In Ulli Gaus Blog kam es heute zu einer Diskussion über das Bedürfnis nach Rückzug in die Einsamkeit der Natur einerseits, und die Menschenmassen, die die letzten Refugien zerstören. Dabei fiel auch der Ausdruck „Greti und Pleti“ – Susanne Haun brachte ihn – bezogen auf ihre jüngsten Erfahrungen mit der Bergwelt – im Kommentar, Myriade mockierte sich leicht und räumte eigene Neigung zu Arroganz gegenüber dem „Volk“ ein. Und da dies Thema – gebildete, gutmeinende, naturliebende, politisch aufgeklärte Avantgarde einerseits, ungebildete, rohe, spießige, fremdenfeindliche Massemenschen andererseits – mal wieder virulent zu sein scheint (1), fühlte ich mich bemüßigt, dem Ausdruck Krethi und Plethi ein wenig nachzugehen.
Hinz und Kunz kennt jeder. Aber Krethi und Plethi? Wikipedia behauptet, es sei aus dem Hebräischen und bei König David erwähnt als Hilfstruppen, vermutlich „Kreter und Philister“. Doch frage ich mich: wieso das th bei Kreter? und wie kommt man von Plebejer zu Plethi?
Nein, ich lese es anders: Plethi (πλήθη) ist griechisch, es bedeutet „Volks- oder Menschenmassen“. Πληθησμός ist einfach die „Bevölkerung“. Und die Krethi (Kreter) wurden diesem analog mit -th- gebildet. Kreti und Plethi also sind Kreter und andere minderwertige Menschenrassen – Menschenmassen, kurzum, die gewöhnlichen Bewohner des Landes (2).
Die römischen Plebejer – der Plebs – sind nichts anderes. Denn was waren die Plebejer? Das Volk von Rom – mit Ausnahme der Führungseliten. Krethi und Plethi eben. Diesen namenlosen Menschen mit ihren namenlosen Schicksalen – seien es nun Krethi und Plethi oder einfach der „Plebs“ – hat Kurt Tucholsky alias Theobald Tiger ein Gedicht gewidmet, das am 23. September 1918 im Berliner Tageblatt erschien. Es feiert also in wenigen Tagen sein 100jähriges Jubiläum.
Krethi und Plethi
Vater Liebert (3) hat eine Rede vom Stapel gelassen,
in der er sagte, der Reichstag täte ihm nicht mehr passen.
Denn in diesen durchaus traurigen Verein
kämen ja sogar Krethi und Plethi hinein.
Ich weiß nun nicht genau, wer Krethi und Plethi sind;
vielleicht meint er damit meinen Vater oder dein Enkelkind.
Aber das weiß ich: die Schlacht bei Warschau und in den Argonnen,
die haben Deutschlands Krethi und Plethi gewonnen.
Vielleicht hat Vater Liebert in Hannover großen Applaus.
Ihm hängt aber nicht nur der Reichstag zum Halse heraus.
Da hängt auch ein hoher, preußischer, bunter Orden.
Der ist ihm für viel Blut deutscher Krethis und Plethis verliehen worden.
Und der eine Krethi ist Krüppel, und der andere Plethi ist krank.
Tausend blasse Lippen flüstern: »Dank, Herr General! Dank!«
Theobald Tiger
Berliner Tageblatt, 23.09.1918, Nr. 487, wieder in: Fromme Gesänge.
(1) Heute benutzt man den Ausdruck „Philister“ vor allem als Synonym für Spießer. erstmals gebraucht wurde es im 16. Jahrhundert von Studenten für Bürger, die ihrem Treiben ohne Sympathie gegenüberstanden. Später benutzten es die Romantiker für ihre Gegner im Kulturbetrieb (19. Jahrhundert). Während der 68er Studentenbewegung in Deutschland kam es wieder zu Ehren.
(2) Philister im biblischen Kontext: Die Philister, von den Persern Palastai genannt, bewohnten das heutige Palästina (daher der Name des Landes), bevor sie unter König David zuerst in die Defensive gedrängt wurden und schließlich als historisches Volk verschwanden. Ihr bekanntester Vertreter war Goliath, dessen Rüstung der der griechischen Hopliten entsprach. – Beim Propheten Amos wird auf eine mögliche Identität von Philistern und Kretern hingewiesen. Wiki (Zitat): „Habe ich nicht Israel aus dem Lande Ägypten heraufgeführt, und die Philister aus Kaphtor?“ Möglicherweise hat der Prophet Amos ein philistäisches Epos gekannt, das die Ankunft der Philister in der neuen Heimat beschrieb. Kaphtor wird gewöhnlich mit dem ägyptischen Keftiu gleichgesetzt und bedeutet Kreta. (Zitat Ende)
(3) „Vater Liebert“ bezieht sich auf einen preußischen General, über den du, wenn du willst, bei Wiki einiges nachlesen kannst. ZB dass er zu Kaisers Zeiten in Deutsch-Ostafrika Gouverneur war, und dass er 1929 Mitglied der NSdAP wurde.
