Als ich vorhin meinen gewohnten Nachmittagsspaziergang am Meer machte, ließ ich den Buchstaben Lambda vor mir aufsteigen. Mit welchem Wort wollte er sich vorstellen, um mein Alphabet des freien Denkens damit zu bestücken? Lambda ist der elfte Buchstabe und kommt vom phönizischen Lamed, was Pflug bedeutet. Die urälteste Pflugschar bestand aus einem Stamm und einem abgewinkelt daran wachsenden Ast (links), später gab es dann zusammengesetztere Formen, wie zB den mittelalterlichen Hakenpflug (rechts). Auffällig ist die formale Ähnlichkeit mit dem Buchstaben Λ, λ.
Aber wie ich auch mein Hirn durchpflügte, mir kamen ausschließlich deutsche L-Wörter in den Sinn. O, viele, schöne Wörter waren das, wie Liebe und Licht, Lachen, Lernen und Leuchten, Loben und Leben und Lied. Griechische Wörter wollten mir partout nicht einfallen. Λαμβάνω dachte ich schließlich – empfangen. Oder vielleicht λάμψη, der Glanz, das schnelle Aufblitzen zum Beispiel einer Idee. Ja, und dann war da noch λαβύρινθος, das Labyrinth, und λήθη, das tiefe Vergessen. Nur eines meiner Lieblingsworte wollte sich nicht einstellen: ΛΟΓΟΣ (logos).
Nun sitze ich da und versuche einzukreisen, was das denn sei: der Logos. Und was er mit dem freien Denken zu schaffen hat. ΛΟΓΟΣ ist ein uranfängliches Wort genauso wie ΑΝΘΡΩΠΟΣ (Mensch), und vielleicht sogar noch uranfänglicher. Denn, wie es im Johannes-Evangelium heißt: „Εν αρχή ην ο Λόγος, και ο Λόγος ην προς τον Θεόν, και Θεός ην ο Λόγος. Ούτος ην εν αρχή προς τον Θεόν. πάντα δι‘ αυτού εγένετο, και χωρίς αυτού εγένετο ουδέ εν ό γέγονεν. Am Anfang war der LOGOS. Und der LOGOS war bei Gott. Und göttlich war der LOGOS. Alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist gar nichts von dem geworden, was geworden ist. Von ihm kommt das Leben, und das Leben ist das Licht der Menschen, und das Licht scheint in die Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen. …“
In diesem Wort LOGOS stecken all die anderen großen L-Wörter drin: Licht und Liebe, Leben und auch….λαμβάνω = begreifen (empfangen, aufnehmen), das mir zuallererst ins Bewusstsein aufstieg, dort am Meer.
Begreifen, was der LOGOS ist! Das ist, als ob die Finsternis das Licht aufnimmt. Licht und Leben, Geist und Liebe, die Sonne selbst ist der Logos. Aber nicht der alte Helios, der mit dem leuchtenden Stern gleichzusetzen wäre, um den unsere Erde kreist, und auch nicht der jüngere Apoll, der Sonnengeist, der den Menschen Weisheit, Wahrsagung und Musik, Tanz, Heilung und den Sinn für Harmonie beibrachte. Der Logos, von dem Johannes spricht, ist in einem noch höheren Sinne die Sonne des Menschen, er ist alles, was ihn lebendig erhält und erleuchtet. Er ist das „Wort, das Fleisch geworden ist“. Er ist Christus.Ikonographisch sind der altgriechische Helios, der persisch-römische Mithras, der klassisch-griechische Apoll und der christliche Christus inander übergegangen. Das frühchristliche Christusbild übernahm Merkmale des in der römischen Welt sehr starken Mithraskultes. Apollon war wegen seiner bekannten Leidenschaft für Knaben und Mädchen als Vorbild weniger geeignet, aber in der Renaissance-, Barock- und romantischen Malerei verfließen die Grenzen. Vom Mithras entlehnte schließlich die Freiheitsstatue von NY den bekannten Strahlenkranz.
Als Sonnengeburt stellt Matis der Maler (genannt Grünewald) den auferstehenden Christus dar (Isenheimer Altar).
Lange vor Johannes dem Evangelisten lebte am selben Ort, in Ephesos, der Philosoph Heraklitos, der als erster dem LOGOS die Stellung einräumte, die er dann im Christentum einnahm. Manche meinen, mit Logos sei das folgerichtige Denken, die Logik, gemeint. Doch nein, das ist die λογική, die sich ableitet von Logos, wie so vieles andere auch. Wie die Philologie (Liebe zum Wort), Biologie, Anthropologie – die Lehre vom Leben, vom Menschen. Wie der Dialog, die Rede (λόγος), die Wörter (λόγια), das Sprechen , das Versprechen, der Grund und die Absicht, das Verhältnis zwischen zwei Größen, die Analogie, und auch die Gelehrten (λόγιοι).. Sie alle sind Ableitungen vom LOGOS, sind aber nicht dieser selbst. Nach Heraklit ist LOGOS das erste bewegende Prinzip überhaupt: Feuer und Liebe. Womit ich wieder nichts gesagt habe. Denn was ist dieses Ur-Feuer? Was ist diese alles hervorbringende Liebe? Es ist der LOGOS. Und der war am Anfang „προς τον Θεόν“ = in Richtung auf Gott.
