112 Stufen, 64: Liebeskummer (Friedrich Nietzsche)

Reiner hat ein „Mitmachding“ initiiert. Es geht darum, jeden Tag einen Text zu einem Wort zu posten, das sich auf der Holsteiner Treppe in Wuppertal, verteilt auf 9 Absätze befindet. Es reizt mich, da mitzumachen, allerdings eher nicht mit eigenen Textproduktionen, sondern mit literarischen Assoziationen und Gedichten anderer. Ich bin gespannt, welche Texte, Gedichte, Geschichten jedes dieser Wörter in meiner Erinnerung aufleuchten lässt. All diese Erinnerungen an Gelesenes und im Gedächtnis Aufgehobenes sollen mir einen nachklingenden Teppich weben, den ich über die Stufen lege, um noch einmal hinaufzusteigen.

Die Schnipsel dieses Bildes spendete mir die Berliner Freundin Ruth Lisa Knapp

Liebeskummer – wer kennt ihn nicht? So mancher Dichter hat sich beklagt, dass die Angebetete nicht zur Verfügung stand. So manche Dichterin fand selbstmitleidige Worte, um den Kummer der Versetzten zu beschreiben. Liebeskummer ist offenbar vor allem dies: Selbstmitleid, Wut und Klage, dass ein Idyll sich zerschlug, eine Hoffnung Lügen gestraft wurde, eine Werbung keinen Anklang fand. Man gab sein Herz und mehr hin und sieht sich nun betrogen, ach betrogen!  Verletzt ist das Herz, verloren die Ehre, und man möchte am liebsten sterben.

Für all die Vielen mag das „Lied des theokritischen Ziegenhirts“ stehen, mit dem Nietzsche den leidigen Liebeskummer besingt. Er zeigt das Tragikomische dieses Gefühls, das dem, der davon befallen wird, bitterste Tränen abpresst.  Das Gedicht, wie alle „Lieder des Prinzen Vogelfrei“, wurde 1887 als Anhang der „Fröhlichen Wissenschaft“ veröffentlicht. Es schildert das Leben des Hirten weit weniger idyllisch als der titelgebende griechische Dichter Theokritos, der zwischen 300-260 v. Chr. in Syrakus, Sizilien lebte und als Schöpfer bukolischer Liebeslieder und Schäferidyllen bekannt wurde. (Das Wort „Idylle“ (ειδύλλιο) in seiner heutigen Bedeutung stammt übrigens von ihm.). Durch das realistisch-derbe Hirtenmilieu gelingt es Nietzsche, dem Liebeskummer etwas Lächerliches zu geben und sich von seinen Qualen zu distanzieren

 

Friedrich Nietzsche

Lied eines theokritischen Ziegenhirten.

Da lieg ich, krank im Gedärm, –

Mich fressen die Wanzen.

Und drüben noch Licht und Lärm!

Ich hörs, sie tanzen…

 

Sie wollte um diese Stund

Zu mir sich schleichen.

Ich warte wie ein Hund, –

Es kommt kein Zeichen.

 

Das Kreuz, als sies versprach?

Wie konnte sie lügen?

– Oder läuft sie jedem nach,

Wie meine Ziegen?

 

Woher ihr seidner Rock? –

Ah, meine Stolze?

Es wohnt noch mancher Bock

An diesem Holze?

 

– Wie kraus und giftig macht

Verliebtes Warten!

So wächst bei schwüler Nacht

Giftpilz im Garten.

 

Die Liebe zehrt an mir

Gleich sieben Übeln, –

Nichts mag ich essen schier.

Lebt wohl, ihr Zwiebeln!

 

Der Mond ging schon ins Meer,

Müd sind alle Sterne,´

Grau kommt der Tag daher, –

Ich stürbe gerne.

https://gerdakazakou.com/wp-content/uploads/2017/08/img_2012.jpg

Ziegenherde bei Karitaina/Arkadien, Griechenland

 

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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3 Responses to 112 Stufen, 64: Liebeskummer (Friedrich Nietzsche)

  1. Liebeskummer lohnt sich nicht – gab es mal einen Schlager
    mit Tränen ging es weiter, aber ich habe den Text nicht mehr parat…

    Eines weiß ich aber, gegen echten Liebeskummer ist kein Kraut gewachsen, auch nicht, wenn der Ziegenhirt bei seinen Ziegen wacht *g*

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