„Pu!“ Dora schüttelt sich. „Dieser Angstmacher ist ja ne ziemlich trübe Tasse. Wenn die anderen auch so sind, bleibt dir im nächsten Jahr das Lachen im Halse stecken!“ – „Die andern sind anders„, sage ich und täusche Zuversicht vor. „Willst du nicht noch wen interviewen, damit wir vorankommen?“
„Klar will ich“, tönt Dora, nun wieder bei Kräften. „Mal sehen, wen wir als nächsten nehmen. Dieser blaue Sprinter sieht lustig aus. Oder ist das eine Frau? Durchsichtig ist sie ja, aber die, hm, wesentlichen Unterscheidungsmerkmale erkennt man trotzdem nicht. Und der Kopf mit dem Knopf, oder was auch immer da auf seinen Schultern sitzt, macht mir ein bisschen Sorge. Kann er überhaupt reden? Sag noch mal, was in seiner Bewerbung steht!“
Ich lese vor:
„Der alte Mensch ist unvollkommen. Neue Wege weist uns die Wissenschaft! Wir schreiten voran, lassen alte Vorurteile hinter uns. Der Mensch aus der Retorte – perfekt, störungsfrei, voller Kraft und Schönheit – entspringt der Retorte mit dem Samen und der Eizelle deiner Wahl. Sein Denken wird nicht mehr in die Irre gehen, sondern wundervoll zentriert um die gesetzten Ziele kreisen. Das Schönste aber: seine Gefühle sind vollkommen transparent. Schluss mit all dem Düsteren, mit den Schatten der Vergangenheit. Klar und heiter ist seine Seele. Komm, sei einer der Pioniere, die dieses herrliche Menschenziel realisieren! Auf in die Zukunft einer glücklichen Menschheit!“
„Komisch“, sagt Dora und kratzt sich am Köpfchen. „Der redet tatsächlich nicht. Jemand anderes redet über ihn. Wer ist denn dieser andere. der immer ‚Wir‘ sagt? Ich sehe ihn gar nicht auf dem Bild. Soll ich die Luft interviewen?“
In dem Moment ertönt eine joviale männliche Stimme aus dem Off. „Guten Abend. Du heißt Dora, nicht wahr? Darf ich dich in unser Labor einladen?“
Dora guckt herum, sieht aber niemanden. „Und wer bist du, wenn ich fragen darf?“ fragt sie. – „Ich bin die Wissenschaft“, antwortet dieselbe Stimme.
„Also eine Frau?“ schlussfolgert Dora.
„Ja und nein“, sagt die Stimme, die nun ein bisschen hohler klingt. „Nimm jenen Kopf-Set-up, der vor dir erscheint. Exakt. Setz ihn dir auf. Exakt. Jetzt sind wir verbunden und können kommunizieren. Was möchtest du wissen?“
Dora sieht mit den großen Kopfhörern ziemlich unglücklich aus, aber sie sagt tapfer: „Ist der Blaue lebendig?“ – „Ja, freilich, sogar lebendiger als du. Es ist ein neuer Mensch, den wir aus der Erbmasse der Menschheit entwickelt und optimiert haben. Ich schalte jetzt den Betrieb an, dann kannst du selbst sehen und fühlen, wie er funktioniert. Ich gebe dir die Impulse, dann kannst du ihn steuern, natürlich nach unseren Anweisungen, damit kein Unglück passiert.“
Und wie die Stimme noch redet, springen Lichter an und aus, hier strömt es grün, dort rötlich, sogar Dora ändert laufend die Farbe. „Was fühlst du, wenn du blau bist? Was denkst du jetzt? Exakt. Es macht Spaß, und es funktioniert,“ sagt die Stimme.
