Welttheater 2. Akt, 6. Szene: Hinterfragen

Was zuletzt geschah: Hera hat ihren Monolog über die wahre Version der Danaidengeschichte beendet.  Jenny protestiert heftig und verkündet ihre Lebensdevise: sie will nicht für „weibliche“ Arbeiten eingespannt werden, sondern frei sein.

.

Moment mal, Hera,

willst du uns etwa erzählen

wie gut das Dienen sei?

Solln wir uns weiter quälen?

Ich selbst bin lieber frei!

Trud, die Fragende, hat ihrerseits etliche Grundsatz- und Detailfragen. Hören wir sie selbst:

Trud:

Bist du sicher, hohe Göttin, dass die Frauen besser sind

als die Männer, nur weil sie im Bauch ein Kind

tragen können, Männer nicht?

Führen nicht auch Frauen Kriege?

Neigen Fraun nicht auch zur Lüge

Führen andre hinters Licht?

 

Bist du sicher, dass die Zahl

der Frauen wirklich fünfzig war?

Vielleicht warns zehn, die diese Qual

erdulden mussten Jahr um Jahr?

 

Wo stehts geschrieben, gibts Beweise

dass die Männer sie entehrt?

Oder machten sie die Reise

Weil die Heimat nichts mehr wert?

 

Viele Fragen bleiben offen

viel Geschwätz und wenig Sinn

Weils so ist, bleibt nur zu hoffen

dass ich selbst im Irrtum bin.

Hera zieht sich langsam zurück, Trud rutscht auf den Knien hinter ihr her, immer weiter ihre Fragen murmelnd.

Trud

Stets muss man die Quellen kennen

Wer was sagte und warum

Muss auch stets die Namen nennen

Und vom Ereignis das Datum.

Hera

Das ist das Schlimme dieser Zeit

Dass niemand glaubt, was er vor Augen

Und selbst wenn laut die Wahrheit schreit

Fragt ihr, was die Beweise taugen.

 

Und so geschieht, was offenbar

Schon längst den Menschen, die gescheit.

Die andern spalten Haar um Haar,

Zum Handeln sind sie nicht bereit.

Hera und Trud gehen ab.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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4 Antworten zu Welttheater 2. Akt, 6. Szene: Hinterfragen

  1. Alexander Carmele schreibt:

    Was für herrliche Dialoge. Ich mochte besonders:

    „Viele Fragen bleiben offen
    viel Geschwätz und wenig Sinn
    Weils so ist, bleibt nur zu hoffen
    dass ich selbst im Irrtum bin.“

    Da habe ich mich gefreut und geschmunzelt. Der Irrtum wird als öffnendes Moment, als Aha-Erlebnis unterschätzt. Zu oft verschließt die Erwartung meine Augen – ich mag es, wenn ich mich irre. Es ist eine stete Hoffnung und Fröhlichkeit darin.

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    • gkazakou schreibt:

      Danke sehr, Alexander, für diesen Kommentar, der zur rechten Zeit kommt. Denn ich bin ein wenig verunsichert, ob ich dieses Format durchhalten kann, oder ob es beim Leser als „viel Geschwätz und wenig Sinn“ ankommt. Die gereimte Form braucht eigentlich viel mehr Zeit und Geduld, als die meinsten Leser heute haben. Und so neige auch ich zu Abkürzungen, um nicht zu überfordern. Ein Korrektiv suche ich im Kommentarstrang und nun auch vermehrt in den kleinen überleitenden Texten.
      Ich bleibe jedenfalls dran. Es ist für mich spannend, von Tag zu Tag das Werden meines eigenen Textes mitzuerleben. Ich weiß tatsächlich kaum, was in der nächsten Szene passieren wird. Die Figuren bringen mich jedesmal weiter.

      Gefällt 1 Person

      • Alexander Carmele schreibt:

        Mir gefällt der Text außerordentlich. Er bringt eine Saite in mir zum Schwingen, die nur noch selten schwingt, ein Episch-Fröhlich-Ergiebiges 🙂

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      • gkazakou schreibt:

        Das tut mir nun sehr gut, lieber Alexander, denn ich fühle es, seit ich den Blog mache, als meine Aufgabe, schwierige, auch umkämpfte Themen in fröhlicher Manier umzuwälzen und nahezubringen. Dem diente meine Schnipselwelt von Anfang an. Und auch Dora entstand aus diesem Grunde.

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