Der herbstliche Regen hat die Atmosphäre geklärt. Mondlos und sternklar ist die Nacht. Lange wirds nicht so bleiben, denn schon sind neue Unwetter angesagt, auch Massen von Saharastaub ziehen in höheren Lagen zu uns herüber. Sei es! Dem Boden tut es gut.
Ich bin froh, dass unsere Oliven vom Baum sind. Gestern kurz vor Mitternacht kam der Laster, um die Säcke abzuholen und in die Ölmühle zu fahren. Eine Rekordernte wurde es. Das Öl wird heute gepresst, vielleicht auch erst morgen, denn es gibt viel Arbeit und wenige Hände. Da muss ich dann hinauf ins Bergdorf und die Kanister abholen.
Als ich, in Erwartung des Lasters, nach dem Orion schaue, ist mir, als beginne der Nachthimmel sacht zu glühen. Feine Gestalten treten aus dem Dunkel hervor. Auch meine ich eine singende Stimme zu vernehmen. Von weit und nah kommt sie, inwendig und auswendig ist sie.
Δέδυκε μεν α σελάννα και
Πληιάδες· μέσαι δε
νύκτες, παρά δ‘ έρχετ‘ ώρα,
εγώ δε μόνα κατεύδω.
Ach wüsste ich nur, was es bedeutet!*
Da höre ich Dora von oben krähen: „Du willst wissen, was es bedeutet? Frag doch die blinde Dichterin, die wird es dir schon verklickern!“ – „Dora! Ach wie schön, Dora, ich hab dich vermisst!“ rufe ich hinauf in der Hoffnung, dass sie mich hört (ich bin letztens ziemlich heiser).
„Ich hab auch einen neuen Kumpel!“ schreit sie jetzt. „Den hab ich unterwegs aufgegabelt, hat sich bei den Plejaden rumgetrieben! Das sind sieben Schwestern, die ….“ Und tatsächlich, rechts von ihr erkenne ich jetzt, leicht vernebelt, einen blauen Flugfisch und darinnen einen lustigen roten Kerl. „Aber er kommt nicht sogleich, bleibt noch ein bisschen hier oben.“ – „Ach, bring ihn doch schon mit!“ krächze ich hinauf. Ein Freund für Dora, das wäre super!
„Da links von mir fliegt noch einer“, vernehme ich nun wieder Doras Stimme. „Der ist grad aus den Windeln gestiegen, aber schon ziemlich clever. Er will oben bleiben, hat die Nase voll von der Erde, sagt er. Ein Jahr hat er dort gelebt und fand es ziemlich höllisch. Er sagt, du kennst ihn. Stimmt das?“
Und ob ich den kenne! Es ist der Willi, wie er leibt und lebt. Oder doch eher, wie er leibte und lebte? Ich bin verwirrt. War? Ist? Wird?
Die Zeit ist oben anders als hier unten bei euch! höre ich jetzt sehr klar die Dora. Kein Wunder, denn sie sitzt nun auf meiner Schulter direkt neben meinem Ohr So mag ich sie am liebsten. Kleine Dora, bleib doch noch ein bisschen länger bei mir, hier unten, murmele ich. Natürlich weiß ich, dass das nicht geht. Die Zeit läuft hier unten wie am Schnürchen immer geradeaus. Da oben hingegen…..
___________________________________________________________
*Falls du erfahren möchtest, was es bedeutet, schau mal hier nach.
Griechische Dichtung am Sonntag: Sappho
Der Sternenhimmel, von Dir erblickt, ist ja so hell, daß die Sternbilder auch für uns zu sehen sind. Das ist beeindruckend.
Und schön auch, daß Dora mit den Pleijaden auftaucht und noch andere mitbringt. Dora aber war/ist Gegenwart. Was sie mitbringt, ist Vergangenheit.
Deine gemalte Sapho aber ist auch wieder Gegenwart. Ihre vielfach übersetzten überlieferten Worte aber, – sollen sie erneut Gegenwart werden? So bedeutsam sind sie mir nicht.
LikeLike
Du hast nicht genau gelesen, Gisela. Dora bringt nicht die Plejaden mit, wie denn auch. Und der Junge im blauen Fischgefährt ist nicht Vergangenheit, sondern Zukunft. Die Worte der Sappho sind ewig. Zeit ist ein seltsam Ding.
LikeLike
Naja, Dora hält doch einen ganzen Sternenhaufen in der Hand, darin, kaum sichtbar, jemanden…Welche Bedeutung er haben wird, kann ich noch nicht ahnen.
