„Findest du nicht, das du jetzt übertreibst?“, kräht mir Dora mit Blick auf meine letzte Zeichnung ins Ohr. Sie – also die Zeichnung – ist heute Nacht entstanden, auf der Turmterrasse unter dem angedickten gelben Halbmond, der sich im Meer spiegelte. Vor dem Schlafen genehmigte ich mit eine Dose Bier. Ich bin ja eigentlich kein Fan von Bier, aber im Hochsommer … Nun, wie auch immer.
Ich sitze also dort am Holztisch, vor mir nichts als eben diese Bierdose. Und eine Tischlampe, die den Tisch, das beiseite gelegte Buch und die Dose beleuchtet. Gelesen habe ich genug. Geguckt auch. Also bleibt noch das Zeichnen.
„Findest du nicht, das du jetzt übertreibst?“, hat Dora soeben gefragt.
„Was meinst du mit Findest du nicht, das du jetzt übertreibst??“ frage ich zurück.
Rückfragen sind eine clevere Strategie. Das hat schon Sokrates herausgefunden, und nach ihm hat sich die ganze Meute der Sprachakt-Theoretiker und Kommunikationswissenschaftler dran gehängt*. Die Sache ist ganz einfach: Wer fragt, beherrscht das Feld. Als Befragte/r befindest du dich hingegen automatisch in abhängiger Position, du musst „Rede und Antwort stehen“ und dabei die Struktur, die in der Frage vorgegeben ist, korrekt ausfüllen. Du kannst die Frage, wenn du kein abhängig Beschäftigter oder Schüler, sondern eine Autorität bist, natürlich auch rüde zurückweisen. oder dich elegant zurücklehnen und …. zurückfragen.
„Was ich damit meine?“ Dora rennt direkt in die aufgestellte Fragefalle. „Ich meine damit, dass immer nur leere Dosen zu zeichnen, langweilig ist.“ – „Und was wäre deiner Meinung nach spannender?“ frage ich zurück.
Dora stutzt. Sie denkt nach. „Den Mond über dem Meer vielleicht?“ – „Und was wäre am Mond über dem Meer spannender als an der Dose auf dem Tisch?“ frage ich zurück.
Jetzt ist Dora sprachlos. Anstatt mich zu verteidigen, muss sie ihren Vorschlag begründen. Ich lehne mich bequem zurück. Dora wird mir das Denken abnehmen. In der Zwischenzeit kann ich meine Zeichnung zu Ende bringen.
„Mond über dem Meer ist auch blöd,“ meint Dora schließlich kleinlaut. Um gleich lebhaft hinzuzufügen: „Du könntest ja mich mal zeichnen!“ – „Und du meinst, das würde die Kunstwelt mehr interessieren als die Dose?“
„Die Kunstwelt vielleicht nicht!“ kräht Dora nun in alter Selbstherrlichkeit. „Aber mich! Und deine Leserinnen und Leser bestimmt auch!“
„Na, geht doch!“ meint sie zufrieden, die fertige Zeichnung betrachtend. „Mit Farbe wäre es freilich besser.“
*Ich habe nach einer zeitgenössischen Darstellung der sokratischen Fragetechnik gegoogelt und fand das folgende in einem Bank-Blog ganz aufschlussreich:
Die Grundmuster:
1. Klärendes Denken und Verstehen
- Können Sie mir ein Beispiel geben?
- Könnten Sie das weiter erklären?
- Meinten Sie X?
- Was ist das Problem, das Sie zu lösen versuchen?
2. Anspruchsvolle Annahmen
- Ist das immer so?
- Setzen Sie X voraus?
- Stimmen Sie dem X zu?
- Wenn das für ein X gilt, gilt das für alle X?
3. Untersuchen von Beweismitteln und Gründen
- Warum sagen Sie das?
- Woher wissen Sie das?
- Welche Daten unterstützen dies? Warum?
4. Berücksichtigung alternativer Standpunkte und Perspektiven
- Gibt es Alternativen?
- Wie sieht die andere Seite des Arguments aus?
- Was macht Ihre Sichtweise besser?
- Was würde X dazu sagen?
- Können Sie an Fälle denken, in denen das nicht stimmt?
5. Berücksichtigung von Folgen und Konsequenzen
- Was wären die Folgen?
- Gibt es irgendwelche Nebenwirkungen?
- Was, wenn Sie falsch liegen?
- Wie können wir es herausfinden?
- Wenn das wahr ist, bedeutet das, dass X auch wahr ist?
- Was sollten wir dazu noch überlegen?
6. Meta-Fragen
- Was denken Sie, warum ich diese Frage gestellt habe?
- Was bedeutet das?
- Was könnte ich sonst noch fragen?
Das Meer, Dora und wo ist der Mond? Ihr Beiden inspiriert Euch nicht nur verbal! Sie fordert Dich heraus, daß ist super! 😍👌👍
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Dora bringt doch wirklich etwas in Bewegung. Immer nur Dosen? Aber gut gezeichnet ist sie, muß ich ehrlich zugeben.
Dein sokratisches „In-die-Enge-Treiben“ durch Fragen …gibt Dir Ruhe. Aber Dora hat erst mal viel zu denken….
Wie gut gelungen ist Dir Dein Gemälde von ihr vor Wolken und Mond. 🌛
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Danke schön, Gisela. Ein „Gemälde“ aus Schnipseln und Foto, ein bisschen mit Filtern bearbeitet – wo die Maler früher stundenlang herumpinseln mussten, um einen ähnlichen Effekt zu erreichen.
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Dein „Gemälde“ in einfacherer Manier wirkt gut. Dazu muß frau aber die „Technik“ elegant anwenden können. Wie Du das schaffst, wundert mich jedesmal. Und es erweckt auch bei anderen Freude, wie man sieht.
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Oh sorry, da habe ich den Mond für eine Wolke gehalten. Erst jetzt beim nochmaligen hinschauen habe ich ihn erkannt. Wundervoll wie Dora dahinsegelt. Sie hat eine ganz andere Perspektive auf alles in den Höhen der Lüfte. Dieses Bild gefällt mir sehr! Die Zeichnung sowieso!
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Danke dir, liebe Babsi! Dora hat tatsächlich viel Leichtigkeit, die mir oft abgeht. 😉
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Wir sind halt Erdverbunden vielleicht liegt es daran!🤔😉🙆🏻♀️
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Ach ja, das wird es sein.
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Mit Fragen kontern. Das muß ich mir merken 🙂
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Ja. es ist eine gute Taktik. Leider rennt man meistens in die Fragefallen,,,,
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🙂
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Ja, so kann man Menschen quälen
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