Du erinnerst dich an Effis angefangene Bleistiftzeichnung von unserer Pinie? Mich interessierte, wie sie den Bildausschnitt wählt und festlegt, wo sie die ersten Linien und Kontaste setzt – und wie ich es mache. Es gibt da zwar allgemeine Regeln, aber jeder macht es doch ein wenig anders. Ein Richtig oder Falsch gibt es nicht.
Damit du es besser verstehst, zeige ich noch mal ihre Zeichnung und ein Foto von dort, wo sie saß – allerdings mit anderer Beleuchtung. Denn sie zeichnete am Vormittag, das Foto ist von heute am späten Nachmittag.
- „unsere Pinie“, 2020-05-18, später Vormittag, Bleistiftzeichnung Effi Ts
Ich zeichnete den Baum heute gegen 7 Uhr abends vom selben Platz aus, aber mit Kugelschreiber. Sofort fällt auf, dass ich spontan das Hochformat wählte, obgleich der sichtbare Bildausschnitt (Foto) ein Querformat nahelegt. Ich beugte mich vor, um etwas mehr von der Krone zu sehen und so das Hochformat zu rechtfertigen. Dadurch setzt sich der leicht tänzerische Schwung des gewaltigen Stammes im Astwerk fort. Beide verzichteten wir darauf, den Gitterzaun zu zeichnen – wobei ich natürlich nicht wissen kann, ob Effi vorhatte, ihn einzubeziehen. Ich bin gespannt, wie sie es handhaben wird, falls sie, wie geplant, die Zeichnung fertig macht. Ich mag ihre Zeichnung allerdings auch im „unfertigen“ Zustand sehr.
Die Bleistiftzeichnung scheint unfertig und ist es dennoch nicht. Das ist spannend. Daraus resultiert meiner Meinung nach auch die Spannung beim Betrachten.
Liebe Grüße
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Danke für den Hinweis, Jürgen. Das ist, finde ich, bei allen guten Zeichnern so. Wann immer du sie unterbrichst – die Zeichnung ist doch nicht eigentlich „unfertig“, da sie sich harmonisch entwickelt.
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Ob die Zeichnung gewönne, setzte Effi sie fort? Neugierig auf einen Vergleich wäre ich schon, denn deine und ihre haben jetzt gerade einen sehr unterschiedlichen Charakter: deine wirkt eindeutig finsterer, aber ob Effi noch eine Lage Details darüberlegen wollte, weiß man nicht.
Ich hoffe auf die Fortsetzung.
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Danke für dein Interesse, Ule. Meine Zeichnung ist sicher viel finsterer – aus drei offensichtlichen Gründen: der andere Stift, die andere Tageszeit (Gegenlicht) und der Beendigungszustand. Hinzu kommt als weniger offensichtlicher Grund mein Zeichenstil, der abhängig von Temperament und Stimmung ist. ich wäre auch sehr gespannt, wie sie weitermacht und wann sie aufhört. .
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Spannend. Das Hochformat mag ich. Mich spricht die erste Version mehr an. Wieso? Bei der zweiten kommt nichts Neues an Information dazu. Zwar kann man sagen, die erste Version ist unfertig, aber womit wurde sie kompletiert?
Ich selber tendiere (und das ist stark untertrieben) zum… nun ist mir das deutsche Wort entfallen (overdo). Meine Version wäre auch die zweite gewesen. Aber….
Es gibt ja kein richtig oder falsch. Ich bin aktuell sehr stark daran, zu suchen, wie genau will ich sein, wie locker möchte ich es haben. Ich tendiere zum Perfektionismus, der tut mir nicht gut, daraus resultiert aber das immer noch was drauf setzen, noch mehr rein bringen… und ich wäre gerne leichter… es gefällt mir bei anderen, bei mir dann aber doch nicht. Spannend, was man so mit sich ausmacht beim Zeichnen/Malen.. 😉
Liebe Grüsse
Sandra
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Liebe Sandra, danke für dein ausführliches Draufeingehen. Die beiden Versionen sind, wie du vielleicht überlesen hast, von verschiedenen Zeichnerinnen zu verschiedenen Zeitpunkten angefertigt, man kann sie also nicht unmittelbar vergleichen. Interessant dennoch dein Hinweis, dass bei der zweiten keine neuen Informationen hinzukommen. Was aber ist bei einer künstlerischen Zeichnung die Information? Es geht ja wohl nicht darum, dass der Gegenstand erkennbar ist, oder? Man könnte es zwar so sehen (zB die chinesische Tuschemalerei, die mit einer Linie einen Gegenstand „kennzeichnet“). Minimalistische Darstellungen können, aber müssen nicht das Ziel sein. Es gibt viele andere mögliche Ziele.
