Impulswerkstatt: Bild 1 und 4 als Verbindungsübung.

 

Diese beiden Bilder deiner Impulswerkstatt Juli-August 2024, liebe Myriade, riefen mir laut zu: wir gehören zusammen! Aber wie kann das sein?

Das erste zeigt mir eine verstörende in verschiedene Organe zerfallene düstere Welt, die von einem unguten Geist „inspiriert“, organisiert und zusammengehalten wird. Das zweite Bild zeigt ein Gesicht, das je nachdem Zeugin oder Opfer von schwersten Misshandlungen und Manipulationen wurde.

Durch Collage probierte ich drei Interpretationen deines Bildes aus. Und lasse das Gesicht sprechen.

(1) Die Zeugin.

Es war eine Zeit, da herrschte tiefe Nacht über Europa, denn ein Ungeheuer hatte die Macht ergriffen. „Die Vorsehung hat mich ausersehen, über euch zu herrschen“, brüllte es. „Hurra!“ und“Heil“ schrien die Massen. DasUngeheuer zerriss alle Verträge zwischen Himmel und Erde, und auch die, die die Menschen untereinander geschlossen hatten. Es zerriss alle gewachsenen Bindungen, zerteilte und zerstückelte nach Rassen, Geisteshaltungen, Geschlechtern und warf die Stücke hier und da hin. „Ihr“, so ließ es über seine Sprecher verlauten, „seid das Material und die Erfüllungsgehilfen für eine neue Weltordnung. Ich aber bestimme die Gesetze dieser Weltordnung.“

So entstand eine fürchterliche Welt-Unordnung. Ich bin eine Überlebende jener Zeit. Und ich sage euch: Lasst euch nicht erneut auseinanderdividieren und gegeneinander hetzen und zerstückeln! Lasst euch nicht erneut betrügen! 

(2) Das willige Opfer.

Die Welt ist in Stücken. Alle gewachsenen Bindungen sind zerrissen. Mein Kopf weiß schon lange nicht mehr, wo mein Herz sitzt, und dieses kennt nicht meinen Arm, mein Bein, meinen Bauch. Bin ich Mann? Bin ich Frau? Wer hält mich? Wem darf ichvertrauen? Wie soll ich mich zurechtfinden? Wie leben?

Zum Glück gibt es eine Kraft, die alles zusammenhält, die uns dirigiert und uns die rechten Wege zeigt. Tagtäglich gibt sie mir Ihren Anweisungen. Sie zeigt mir, was zusammengehören darf und was getrennt bleiben muss. Sie verfügt eine Ordnung, und ich folge ihr. Habe ich denn eine andere Wahl? Denn ich fürchte mich, ich bin allein und hilflos. Ohne sie würde alles in Stücke fallen, und wir alle würden in der tiefen Nacht versinken, die sich schon ausbreitet.

(3) Der neue Mensch.

Man fand mir einen neuen Körper, nachdem der alte unbrauchbar wurde. Noch ist die Verpflanzung nicht abgeschlossen, aber schon schöpfe ich Hoffnung. Ich werde wieder leben! In meinen Adern wird junges frisches Blut fließen, ich werde wieder lachen und lustig sein. Meine alten Gedanken – ade! Die alten Gesetze – was scheren sie mich? Sie sind jetzt zerrissen. Neue Gesetze gelten in der neuen, von intelligenten Menschen gemachten Welt. Was nicht taugt, wird ausgesondert und durch Brauchbares ersetzt.  Keine zufälligen Geburten mehr, keine unerwünschten Todesfälle, keine angeborenen Behinderungen, keine Deppen mehr! So sprengen wir die Fesseln der Natur und werden unsterblich.

Dies ist ein Beitrag zur neue Runde „Impulswerkstatt“ von Myriade

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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19 Responses to Impulswerkstatt: Bild 1 und 4 als Verbindungsübung.

  1. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Das ist schon alles sehr düster, liebe Gerda. Aber nun, es gibt ja auch viel Düsteres in der Welt, auch das muss Ausdruck und Platz haben. Ich gestehe, dass gerade das darzustellen mir immer wieder noch schwer fällt.

    Das mittlere Bild und der dazu gehörige Text sollen vielleicht noch etwas Hoffnung schenken, aber ich lese auch hier nur Schwere.

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  2. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Oh, ist mein Kommentar jetzt futsch? dann soll es so sein!

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  3. Avatar von Myriade Myriade sagt:

    Ja, es ist extrem düster, so kommt es mir gar nicht vor, aber was für eine geniale Idee das Gesicht, mit all der Erfahrung und Desillusionierung aber sicher auch mit Glücksmomenten an verschiedene Stellen dieses seltsamen Bildes zu setzen und die Lage jeweils neu zu interpretieren. Ein toller Beitrag, gefällt mir sehr gut, wenn ich auch weder die Verzweiflung in Teil 2 noch den Zynismus in Teil 3 so nachvollziehen kann. Liebe Grüße und vielen Dank !

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  4. Sehr beeindruckend, wie Du die beiden Bilder miteinander kombiniert hast. Es ist wahr, anfangs stellte ich mir die Frage, wie sie nur irgendwie zusammenpassen könnten. Gut gemeistert!

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Danke, lieber Wortschmied! Bei mir flossen die Bildeindrücke sofort zusammen und ich brauchte nur noch eine Form zu finden.

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      • Manchmal ist das so 🙂 Und deswegen mag ich die Impulswerkstatt! Ich finde das sehr faszinierend, wie aus vier Bildern so völlig unterschiedliche Werke und Inspirationen entstehen können.

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      • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

        Ja! Sogar bei sehr engen Formaten wie dem „Dienstags-Drabble“ (Puzzleblume) ist die Bandbreite der produzierten Texte enorm. Ich mache übrens gelegentlich Wortaufstellungen, und da zeigt sich, dass sogar Wörtchen wie „und“ oder „es“ bei jedem Menschen je nach Seelenverfassung unterschiedliche Bedeutungen annehmen.

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      • Spannend wie kleine, alltägliche Worte eine Bandbreite an völlig verschiedenen Emotionen zutage bringen können! Es zeigt sehr gut, dass selbst im Kleinsten manchmal nicht nur Welten, sondern Galaxien zwischen uns liegen können.

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      • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

        Ja. Aber wir schwingen dennoch alle in einem gemeinsamen Raum. Und so ist Verständigung möglich.

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  5. Avatar von finbarsgift finbarsgift sagt:

    ich bin sehr beeindruckt, liebe gerda …. toller beitrag!
    herzlich, lu finbar

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  6. Ein irre guter Artikel, liebe Gerda!

    • Das Ungeheuer zerriss alle Verträge zwischen Himmel und Erde

    Ja, so war es und darf nie mehr so sein! Es hätte nie passieren dürfen, wo war da die Ordnung, die uns zusammenhält? Wo war die Menschlichkeit geblieben?

    Ich weiß, daß es sie immer noch gab und weiter gibt, aber zu vieles zwängte sich in die meisten Herzen und wo Angst regiert, ist das Mitfühlen und Helfen schwer.

    *Was nicht taugt, wird ausgesondert und durch Brauchbares ersetzt.*

    Nein, nein, und nochmal nein! Und wiedergeboren als eine, die ich nie war, das mute ich mir nicht zu. Also keine Wiedergeburt und kein ewiges Erdenleben.
    Hier würde die Menschlichkeit mit Füßen getreten und jegliches Mitfühlen bliebe auf der Strecke.

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  7. Bitte im spam gucken, Gerda. Ich vermute meinen Kommi dort, denn hier sehe ich ihn nicht mehr

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