Welttheater, 2. Akt, 7. Szene: Poetin und Flüchtlingin

Was zuletzt geschah: Trud, die Fragende, stellt ihrer Art gemäß Fragen um des Fragens willen. Hera reagiert unwillig: Das Offensichtliche zu hinterfragen, sei wenig hilfreich. Hera und Trud verlassen die Szene, Jenny theKid verharrt unschlüssig. Domna wendet sich Danai zu. Sie rezitiert mit inniger Stimme ein Gedicht*.

Domna

„Bräunliche Haide im Sonnenduft,
Wandervögel in blauer Luft,
Und eine Welle, die weit vom Fluß
Sich in das träumende Land verirrt
Und nun im Sande verrinnen muß. –
Während der Zug vorüber schwirrt,
Prägt sich das seltsame Bildchen mir ein,
Um mich dann später heimlich zu fragen:
„Was bist du Andres, als solch eine Welle,
Die von des Ufers sicherer Schwelle
Ruhlose Sehnsucht ins Weite getragen?“*

 

Gleichst du nicht auch einer Welle

die das Schicksal fortriss von der Quelle

liebe Danai?

Es trug dich fort von deinem Land

und spülte dich an diesen Strand

ganz nahebei

Ein Strand, ein Volk, im irgendwo

du kennst es nicht, es scheint dir roh.

Es ruft: sei frei

Doch Freiheit ist ein leeres Wort

wenn feindlich dir der fremde Ort

wo es auch sei.

Danai:

Ich höre dich, Domna, Liebe,

doch glaub mir, wenn ich bliebe

in meiner Heimstatt, mit den Kindern

mit Schaf und Hund und bunten Rindern

ich wäre tot jetzt samt den andern

die es nicht schafften fortzuwandern.

In meinem Land gibt es nur Krieg und Hass

Nicht morgen, Morden, darauf ist Verlass.

Wir Frauen solln den Männern dienen

wie Sklaven gehorchen und nur ihnen.

Und wer sich wehrt, der wird gezwungen.

Schon meine Ahnin hat gesungen:

‚Die Freiheit ist kein leeres Wort

nicht hier, nicht dort, an keinem Ort‘.

Domna (nachdenklich)

Ich hör dir zu, denn wenig kenne ich die Welt

Ich weiß nicht recht, wie es um sie bestellt.

In dieser Ecke geht es friedlich zu

Zur Ruhe komme hier auch du.

Danei (froh und aufgeregt):

Schau Domna, auch die Göttin ist zurück

mir scheint, zum Guten neigt sich mein Geschick.

Sie rief herbei die klugen Geister der Natur

sehr mächtig, wenn auch winzig von Statur.

 

 

——————————————————————————————————–

Christiane hat mir erlaubt, in ihrer reichen Gedichtssammlung zu stöbern und mich zu bedienen. Es ist eine wunderbare Quelle der Inspiration.  Danke, Christiane!

(Anna Ritter, Verirrte Welle, aus: Befreiung, 1900, Online-Quelle)

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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14 Antworten zu Welttheater, 2. Akt, 7. Szene: Poetin und Flüchtlingin

  1. Gisela Benseler schreibt:

    „Verirrte Welle“ von Anna Richter ist einfach wunderbar! Und was Du zeigst und schreibst, ist sehr dramatisch und spannend.

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  2. Christiane schreibt:

    Nur zu, Gerda, nur zu. Ich freue mich, wenn ich dir mit den Gedichten behilflich sein kann 🧡👍

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  3. Gisela Benseler schreibt:

    „Daß man „Heide“ damals noch mit „ai“ schrieb, ist mir neu.

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  4. Gisela Benseler schreibt:

    Die Szene zwischen Domnai und Danae ist sehr poetisch und berührend, Gerda. Wunderschön!💓

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    • gkazakou schreibt:

      Domna heißt eigentlich Herrin, gibt es im Griechischen, Russischen und sicher auch in anderen Sprachen. Δανάη ist griechisch, wird Danai ausgesprochen, kann man im Prinzip auch Danae schreiben.

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