31.1.-1.2. Will.i ist zurück: Nächtliches von Raum und Zeit und Verwandlung

Ich konnte nicht schlafen. Wo war Will.i nur abgeblieben? Ich hatte ihn schon seit unserem Ausflug auf die Burg Haravji („Morgenröte“) vermisst, war aber inzwischen so beschäftigt, dass  es mir nicht sonderlich auffiel. Aber nun, schlaflos mich im Bett wälzend, wurde es mir doch unheimlich. Wie „außerhalb von Zeit und Raum“ fühlte ich mich ohne meinen lieben Begleiter.

Und siehe da: Plötzlich steht er neben meinem Bett. Ich blinzle, kann ihn kaum wiedererkennen. Vielleicht liegt es ja an der Dunkelheit und an meinen müden Augen. Mir kommt er viel größer vor. Er hat, so scheint mir, auch andere Kleidung an und sein Gesicht ist dunkel. „O, Will.i, gut dass du wieder da bist!“ flüstere ich, um meinen Mann nicht zu wecken.“Komm, wir gehen ins Wohnzimmer, und du erzählst mir, wo du warst!“

Bei Licht sehe ich: ja, er hat sich stark verändert, verwandelt. Sieht aus wie ein Afrikaner, mit fescher Mütze und einem Lendentuch, auf dem der Himmel abgebildet ist. So sitzt er nun vor mir und erzählt, es sprudelt förmlich aus ihm heraus:

„Du warst ja so beschäftigt, da dachte ich, ich schau mich mal ein wenig in Raum und Zeit um. Erst bin ich auf einem Längengrad nach Süden gerutscht und kam bei der Frau an, die du mir mal vorgestellt hast, du weißt, die African lady, die gern reisen wollte. Ich habe ihr deine Grüße ausgerichtet. Dann haben wir uns einen gemütlichen Platz außerhalb der Erdsphäre gesucht – es war ja auch Vollmond -, und haben der Erde beim Drehen zugeschaut. Die Länder und Meere sind wie verrückt unter uns weggeflutscht.  Ein tolles Tempo hat die alte Erde, sag ich dir, so um die tausendvierhundert Kilometer in der Stunde, und hat nicht mal einen Motor! Frag mich nicht, wie sie das macht. Nach ein paar Stunden war es der Lady langweilig, sie musste ja auch zur Arbeit, sie ist nämlich für die Kranken zuständig. Also ging sie von Bord, sobald wir wieder über ihrem Land waren. Heißt übrigens Kenja, falls du das nicht wusstest.

Ich blieb noch ein bisschen oben, sah die Meere und Gebirge unter mir wegflutschen und machte mich schließlich bereit zur Landung. Unter mir erschien eine Insel, sah toll aus in der goldenen Morgenröte, sag ich dir. Kaum bin ich gelandet, sehe ich eine ganz junge Frau da sitzen – du würdest sie wohl ein Mädchen nennen. Die ließ einen Drachen steigen.  „Wie heißt dies Land?“ frage ich sie. „Das Land der aufgehenden Sonne“, sagt sie und lächelt mich an. Goldig!  „Ich bin der Will.i“, sag ich. „Und wie heißt du?“  ‚新年 war ihre Antwort, Shin’nen.“ – Das klingt ja hübsch“, werfe ich ein wenig benommen ein. „Schinnschen, richtig? Aber was bedeutet es?“ – „Neues Jahr. Und daher kannte sie mich auch. Sie ist jetzt meine Freundin.“

Willl.i landet nach seinem Besuch bei der African Lady im Land der Aufgehenden Sonne und trifft dort Shin’nen.

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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17 Antworten zu 31.1.-1.2. Will.i ist zurück: Nächtliches von Raum und Zeit und Verwandlung

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Eine tolle Geschichte!

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  2. elsbeth weymann schreibt:

    Moin, moin Gerda…schreib Will.i`s Geschichte auf, bitte !Als ein kleines Buch. Mit Deinen Legebildern …für Kinder und solche, die es werden wollen !!!! Seine Fragen, seine Offenheit , sein Staunen und jetzt diese zauberhaften Begegnungen, mit Menschen aus anderen Kulturen, Ethnien. Es tut not in unserer “ ver-rückten“ Gegenwart. Die Erde, die Natur, leben, Leben. Jemand, der neu fragt, schaut, nachdenkt, weiterdenkt. (Mal nicht das Thema Corona). Meine kleine Nachhilfeschülerin auf Afghanistan fragt mich : „was heißt Seele“…“was ist ein Gedicht ?“…“was machst du, wenn du Angst hast? „….tja bitte… für so etwas braucht man eigene Antworten in, mit Geschichten, nicht Definitionen. Oder auch neue, weiter-gehende Fragen….wie Dein Will.i…
    Einen guten Tag Dir ! Elsbeth (P.S. den hebräischen Gruß “ wie ist der Friede bei Dir ?“ finde ich übrigens besonders schön…ma schelom´äch und für die Frau: ma schelomchá)