Den Logos können wir nicht beherrschen, nicht kommandieren, sondern nur empfangen und versuchen zu begreifen. Λαμβάνω (lamvano – ich empfange, begreife) ist daher das Wort, mit dem ich den Buchstaben Λ und das freie Denken demütig verbinde.
Interessant die Freiheitsstatue in diesem Kontext !
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Vor allem nehme ich den Strahlenkranz mit in den neuen Tag. Der letzte Tag des alten Jahres. Danke für deinen „erhellenden“ Bericht. Noch leuchten die Sterne in mein Zimmer…ich lasse die Nacht ausklingen und schicke dir einen Gruß in Richtung Süden. Danke liebe Gerda, dass du mich Anteil nehmen ließest an deinen Prozesses. Ich denke an dich und drücke dich. Bis zum nächsten Jahr. Möge es friedlicher werden. Marie
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Oh, da hat sich doch wieder ein Fehler eingeschlichen…verzeih. „Prozessen“ soll es heißen. Marie
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Wundervoll, liebe Gerda. Was für ein Text mal wieder.
Ach, was verpasse ich nur alles. Aber ich schaffe es einfach nicht, immer und regelmäßig hier zu sein. Der Tag hat viele Stunden und doch komme ich immer wieder ins Hintertreffen mit dem Lesen…
*Liebe und Licht, Lachen, Lernen und Leuchten, Loben und Leben und Lied*
Menschenwünsche, die sich nicht alle erfüllen lassen, doch der eine oder andere Wunsch hat mehr Gewicht, er setzt sich dann hartnäckig durch… *lächel*
Einen guten Start in ein gutes Neues Jahr wünsche ich Dir und den Deinen
Herzlichst Bruni
Ich liebe die Worte und Deine besonders, weil sie mich bereichern
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Ich schreib halt zu viel und zu oft, allerliebste Bruni ;), wer kann das alles lesen! danke dir, dass du es dennoch bisweilen tust und mir so herzerfrischende Kommentare schickst. Meine Segenswünsche sind bei dir. Gerda
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Liebe Gerda,
Mit ergeht es ähnlich wie Bruni.
Deine Beiträge sind randvoll, sie sprudeln von Wissen und der Lust es weiterzugeben, zum freien Denken anzuregen, zum mutigen Träumen. I h begann Dimothiki zu lernen und kann Kyrillisch immer noch teilweise lesen. Bin etwas aus der Übung. Ich mag das L sehr. Es klingt weich und fließend. Um Dein vieles zu würdigen muss ich l wie langsam sein und l wie langduldig mit mir. Denn wo ein Logos ist, da sind auch Lernliebe und Loslebigkeit und Leuchtlaternen im Dunkel der Vergangenheit. Du lässt sie aufsteigen wie das Lambda.
Herzliche Grüße von der Fee✨
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Liebe Fee, danke für deine lieben Worte, Langsam oder schnell, das El.ist ein lustiger Gesell, man kann es sich auf der Zunge zergehen lassen. lecker, lustvoll, lachend, leicht. Dir einen lebhaft-lockeren Tag wünschend. Gerda
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L wie Leichtigkeit. Eins meiner deutschen Lieblingswörter möge Deinen Tag begleiten, liebe Gerda…
💫
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Liebe Gerda,
ich wünsche Dir einen guten Rutsch und ganz viel Gesundheit, Glück, Frohsinn und eben, wie Jeannette zu sagen pflegt, das Allerbeste!
❤Grüße Babsi
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das Allerbeste auch dir, liebe Babsi!
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Liebe Gerda, nun wird auch für mich der Begriff Logos fassbarer, genau nur fassbarer, noch nicht fassbar, noch nicht durchdrungen, aber sein Leuchten nehme ich jetzt mit durch den Tag.
Hier kommt mein erster Herzensgruss an dich in diesem frisch gebackenem Jahr
Ulli
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deinen lieben Gruß habe ich eben erst gesehen und genossen, danke!
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Pingback: E = Einigung |
Das (alt-) griechische Alphabet ist sehr interessant und ausgesprochen bedeutsam -> https://geschichte-wissen.de/foren/viewtopic.php?f=47&t=7081
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