Doch Dora reißt sich empört die Kopfhörer von ihrem Köpfchen. „Sag mal, spinnst du?“ schreit sie. „Ich bin doch keine Maschine, die man an- und ausknipsen kann! Und von Leuten, die ich nicht kenne, lasse ich mich schon gar nicht herumkommandieren. Wenn du hier antreten willst, komm gefälligst persönlich vorbei!“
Dora ist suuper, sie lässt sich nicht zum Experiment machen!!!!😍👌👍
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Das fehlte ja noch ! 😉
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Genau. Von Leuten die ich nicht kenne, lasse ich mich KEINESFALLS herum kommandieren. Aber im Ernst- von denen, die ich kenne auch nicht 😅 Schöne Grüße an „Dora“ …
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Genau! Auch von denen, die ich kenne, lasse ich mich nicht rumkommandieren. Ich sehe sie, ich kann mich mit ihnen auseinandersetzen. Mit konkreten Wissenschaftlern kann ich auch streiten. Mit der anonymen „Wissenschaft“ hingegen, die ja eigentlich nur ein Popanz ist, kann ich es nicht. Das ist der Unterschied. Und auf den macht Dora aufmerksam.
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Ich hatte nicht einmal Glück mit konkreten, aber das ist eine andere Sache 😀 Popanz ist ein schönes Wort!
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Ein schönes Wort, ja! Ich mags. Als Definition fand ich eben, bei Wikipedia nachlesend, „…Gemeint sein kann auch eine Person, die „sich willenlos gebrauchen und alles mit sich machen lässt“, zugleich aber den Eindruck von Macht und Selbstbestimmtheit zu erwecken versucht.“
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Coole Idee mit den Interviews mit den neuen – gruseligen – Kandidaten! Ich mag es, wie sich bei dir Kunst, Philosophie und Politik verweben.
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Danke dir, Marion, ich freu mich, dass dir meine Kombi gefällt! 🙂
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Hut ab vor Dora! Sie reagiert, wie ein wahrer Mensch reagieren sollte, sehr mutig und entschieden, aus dem Impuls heraus.
Aber „die Wissenschaft“ geht ihre Wege und braucht uns Menschen nicht, nur unsere Samen- und Gehirnzellen. Die funktionieren dann aber fremdgesteuert.
Und wer dahintersteckt, weiß keiner. Jedenfalls kein Guter. Der Verstand vertreibt die Seele. Allerdings geht das nicht, weil die freiheitsliebende Seele da nicht mitmacht.
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Dora freut sich über dein Lob.
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Na, dann schöne Grüße an sie! Bzw. an ihren Mut, der beeindruckt!
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„Aber „die Wissenschaft“ … braucht uns Menschen nicht, nur unsere Samen- und Gehirnzellen… Und wer dahintersteckt, weiß keiner. Jedenfalls kein Guter.“. Genau so sehe ich es auch.
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Es gibt allerdings auch gute Wissenschaftler.
Sehen sollen wir das alles, aber nicht verurteilen,
Jedoch die alten Wege nicht mehr mitgehen, die neuen aber suchen, empfinden.
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Selbstverständlich gibt es gute Wissenschaftler, liebe Gisela. Ich bin zum Beispiel eine 🙂 Aber im Ernst: Es gefällt mir nicht, wenn Menschen, die von Wissenschaft keine Ahnung haben, ihre Glaubenssätze beginnen mit „wie die Wissenschaft sagt, meint, herausgefunden hat“. Oder die Menschen, die mit ihnen nicht übereinstimmen, als Wissenschaftsfeinde bezeichnen.
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Ja „die Wissenschaft“ soll alles begründen und rechtfertigen. Wer mag da noch widersprechen.
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Blogseitenregierungsgeschäfte!
Ich beobachte…
Grüße von Sonja
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Blogseitenregierungsgeschäfte, hihi. Und was beobachtest du, liebe Sonja?
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Wie es hier so zugeht…
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und wie geht es hier zu? 😉
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Dora spricht mir aus dem Herzen! Ich halte Abstand vor dem neuen Menschen.
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Dora ist vor allem dagegen, dass sie mit dem, detr ihr da alles Mögliche aufschwatzen will, nicht reden kann. Er sagt imemrzu „wir“ und „die Wissenschaft“, aber sie kriegt niemanden zu Gesicht – so beklagt sie sich.
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Es war gut zu verstehen, liebe Gerda!
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