Berlin, Episode 4: Im Humboldforum (ethnologische Sammlungen Ozeanien, Afrika)

Eine professionelle Führung durch die ozeanischen und afrikanischen Sammlungen hat uns geholfen, uns nicht in der Unüberschaubarkeit der Exponate zu verirren. Schwerpunkt war Ozeanien, von dessen Inselwelten ich kaum eine Ahnung habe.  Da Segeln zu meinen frühen Leidenschaften gehörte, freute ich mich, einiges Neue über die Erfindung des beweglichen Segels zu erfahren, und staunte nicht schlecht, welche ungeheuren Weiten die Inselbewohner mit ihren handgearbeiteten Booten durchquerten.

Die Ausstellungsflächen sind großzügig bemessen, die einzelnen Exponate kommen schön zur Geltung, alles wird schön erklärt und eingeordnet, und ich weiß nun auch, wo auf der unendlichen See ich Melanesien, Mikronesien oder Polynesien zu suchen habe: in den blauen Weiten nördlich und östlich von Australien.

Ich werde gar nicht erst versuchen, mein neues völlig fragmentarisches Wissen hier auszubreiten. Denn sicher ist es nicht ohne Interesse zu erfahren, dass die Kaurimuscheln, die den „Mandu Yenu“-Thron aus Kamerun bedecken, von den fernen ozeanischen Inseln herangebracht wurden und so wertvoll wie Gold waren – die Glasperlen kamen aus Europa -, und auch, dass dieser Thron (schon habe ich vergessen für wen) gefertigt aber nie benutzt wurde und schließlich von König Njoya von Bamum dem Kaiser Wilhelm II zum Present gemacht wurde – all das ist sicher gut zu wissen, zumal die Verantwortlichen Wert darauf legen, keine geraubten Dinge zu zeigen, nein, dieser Thron war ein Geschenk und kam ordentlich mit diplomatischer Post in Berlin an, direkt an die Adresse des kaiserlichen Empfängers, hier, wo einst sein Schloss stand.

Ein nettes Geburtstagsgeschenk, weiter nichts. Wie charakteristisch dieser Thron für die Throne der Herrscher von Kamerun war, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nämlich gar nichts über Kamerun. Du?

Dass ich nichts über Kamerun weiß, fiel mir zufällig am Vormittag desselben Tages auf, als mein Sohn und ich auf dem Weg zu Susannes  Atelier durch eine Stadtgegend neben der Charite spazierten, deren Straßen die Namen afrikanischer Länder tragen. „Kamerunstraße“, las ich und fragte „Weißt du, wo Kamerun liegt? Ich glaube, das hat eine Rolle in der deutschen Kolonialgeschichte gespielt“. Mein Sohn wusste es auch nicht und googelte ein bisschen, und so sahen wir uns überrascht und belustigt an, als wir von der Herkunft dieses Thrones erfuhren. 

Ich weiß auch jetzt nichts Nennenswertes über Kamerun oder die anderen „Schutzgebiete“, die den rohstoffhungrigen Deutschen von den anderen europäischen Raubtieren, die Afrika unter sich aufgeteilt hatten, widerwillig eingeräumt wurden. Kaurimuscheln waren es wohl weniger, was sie in Afrika zu fördern hofften. Und Geschenk hin oder her: es ist und bleibt eine düstere Geschichte, die Europas Glanz und Glorie begründete.

Und da bin ich dann auch bei dem Thema, das mir im Humboldtforum, trotz des ehrenwerten Versuchs, die koloniale Geschichte transparent zu machen, völlig zu fehlen scheint: Was hat Europa – mal abgesehen von den ethnologisch interessanten Schätzen -profitiert? Was hat speziell Preußen bzw Deutschland profitiert?


Wir sind uns zunehmend bewusst, welche Schäden wir den überfallenen und beraubten Kulturen verursacht haben. Manche reden von Wiedergutmachungen für besonders schwer betroffene Völker, etwa die abgeschlachteten Hereros. Da heißt es dann: okay, ja, aber die Briten, die Franzosen, die Spanier…..? Das ist die eine mit Schuldgefühlen stark belastete Seite.