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  3. Karin schreibt:

    Der Meinung bin ich auch, liebe Gerda – es würde ein Buch für Erwachsene und Kinder und ich würde vorab mal eine Kostprobe an den Moritz Verlag in Frankfurt senden, die immer sehr ausgefallene Kinderbücher verlegen.
    Lieber Gruß zu Dir, Karin

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    • gkazakou schreibt:

      Danke, Karin! Die Idee eines Buches klingt verführerisch. Ich fürchte aber, jetzt, wo die Geschichte ja am Entstehen ist – genau wie das Jahr selbst – , ist es zu früh für mich. Es würde mich mit allen möglichen stilistischen Fragen belasten und den freien Fluss der Eingebungen hemmen. Ich behalte es aber im Kopf.

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  4. felsenquell schreibt:

    Ja, Gerda, Will-i-s Geschichte sähe ich auch gern in einem kleinen, mit Deinen Legebildern illustrierten Buch – für Kinder und große Leute! Doch auch so, als Fortsetzungsgeschichte im Netz, ist sie ja herzerweiternd und könnte uns Leser selbst zum Geschichtenerfinden inspirieren.

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    • gkazakou schreibt:

      Das wäre natürlich das Beste: wenn es zum Geschichtenerzählen inspiriert. Das ist es doch, was wir brauchen: In der Erziehung geht nichts über gut erzählte Geschichten. Und die müssen individuell an das Verständnis des Kindes angepasst sein.

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  5. Johanna schreibt:

    Wie Du es schaffst, dass Will.i so lebendig wird! Er erinnert mich immer wieder an den Kleinen Prinzen 😊

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  6. Mitzi Irsaj schreibt:

    Wie schön dass er zurück ist! Und was er nicht alles zu erzählen hat. Wieder einmal habe ich es mit großer Freude gelesen, und das nicht nur einmal. Ich kann verstehen, dass hier die Bitte laut wird das ganze als illustriertes Buch herauszubringen. Auch mir würde es sehr gut gefallen. Ich bin gespannt wie er sich entwickeln wird und noch gespannter, weil du schreibst das du es selbst noch nicht weißt. Liebe Grüße aus München

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  7. Will.i s Geschichte ist traumhaft, liebe Gerda.
    *Ein tolles Tempo hat die alte Erde, sag ich dir, so um die tausendvierhundert Kilometer in der Stunde, und hat nicht mal einen Motor! *
    Wie schön, das jetzt in dieser Geschichte so schön spielerisch zu hören.
    Ich wußte es nämlich nicht.

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    • gkazakou schreibt:

      Wer weiß das schon, liebe Bruni. Und dass es dies Tempo war, liegt daran, dass er nahe am Äquator war. In Deutschland dürften es etwa 1000 km/h sein, weil die Strecke, die an einem Tag zurückzulegen ist, kürzer ist..

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  8. nandalya schreibt:

    新年 – shinnen – ist ifür deine Verniedlichung besser geeignet, als お正月 o-shōgatsu. Gut gemacht. Witzig, die deutsche Verniedlichung -schen gibt es ähnlich auch in der japanischen Sprache mit der Endung -chen. Wir würden also Shin-chen daraus machen. Oder eingedeutscht Schinnilein 😁

    Grüße an Will.i! Nun musst du dieses Buch schreiben, Gerda.

    PS: Jahre sterben übrigens nicht. Sie gehen lediglich ins Land der Erinnerungen und schauen von dort aus ihren Kindern und Enkeln zu.

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    • gkazakou schreibt:

      Danke, Nandalya, für deinen sprachlichen Nachhilfeunterricht. Kann ich nun shin’nen stehen lassen oder muss ich es ändern?
      Dass die Jahre und Jahrhunterte im Land der Erinnerung leben – nun, das wird wohl so sein. Nur hat Will.i noch keinen Zugang dazu. Vielleicht muss er dafür erst mal alt werden. 😉

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      • nandalya schreibt:

        Ich sage doch dass es so passt. Aber -chen sollte -chan heißen. Also Shin-chan! Tippfehler, tut mir leid. 🙄

        Wer weiß, vielleicht werden die beiden noch ein Paar oder reisen gemeinsam nach (Land deiner Wahl).

        Gute Nacht Gerda-chan … ähm Gerda-san. 😉

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