Wow! Man benutzt vieles in der Sprache ohne zu wissen woher es kommt!
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🙂 😉
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Bist schon ein großer Herzschatz;-)
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das ist ein schönes Wort,
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Sehr interessant ! Wenn ich auch davon ausgegangen bin, dass Susanne nicht bei mir liest und daher auch nicht gekränkt sein könnte …
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ach wo, wieso gekränkt?
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Ich weiß nicht, ich kenn sie ja nicht ……
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ich aber kenn sie 🙂
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Na dann passt ja alles 🙂
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Freundlich gefragt 🙂 – Ich verstehe ehrlich gesagt den Zusammenhang zwischen „deinen Blog lesen“ und „gekränkt sein“ nicht. Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun. Du hast einen Kommentar geschrieben, wie du dich fühlst. Auch, wenn ich es schade finde, dass du dabei anonym bleibst.
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Ach, die Verwirrung steigt 🙂 Wieso anonym?
Ich habe in meinem blog über deine „Gretis und Pletis“ gelästert in der Annahme, dass du dort ohnehin nicht liest und dich somit nicht darüber ärgern kannst. Nun hat aber Gerda das Thema aufgegriffen und mein Kommentar kommt dabei auch vor. Liebe Susanne, vergiss es einfach.
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Es ist immer leicht über Leute zu lästern, die nicht anwesend sind. Ich habe irgendwo gelesen, dass das wohl tatsächlich auch Glückshormone freisetzt.
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Das mit den Glückshormonen kommt mir nicht sehr wahrscheinlich vor, aber die Lästerei gehört schon zu den Verhaltensweisen über deren Funktion für die eigene Psyche man sich Gedanken machen sollte und sie sich im Idealfall ganz abgewöhnen 🙂
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🙂
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nun habt ihr euch kennengelernt, das ist doch auch was wert, oder? Manchmal passiert es so: man stößt mit einem anderen Autofahrer zusammen, steigt aus,… und findet sich sympathisch.
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Ja, durchaus, solche Situationen habe ich schon erlebt
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Die Auswahl des Tucholsky-Zitats ist genial und die blauen Krethi und Plethi haben bei der Bergwanderung einen höchst eleganten Stil.
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nicht wahr? 😉
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Liebe Gerda, ich habe jetzt mal all deine Links „überflogen“, mehr geht zu dieser Stunde nicht und eigentlich ist es auch nicht wirklich notwenig, denn es geht, wie immer, um Vorteile, Vorurteile und um jeder gegen jeden, einzig Amos hat mich beeindruckt, da ist wieder so ein „einfacher“ Mensch, der sich Gedanken machte, während er die Schafe hütete (oder waren es Ziegen – egal), der dann Prophet wurde und sich zwischen die Nesseln setzte … ich sehe einmal wieder, dass es schon lange, lange nicht einfach gewesen ist die Wahrheit zu sagen, dass man sich damit mehr Feind als Freund gemacht hat, was ja eben auch Thema bei mir gewesen ist.
Ich danke dir für den Geschichtsunterricht und für die Wurzel von Kret(h)i und Plet(h)i und deiner eigenen Ableitung. Ich danke dir auch für Herrn Tucholsky, den ich erst richtig verstanden habe, als ich auch noch nachgeschaut habe, wer denn nun „Vater Liebert“ gewesen ist – ja, danke!
Aber nun ab ins Bett mit mir!
Herzliche Grüße, Ulli
die Bergwanderung mag ich sehr … wollte auch noch geschrieben werden 😉
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Guten Morgen, Ulli! Ich hoffe du hast gut geschlafen und nicht von Krethinund Plethi geträumt! 😉
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Guten Abend, liebe Gerda, ich hatte diese Nacht nur wenig Zeit zum träumen 😉 kein Krethi und Plethi weit und breit, aber eine gute Nacht ist es gewesen und ein guter und lebendiger Tag ohne Fotos, aber mit duftenden Quitten und Äpfeln und Walnüssen in der Stube, reichen Gesprächen, Lachen und Erzählen mit den Kindern. Nun bin ich rechtschaffen müde. Bis morgen …
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das klingt ganz wunderbar! Gute Nacht!