Diese Herangehensweise halte ich für eine Sackgasse, denn Schuldgefühle verkrüppeln und helfen niemandem. Mir geht es um eine andere Sichtweise: Sind wir uns auch des Nutzens, den die Ausbeutung fremder Völker für uns selbst bedeutet, bewusst? Wo stünden die europäischen Völker heute ohne die Unterwerfung des Rests der Welt, den wir neuerdings den „globalen Süden“ nennen?

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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27 Responses to Berlin, Episode 4: Im Humboldforum (ethnologische Sammlungen Ozeanien, Afrika)

  1. Avatar von Linsenfutter Linsenfutter sagt:

    Das war sicher ein tolles Erlebnis. LG Jürgen

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  2. Avatar von lenkasause lenkasause sagt:

    Gute Fragen 🤝 Europa wäre nie da, wo es jetzt ist, ohne die Ausbeutung und Versklavung der Menschen im globalen Süden, und da muss man leider gar nicht zurück in die Vergangenheit gehen…

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Sehr richtig. Ich hätts halt gern etwas Analytischer, mit derselben Sorgfalt, mit der die Herkunft des Throns und seines Dekors dokumentiert wird. Was genau wurde (zB) in Kamerun gefördert? Wer profizierte davon in erster Linie? Wer waren die unmittelbaren Täter? Zu nennen wären etwa der Industrielle Adolph Woermann (1847-1911) oder der Gouverneur Karl Theodor Heinrich Leist (1859-1895) oder die Besitzer von Kakao-, Zuckerrohr- und Kautschukplantagen, die Konzessionsnehmer für den Abbau von Eisenerz, Bauxit und Aluminium, Gold und Diamanten.

      Deutschland war ja ein Spätkömmling bei der Landnahme, traf auf teilweise heftigenWiderstand der einheimischen Führungseliten und verlor seine Kolonien bald wieder, aber selbst so hat es vermutlich tüchtig profitiert. Allein Kamerun war flächenmäßig mit dem Kaiserreich gleich!
      Nun, man soll voneinem ethnologischenMuseum auch nicht zu viel verlangen….

      Kennst du das Anti-Koloniallied von 1898 „Was treiben wir Deutsche in Afrika“? „Wir haben gar ’schneidige‘ Missionär, juchhei!
      Den Branntwein, den Krupp und das Mausergewehr, die drei!
      So tragen ‚Kultur‘ wir nach Afrika.
      Geladen! Gebt Feuer! Halleluja! (…)
      O glückliches Afrika!“

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      • Avatar von lenkasause lenkasause sagt:

        Ja, wenn des alles so detailliert ausgeführt wäre, würd ich so ein Museum vielleicht auch mal besuchen!

        Das Lied kenn ich nicht, klingt aber gut! Duckduckgo ich gleich mal 🙏

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  3. Avatar von Myriade Myriade sagt:

    Wenn in Europa keine geraubten Kunstschätze ausgestellt würden, wären viele Museen sehr leer. Dass es dem Humboldtforum gelingt, nur geschenkte oder gekaufte Objekte auszustellen, wage ich zu bezweifeln. Man hatte damals als europäischer Reisender, Missionar, Soldat etc sehr eigene Vorstellungen von Besitzverhältnissen. Andererseits wären sehr viele dieser Kunstschätze auch zerstört worden, wären sie am Ort ihrer Entstehung geblieben.Man denke nur an die Taliban, die alles zerstören, was ihren fanatischen Vorstellungen widerspricht. Ein sehr heikles Thema zumal es immer wieder Bewegungen gibt, die die Rückgabe von Objekten fordern

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Das Humboldtforum bemüht sich um Transparenz und dokumentiert daher genau, woher die Exponate jeweils kommen. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Dass fremde Kulturen nicht nur durch Europäer zerstört wurden, ist völlig klar. Aber was hat die Barbarei der Taliban mit der aufgeworfenen Frage zu tun? Diese Art der Abwägung relativiert alles und jedes.

