei solchen vorlesungsartigen Gesprächssachen hätte ich gehandelt wie du, wie herrlich, draußen und mit dem Rede- und Lachgeplätscher im Hintergrund einzuschlafen…
    Gruß von Sonja, die nicht zwischen Kunst und …dings entscheiden mag, wozu überhaupt solche Bewertung, einfach gucken reicht doch.

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  5. hanneweb schreibt:

    Die Bilder an den Wänden gefallen mir sehr gut, weil erfrischend in den Farben und interessantes Spiel damit. Schönheit liegt ja bekanntlich auch immer im Auge des Betrachters, aber mit deinen immer wieder so tollen Bildern natürlich nicht vergleichbar!
    Der Umstand, dass diese Gastgeber mit ihren Unterhaltungen dermaßen langweilen, dass du dabei sogar auf die sonnige Terasse ausweichst und dort einschlummerst brachte mich arg zum Schmunzeln, liebe Gerda. 😀
    Liebe Grüße, Hanne

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    • gkazakou schreibt:

      Ach, Hanne, ich war eben auch nicht gut in Form, sonst hätte ich versucht, dem Gespräch eine für mich interessantere Wendung zu geben. Die Bilder haben sich im Raum sehr gut gemacht, sie waren erfreulich. Auch das ist Kunst: zu erfreuen. Ich nehme an, dass die Künstlerin diese Bilder dem elterlichen Geschmack zuliebe ausgewählt hat. Was sie sonst noch macht, weiß ich nicht, ich glaube, vor allem video-Art.

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  6. Myriade schreibt:

    Hauptberuflich Ehefrau zu sein, finde ich recht deprimierend 😄

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    • gkazakou schreibt:

      Sicher, in diesem Fall aber unausweichlich, da das eine der drei Kinder schwerstbehindert geboren wurde. Es kommt dann darauf an, was die Frau aus dieser erzwungenen Einschränkung dennoch zu machen versteht. Diese hier hat meine Hochachtung.

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  7. Mitzi Irsaj schreibt:

    Neben den beiden Bildern finde ich die Beschreibung der Gäste sehr interessant. Allerdings kann ich gut verstehen, dass du dich auf den Balkon zurück gezogen hast 😉

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  8. alphachamber schreibt:

    …besser als eine an die Wand geklebte Banane! In der heutigen Zeit ist jede schaffende Kunst ein wichtiger, erfreulicher Teil unserer noch verbliebenen Menschlichkeit…
    Wenn manche „Kunstkritiker“ nur ebenso eifrig die derzeitige Politik kritisieren wuerden…

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  9. Eine sehr schöne anschauliche Beschreibung einer besonderen Einladung, liebe Gerda!

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