Wenn du nur die zweite Zeichnung ansiehst, dann fällt vielleicht vor allem die Art auf, wie die Fläche durch die Zeichnung „ausgespannt“ wird. Der Corpus des Stammes drängt nach vorn und wird durch die ausgestreckten Zweige, die den Rand berühren, zurückgehalten. Hinter diesem Stamm entfaltet sich, quasi auf einer anderen Ebene, ein feines Liniengeflecht mit den Zapfen und der Taube als Tupfer. Dieses doppelte Geflecht aus Stamm-Ästen-Zweigen-Zapfen mit seinen viefältigen Zeichen ist in der ersten Zeichnung gar nicht vorhanden. Da steht der Baum für sich und kommuniziert mit dem Licht in einer ansonsten leeren Welt. Beide Zeichnungen kommunizieren also verschiedene Inhalte.
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Ich empfinde Effis (unfertige) Zeichnung als sehr meditativ – ich kann hinein sinken und dem Wesen der Pinie näher kommen – deine Zeichnung ist unruhig und spiegelt das was ist, da fehlt mir ein Raum dazwischen.
liebe Grüße am Abend
Ulli
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Danke für deine Sicht,Ulli. Die Entgegensetzung von „meditativ“ und „das was ist“ ist für mich nicht recht nachvollziehbar, aber ich versuche es zu verstehen. Es geht ja in jedem Fall um das Erfassen des Wesens der Pinie, also um das, was sie ist. Könnte es sein, dass ich ein anderes Bild von der Pinie habe als du, und das, was du als Unruhe empfindest, für mich zu ihrem Wesen gehört? Heute habe ich eine hohe Palme gezeichnet, die ist ganz anders.
Verstehen würde ich, wenn du sagst: „die freilassende Zeichnung von Effi gibt mir Raum, mich mit der Zeichnung zu verbinden. Mit der Zeichnung und der Zeichnerin Effi. Gerdas Zeichnung ist bestimmender, härter, widerständiger, unruhiger. Damit komme ich nicht so gut zurecht“. Es geht also nicht eigentlich um das Wesen der Pinie, sondern um das Wesen der Zeichnerin und ihrer Zeichnung, der du näherkommst, oder eben nicht.
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Nein, darum ging es mir nicht. Das Bild von Effi hat Stille, deins nicht, dazu kommt der leere Raum auf Effis Zeichnung, deswegen lädt es much zu einem meditativen Moment ein. Es geht ja nicht um besser oder schlechtet, nur um zwei verschiedene Stimmungen.
Liebe Grüße
Ulli
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Danke, Ulli Mir ging es auch nicht um besser oder schlechter, sondern um die Frage, ob du, wie du im ersten Kommentar schreibst, dem „Wesen“ des Dargestellten (Pinie) näher kommst. Es ging um deine Formulierung („Wesen“ gegen „was ist“ ) – nicht um die Qualität der Zeichnung.
„Das Bild von Effi hat Stille“ – genau, dem widerspreche ich nicht. Sondern nur, ob es dadurch, dass es Stille hat, das Wesen der Pinie mehr zeigt als meins, das unruhig und dunkel ist. Oder ob der Betrachter nie das Wesen des Abgebildeten, sondern immer nur einen Ausdruck des Wesens der Zeichnerin vor Augen hat und darauf reagiert. Es geht mir also um eine grundsätzliche, theoretische Frage, die mich in deiner Formuliierung angesprungen hat und die mich beschäftigt.
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Mir geht es tatsächlich so, dass ich den Wesen mit Raum und Stille näher komme als bei einem Abbild. Wobei es auch auf die Abbilder ankommt. Genau kann ich das gar nicht formulieren , da es etwas sehr Intuitives ist. Vielleicht hat es auch etwas mit Ruhe, Stille zu tun, mit dem liebenden Blick im Gegensatz zum analytischen Blick.
Danke, dass du fragst, ich denke mal noch weiter.
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Effis Pinie kann ich mir (im gegenwärtigen Zustand) gut in einem märchenhaften Bilderbuch vorstellen, in einer Geschichte für Kinder, große und kleine. Wie sie auf mich wirkt, hatte ich ja schon geschrieben .
Deine Pinie ist so ganz anders. Natürlich, in typischem Gerda Kleid, unangreifbar gut und wunderschön, aber auch im Hintergrund liegt hier ein feiner Zauber, der für Helle und Leichtigkeit sorgt.
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danke, Bruni, sehr gefällt mir dein Kommentar.
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