LikeLike
Ah, jetzt verstehe ich. Ja, so kann man es sehen. Für mich leuchtete sie nur ein Stück des Sternenhimmels aus.
LikeLike
Danke, Gerda. Also sind es doch Sterne. Die kann – und will – sie aber sicher nicht vom Himmel holen. Immerhin traute man Dora so ziemlich alles zu.
LikeLike
Genau!
LikeLike
Die Worte der Sappho stammen aber nicht aus der Ewigkeit, sind aber so in die Dichtung eingegangen und natürlich vielen ans Herz gewachsen.
Dein Gemälde von Sappho ist wirklich stark, und das hat als Kunstwerk sicher bleibenden Wert.
LikeLike
Daß die Oliven geerntet sind und Du die Kanister morgen abholst, ist sehr schön, jedoch sehr prosaisch, – oder doch nicht?
LikeLike
Prosaisch ist es, reale Arbeit ist es, und sehr erfreulich. Der Mensch lebt nicht von Lyrik allein.
LikeGefällt 1 Person
Vom Wert der Arbeit und der Freude an der Ernte kann ich nur Gutes sagen.
LikeLike
Die Oliven sind geerntet, das ist gut! Wieviele Liter Öl werden es wohl werden?
Schone Deine Stimme, liebe Gerda, Dora hört Dich auf jeden Fall.
Als ich das erste Bild vergrößerte, konnte ich tatsächlich das sehen, was mir die kleinere Fassung verweigerte.
Da oben ist alles anders, oh ja, das ist es wohl. Du meinst, da oben, geht die Zeit Umwege, bzw. sie hält sich nicht an die Menschennorm?
Tja, wie klein sind wir und wie groß das, was uns umgibt…
LikeLike
Danke, Bruni. So viel Öl wie erwartet wurde es leider nicht. Aber dennoch: wir sind zufrieden.
LikeLike
Mehr braucht es doch auch nicht!
LikeLike
Nun, wir verkaufen auch gern einen Teil, um die Erntekosten reinzuholen. Das wird diesmal dann etwas eng.
LikeLike
Schade, ich würde so gerne davon kaufen…
LikeLike
🙂 Und ich würde dir sehr gerne davon zur Verfügung stellen, liebe Bruni. Aber es gibt ja auch das Transportproblem.
LikeLike
Wirklich sehr schade!
LikeLike
Ja, liebe Bruni, das denke ich tatsächlich: Die Vorstellung einer geradlinien Zeit, die sich von jetzt unendlich in zwei Richtungen ausdehnt und gleichmäßig, ticktack in die eine Richtung vorwärtstackert, scheint mir Menschenkonstrukt zu sein. Jedes Lebendige hat seine eigene Zeit. Bewegung ist das Tatsächliche, Zeit und Raum sind davon abstrahiert.
LikeLike
Ich verstehe dich.
Lebendiges braucht manchmal ein Weilchen, bis die Bewegung sichtbar wird, liebe Gerda
LikeLike
Da oben hingegen…..geht es auf eine Art weiter. Es freut mich, dass Willi dort oben herum schwebt. Und Dora, ja Dora, hätte ich auch noch gerne ein Weilchen bei Dir. Aber eigentlich ist es auch schön, dass man sie nicht gehen lassen möchte. Sonst wäre sie ja gleichgültig und nichts besonderes gewesen und das war sie nun wirklich nicht.
LikeLike
Schön, dass du dich auch an Willi erinnerst, Mitzi. Er-sie war ja ein sehr interessantes, aber weniger erfreuliches Wesen als Dora. Es-sie quälte sich durch die Zeiten.
LikeGefällt 1 Person
Danke, Mitzi. Nach meinem Dafürhalten ist nichts wirklich weg, was einmal war, also ist auch Willi „irgendwo da oben“. Er kann sich freilich nicht mehr entwickeln, bleibt nun immer, was er war. Dora möchten wir auch gern so behalten, wie sie ist, sie wirkt irgendwie perfekt, sodass jede Entwicklung als Verschlechterung empfunden würde. Die Welt muss sich aber entwickeln. Also darf sie gehen. Obwohl ….
LikeGefällt 1 Person
Du hast ja recht…die Welt muss sich entwickeln. Trotzem gefällt mir das kleine Wort „obwohl“ gerade sehr gut.
LikeLike
ja ja. Mal sehen.
LikeGefällt 1 Person