Am Anfang der Moderne driften die künstlerischen Ausdrucksformen in viele Richtungen auseinander. Doch immer gibt es auch diesen Aspekt: wie finde ich eine einheitliche Bildsprache für so verschiedene Prozesse wie Natur und Technik? und wie ordne ich den Menschen da ein?
Heute möchte ich die Lösungsvorschläge von zwei anderen großen Meistern der Moderne vergleichen: Henri Matisse (1869-1954) und Casimir Malevich (1878-1935).
Henri Matisse: Nu etendu, 1906. (wörtlich „Nackt ausgestreckt“, ohne weibliche Endung). Farbtupfer, Strichelchen, weich fließende Formen, nur angedeutete Konturlinien im Innern, keine Außenkonturen. Das ausgeprägteste menschliche Organ — der Kopf, der so gern Distanz zur Natur herstellt – liegt am Boden, ist halb verdeckt und an den Rand gerückt, der Gesichts-Ausdruck ist träumerisch. Dennoch bleibt der Kopf der Teil, der sich nicht vollkommen in die Natursprache integrieren will. Er ist von dunklen Haaren gerahmt und macht den Unterschied.
Casimir Malevich: Der Badende, 1910. Unregelmäßige locker gesetzte Farbflecken, im Körper großflächiger und einfarbiger als im Umfeld. Aufgerichtet, energisch vorwärtsbewegt, das Auge wach, entschlossen. Dennoch scheint der Badende aufgrund der flockigen Farbverteilung Teil der Natur zu sein – wäre da nicht die entschiedene Konturlinie, die ihn trennt. Die ihn unterscheidet, von der Natur scheidet.
Henri Matisse, Die Japanerin am Wasser, 1905
Alles ist in fließender Bewegung, das Gewand der Sitzenden sogar noch mehr als das Wasser, an dem sie sitzt. Das zivilisatorische Bewerk – Kleidung, Frisur, Buch – lässt sie zwar als Mensch erkennen, aber da ist nichts Trennendes, alles ist eins: Natur, Licht, Bewegung.
Casimir Malevitch: Le bucheron (Der Holzfäller), 1912
Scharf abgeschnittene und vierkantige oder röhrenartige Formen, metallisch glänzende Farbabstufungen. Ein Mann arbeitet in der Natur. Die Einheit des Bildes wird durch die Tätigkeit des Menschen hergestellt: Ob Schneide des Beils oder der Kleidung, ob runder Baumstamm oder kreisende Baumsäge – nichts entzieht sich dem Diktat der menschlichen Tätigkeit. Die Trennung von Mensch und Natur wird zwar aufgehoben – aber die Abhängigkeit zugleich auf den Kopf gestellt. Der Mensch schneidet sich die Form des Natürlichen zurecht, wie er sie braucht. Dabei nimmt er selbst die Gestalt seiner Gedanken, seiner Tätigkeit an. Er wird zum Werkzeug seiner selbst.
Der Holzfäller sagt mir am meisten zu, fast schon „kubistisch“. Die Kubisten, da war doch, aus meiner Sicht im Moment jetzt, alles Strukur SOZUSAGEN, zwar nicht atomare oder schwingungsmässige, aber doch Struktur.
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Ja. Ich komm noch zum Kubismus, der ja damals in Hochform war.
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Ich als Laie sehe Dein Thema aus der folgenden Sicht:
Ich glaube, der primäre Ansatz ist zunächst einmal: Inhalt sucht Form.
Künstlern geht es ja immer um Darstellung. Darstellung von Situationen, von Gegensätzen, von Eindrücken, Erkenntnissen. Das ist zunächst einmal subjektiv, orientiert sich aber sicherlich auch an den Trends. Wenn modern gebaut wird, muss man sich mit modernen Bauten, dem Menschen in diesem Umfeld auseinander setzen. Dazu kommt der Zeitgeschmack, Mode, Denkausrichtung, Epoche, Zukunftsvision.
Ein weiteres Element, welches heute mehr denn je hinein spielt, ist die verfügbare oder erweiterte Technik der Darstellung und ihre Möglichkeiten, z.B. neu die Digitalisierung, Verfremdung auf Knopfdruck, Einsatz von Lasern. Die Pinseltechniken, die Spachteltechniken sind ausgereizt. Und so muss man sich auch um neue Werkzeuge, um neue Gestaltungstechnik bemühen. Technik ist ja auch die Art und Weise, wie man etwas macht, etwas technisch angeht.
Und dann geht es Künstlern ja im doppelten Sinne um Ausdruck, d.h. nicht nur etwas ausdrücken, sagen, gestalten wollen sondern auch etwas auszudrücken, tot machen, anders machen, überdecken, seine Meinung, seine Technik über die andere decken.
Ich würde auch mal vermuten, dass die sog. mainstreams in den verschiedenen Jahrhunderten in der Masse auch einen wirtschaftlichen Hintergrund hatten.
Gruß Werner
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danke, Werner, für deine vielen klugen Bemerkungen, auf die ich jetzt aber nicht eingehen werde. Das Thema ist mir grad zu groß. 😉
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Den Malevich finde ich toll.
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Wie wunderschön sind diese Bilder, alle vier, und gleichzeitig so sehr unterschiedlich
Liebenswert Matisse und *Nackt ausgestreckt*. Da hätte ich gedacht, der nackte Mensch ist eins mit der Natur, gibt sich ihr hin und auch die Haare sah ich nicht als Unterscheidung, sondern als ein MitderNatursein und dann Malewitchs *Badender*, Er schien mir, als *durchschreite* er energisch die Natur, trotzt den Elementen, durchpflügt die Wogen und wird nicht untergehen…
Sein Holzfäller zeigt so viel Kraft, daß ich mich ein Stück zurückziehe, um ihn von weitem zu betrachten. In seiner Nähe fliegen die Späne *lächel*. Geballte Kraft! *Ein Werkzeug seiner selbst* schreibst Du und es passt so überaus gut, liebe Gerda
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Danke, Bruni,wieder lese ich mit großem Genuss deine Worte und lächle.
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Danke für die prägnanten einsichtigen Beschreibungen, die den ebenfalls gut ausgesuchten Bildern eine Dimension hinzufügt.
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Dank Joachim, es freut mich, wenn es gelungen ist.
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Ich hab weiter vorne gelesen, dass der Malevitch bevorzugt wird. Deshalb möchte ich hier ganz unbegründet schreiben, dass ich ihn richtig schrecklich finde. (nun ja. subjektiv. Ich finde ihn aggressiv, beschränkt und etwas sperrt sich da in mir. Er ist bedrohlich, da ich ihn sehr einseitig wahrnehme.)
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Danke liebe Gunn Uma. Ich freu mich über deinen Kommentar, der mir zeigt, dass mit den Beispielen wirklich Extreme getroffen wurden. Mich wundert, dass Matisse so gar nicht gewürdigt wurde (tust du freilich auch nicht). Schöne Woche dir!
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Doch, der Matisse gefällt mir.
Ich nahm auf, muss ja nicht immer was rauskommen.
Dir auch eine gute Woche.
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