Als ich bei meinem letzten Athen-Besuch in die Galerie Zoumboulaki eintrete, starrt mich ein riesiges schwarzes Viech aus gelben Augen an. Es handelt sich zweifellos um einen Drachen, also um eines jener Wesen, die die menschliche Fantasie in hohem Grad beschäftigt haben. Und da ich mich heute mit der „Kraft der Grenzen“ beschäftigte, ist es vielleicht passend, diesem Drachen des griechischen Künstlers Thomas Diotis ein wenig hinterherzudenken.
Gemacht ist er aus schwarzen oder schwarz eingesprühten Elementen, schwer zu sagen welcher Provenienz. Sind es eingeschmolzene Plastikstühle, Autokarosserien? Auf jeden Fall sind es industriell produzierte Artefakte, die sich wüst und höchst kunstreich zur Gestalt des Drachen verschränkt und verklammert haben.
Die Kuratorin der Ausstellung Angeliki Bara fragt sich in ihrem Begleittext: „Handelt es sich um eine ausgestorbene mythische Kreatur oder um einen Protagonisten der digitalen Ära? Der Drachen spielt ja in jedem Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Gleichgewicht und Ungleichgewicht und zwischen anderen entgegengesetzten Kräften des Weltgeschehens eine zentrale Rolle.“
So ist es. Ihre Frage kann ich nicht beantworten, wohl aber zum weiteren Nachdenken anbieten: Wie steht es gerade mit den „entgegengesetzten Kräften des Weltgeschehens“, die, so scheint mir, dabei sind, sich zu verabsolutieren und zum großen Vernichtungskampf gegeneinander anzutreten, anstatt zusammenzuwirken und die Entwicklung unserer Welt harmonisch voranzutreiben?
In dem vorhin beschriebenen Buch sagt Gyorgy Doczi, das Wachstum folge oft dem Rhythmus zweier Spiralen, die in die entgegengesetzte Richtung streben (S.15). Das Zusammenwirken der beiden gegensätzliche Kräften nennt er „Dinergie“ von griechisch dia-durch und energia-Wirksamkeit. In der Natur wirken die entgegengesetzten Kräfte zusammen (sie sind nicht gleich stark, sondern stehen zueinander im Verhältnis des Goldenen Schnitts, d.h. das Verhältnis des kleineren Teils zum größeren ist gleich dem Verhältnis des größeren zum Ganzen). So, in diesem Mit- und Gegeneinander treiben sie den Wachstumsprozess und bestimmen die Grenzen des Wachstums. In der Menschenwelt müssen wir wohl selbst dafür sorgen.
Ist der Drachen (der technologische Fortschritt oder auch die „digitale Ära“) Glücksbringer oder Bösewicht? Weder das eine noch das andere, denke ich, sondern beides, abhängig davon, ob seine inhärenten in entgegengesetzte Richtungen strebenden Kräfte im Gleichgewicht gehalten werden können.
Beeindruckend der Drache.
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Ja, sehr! Es gab in der Ausstellung noch weitere eindrucksvolle kleine Werke.
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Ja, finde ich auch. Und er ist wirklich gewaltig groß!
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Auf jeden Fall schrecklich und gruselig. So etwas erschaffen sich Menschen, nicht der Himmel!
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Ja, sicher, dieser Drachen ist Menschenwerk. Der Künstler will etwas zeigen, und er tut das auf eindrucksvolle Weise, finde ich. .
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Liebe Gerda!
Dreimal habe ich den Beitrag gelesen. Das zeigt, dass er für mich Wichtiges enthält. Aber es bleiben Fragen. Dazu vielleicht später mehr.
Angeregt hat mich dieses alte Thema vom Drachen und die Frage wie Wachstum entsteht. Mal schauen, was diese Anregungen bewirken.
Liebe Grüße
Jürgen
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Da bin ich gespannt!
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Dein letzter Satz ist es, der so unendlich wichtig und richtig ist, liebe Gerda.
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🙂
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