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Liebe Gerda,
lieben Dank für deinen Artikel.
Ich dachte, ich habe schon mal irgendwann vom schlecht eingedeutschten Greti und Pleti oder vom korrekten Krethi und Plethi in meinem Blog geschrieben, oder bilde es mir zumindestens ein. Ich finde den Text nicht mehr, wahrscheinlich habe ich den Artikel schlecht verschlagwortet. Der Professor für Alte Geschichte an der FU hat uns erklärt, wie die beiden in den Sprachgebrauch gekommen sind. Ich kann mich nur noch an das Gefühl erinnern, dass ich die Ausführungen sehr interessant fand, aber leider habe ich die Ausführungen selber vergessen. Und da auch mein Blog als Gedächtnis gerade versagt, ärgere ich mich doppelt über mich. Und ganz eckelig ist dabei, dass ich auch keine Zeit zum Suchen der Unterlagen habe. Zumindestens habe ich das Thema auf meine todo-Liste aufgenommen und irgendwann, wenn keiner mehr daran denkt, dann …. 😉 😉 😉 🙂
Heute gehe ich mit meinen Malschülerinnen für den Radierworkshop bei boesner in Mariendorf einkaufen. Danach kommt die Rednerin für die Obdachlosen Ausstellungen zu mir ins Atelier und wir gehen danach zu Gabriele. Ich bin schon gespannt, was sie schreiben wird. 🙂
Einen schönen Tag wünsche ich dir aus Berlin ins ferne Griechenland,
liebe Grüße von Susanne
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fände ich nun spannend, Susanne, was du darüber geschrieben hast. Aber es eilt ja nicht. Mir ging es jetzt mehr um eine Diskussion über die Lebenshaltung, die sich in solchem Wortgebrauch ausdrückt. Du gehörst grad nicht zu den Menschen, die diese Lebenshaltung haben. Euer Projekt Querbrüche und die Art, wie du dich den Obdachlosen Menschen näherst, zeigt beispielhaft, was ich sagen wollte: jeder Mensch ist anders, nur von fern scheint er gleich und Teil einer Masse.
Dir wünsche ich viel Freude und Kraft für all die Dinge, die du dir vorgenommen hast. Eine Umarmung.
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Zu Krethi und Plethi: im heutigen Sprachgebrauch würde man wohl „Jedermann“ sagen (nicht zu verwechseln mit dem Stück gleichen Namens von Hugo von Hofmannsthal).
Das Gedicht von Tucholsky macht immer wieder betroffen.
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Beides finde ich immer wieder sehr spannend. Zum einen die Herkunft gebräuchlicher Redensarten (nicht zuletzt, wenn dazu verschiedene Theorien bestehen). Und zum anderen aber auch die Verballhornungen oder Bedeutungsverschiebungen, die es ja immer wieder und in vielen Varianten gibt. 🙂
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Für mich ist das auch ein endloser Spaß dem nachzuforschen. Wörter transportieren so viel Geschichte!
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Wobei die Kenntnis des Griechischen die Entdeckerfreude bestimmt noch beflügelt? Dieser Sprachraum ist ja doch besonders reich an Wörterwurzeln der heutigen europäischen Sprachen. 🙂
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Ja, das stimmt. Sehr sehr viele Wörter stammen aus dem Griechischen, viele sind dann übers Lateinische in die europäischen Sprachen weitergewandert. Nimm zB: Musik, Rhythmus, Melodie, Chor, Theater, Drama, Tragödie und Kommödie, Satire, Methode, Technik, Liturgie, Auto, Europa, Katastrophe, Strophe, usw, endlos auch die Zusammensetzungen
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Diese griechischen Wurzeln schaffen auch eine Gemeinsamkeit zwischen den romanischen und den germanischen Sprachen, die ja ansonsten doch mit allerhand Unterschieden aufwarten können. 😉
Die ganzen Zusammensetzungen sind auch sehr fein und oft sehr anschaulich (wenn man die Bestandteile mal kennt). Beispielsweise finde ich Teleskop wesentlich aussagekräftiger als Fernrohr.
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und Autopsie eleganter als Leichenbeschau…
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Definitiv! 😀
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Danke, liebe Gerda. Wir benutzen den Begriff Krethi und Plethi nicht sehr oft und ob er unserem Hinz und Kunz in etwa gleicht, interessierte mich sehr.
Und der eine Krethi ist Krüppel, und der andere Plethi ist krank.
Wie gut brachte Tucholsky es doch auf den Punkt … Geändert hat sich nichts
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