      Ich bin übrigens durchaus nicht der Ansicht, dass alles Geraubte an die Herkunftsländer zurückgegeben werden muss. Es kommt auf die identitätsstiftende Bedeutung des Gegenstandes an. Hilft er, der Bevölkerung des beraubten Gebietes eine kulturelle Identität zu finden oder eine verlorene wieder herzustellen? Dann ja. Die Rückgabe des Parthenon-Frieses durch das Britische Museum an Griechenland wäre ein solcher Fall. Ein wenig überzeugendes Beispiel wäre die kürzliche Rückgabe der Bronzen von Benin durch die Preußische Kulturstiftung, die in einer privaten Sammlung landeten.

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      • Avatar von Myriade Myriade sagt:

        Die Taliban haben haufenweise Kunstschätze zerstört, weil sie sie als unislamisch einstuften. Wären diese Objekte in zB europäischen Museen gestanden, gäbe es sich noch. Aber wie gesagt, es ist eine sehr heikle Frage …

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      • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

        Sicher, die Europäer gehen deutlich pfleglicher mit ihren Raubgütern um als so manche Ureigentümer. Sogar im Kriegsfall passen sie höllisch auf, dass ihren Schätzen nichts Böses geschieht. Und auch noch lange nach Beendigung von Kriegshandlungen gibt es ein Hin und Her und einen Streit darüber, wer wem was zurückerstatten muss. Bei Sachwerten ist man deutlich genauer als bei den Entschädigungen für Menschen und Infrastruktur, die solchen Kriegshandlungen zum Opfer fielen. Die Kunstwerke gelten als unersetzbar, die Menschen als ersetzbar.

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      • Avatar von Myriade Myriade sagt:

        Etwas überzeichnet würde ich sagen …

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  4. Das eine waren der wirtschaftliche Austausch, am bekanntesten vor allem Dank Gandhi am Beispiel Indien: Wir nehmen mit, was wertvoll ist und geben euch, was wir billig fabrizieren (in dem Fall Kleidung). Und verdienen doppelt. Dafür bauen wir aber auch eine Eisenbahn (wie sollte man das sonst alles transportieren). Es wird überall ähnlich gewesen sein.
    Das ist die Vergangenheit. Oft genug aber vielleicht nicht ausreichend beleuchtet. Doch wie sie auf das Heute wirkt und das Heute aussieht, das ist eine andere Frage! Zum Beipiel die bekannte Tatsache, dass die EU u.a. Hühnchen nach Afrika exportiert und die einheimsichen Landwirkte unterbietet, die bankrott gehen, in die Städte abwandern und dann weiter…
    Es ist nicht vorbei.

    Was die Rückgabe anbelangt bin ich einerseits dafür, erst einmal uneingeschränkt. Allerdings würde ich mir doch wünschen, dass qualitativ ansprechende Kopien angefertigt werden, damit die Sammlungen nicht verschwinden und, wer irgend etwas anschauen will oder gar in Bezug setzen (wie am Beispiel Ozeanien zu sehen) auf der Welt herumreisen muß, was sich keinesfalls jeder und jede Schulklasse leisten kann!

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      im Prinzip bin ich dafür, solche Themen „auf Augenhöhe“ zu verhandeln. Die Rückgabe kann zB durch dauernde Leihgaben abgemildert werden, die auch im Interesse des neu-alten Besitzers sind. Schwierig ist es, die Rückgabe einzig an die Lokation der Herstellung zu koppeln, ohne die Völkerwanderungen, neuen Grenzziehungen etc in Rechnung zu stellen. (Der Altar von Ephesos ist zB kein türkisches Kulturgut). Wichtig ist, dass das Thema nun offen diskutiert wird.

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      • Augenhöhe wäre gut. Aber wer ist dazu geeignet? Gewiß nicht die diversen, zu diplomatischer Rücksichtnahme verpflichteten Außenministerien. Wer also sonst? Reiche Privatsammler etwa? Das wäre das allerletzte, die reißen sich schon die Dinosaurier unter den Nagel…

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  5. Avatar von Verwandlerin Verwandlerin sagt:

    Danke für diese tollen Einblicke!

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  6. Avatar von Chrinolo Chrinolo sagt:

    Deine Berlin-Beiträge sind einfach toll. Es ist so interessant, sie zu lesen -ich genieße es richtig! Danke dafür 🥰

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  7. Wo hätten die Han-Chinesen gestanden, ohne die Unterwerfung der anderen Völker auf dem ostasiatischen Erdteil? Wo die Inder, ohne die Unterwerfung des heutigen Afghanistans, Pakistans und Suediran? Wo die Russen, ohne die Unterwerfung der Völker Sibiriens, des Nordkaukasus und Westasiens?

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      ja, genau! Wo? Ist also der Fortschritt der zivilisatorischen Entwicklung zwangsläufig mit der Unterwerfung und Ausplünderung der jeweils schwächeren Teilnehmer am unerbittlichen „Kampf ums Dasein“ verbunden? In welchem Maße ist das auch heute der Fall? Gibt es auch Beispiele für Win-Win-Kooperationen? Sind sie künftig denkbar, vielleicht sogar die Regel?

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    • Das war ja ursprünglich die Idee der russischen Kommunisten: ein gleichberechtigter wirtschaftlicher Austausch zwischen den Nationen. De facto ist es jedoch auf eine wirtschaftliche Ausbeutung der, der UDSSR in Kooperationsverträgen angeschlossenen, Staaten herausgelaufen. Deshalb ja der ii n der DDR geläufige Witz: Fragt ein Russe einen Deutschen: „Wollen wir brüderlich teilen?“ Antwort des Deutschen: „Lieber machen wir Halbe Halbe…!“ ;-)))

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      • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

        Klappt ja nicht mal in Familien, das christliche Teilen. 😉

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      • Stimmt! 🙂 Allerdings darf man nie vom zwischenmenschlichen Niveau 1:1 und vereinfachend auf gesellschaftliche Mechanismen, geschweige denn zwischenstaatliche schließen. Das ist ja das, was Rechtsradikale so gerne machen, mit eingängigen, einfachen Pseudo-Wahrheiten kommen.

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  8. Von China sieht man übrigens Dasselbe. Der Vertrag, den der Iran unter dem Druck der von der UNO verhängten und von den USA ab Trump verstärkten Sanktionen mit China abgeschlossen hat, ist nichts anderes als ein Knebelvertrag, der das Land auf mittlere Sicht in das Eigentum Chinas überführen wird. Gleiches gilt für Sri Lanka und ist für Peru zu befürchten.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Mit Rechtsradikalen und deren Argumentation bin ich nicht so vertraut, aber dass mein Kommentar ein Scherz war, hast du ja verstanden.

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      • Ja, klar. Da in Europa aber ein rechtsradikaler Regierungschef nach dem Anderen gewählt wurde, kann man nicht genug Hinweise geben, mit welchen Tricks sie Wähler anlocken.

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Da sind gar keine Tricks nötig. Die laufende Politik treibt die Wähler hin.

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      • Ist das so? Hab mir die Gründe angeschaut, warum Amerikaner, vor allem Latinos Trump gewählt haben. Musste feststellen, dass sie nicht verstehen, wie Wirtschaft funktioniert. ZB. hat Trump viele Wähler überzeugt mit seiner Ankündigung, die Zoelle zu erhöhen. Also dachten Viele: Prima für mein Geschäft, weil weniger Konkurrenz. Dass damit aber ihre eigenen Einkaufspreise genauso ansteigen und sie Kunden verlieren, wenn sie diese Kosten versuchen weiterzugeben, haben sie nicht bedacht/verstanden. Dass 1/4 bis 1/5 aller Agrarprodukte aus Mexiko kommen, bedeutet, dass bei Zöllen von 20% die ohnehin dank der – bereits in der ersten Trumpaera verfügten Zoelle -stark gestiegenen Lebensmittelpreise noch weiter steigen werden. Das dürfte die traditionell grossen Familien der Unter- und Mittelschicht, der Latinos und des Mittleren Westens hart treffen. Also geschieht für die genau das Gegenteil von dem, was sie sich von Trump erhofft haben – aufgrund seiner Zoelle-Erzaehlung: einfache ‚Wahrheit“, nichts als ein Trick.

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  9. Schmutzige Vergangenheiten …

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