Tagebuch der Lustbarkeiten: Asphodelenblüte

Überall an den Wegrändern und auf felsigem Grund blühen jetzt die Asphodelen (Affodill). Hohe harte Stauden sind es, deren weiße Blüten im Gegenlicht zart durchsichtig werden. Ihr Name ist eng verbunden mit dem Hades, denn auf der Wiese quasi im Vorraum der Unterwelt blühen sie in großen Mengen, drum nennt man den Ort  ἀσφόδελος λειμών, Asphodelengrund. Hier haben nach dem Ableben die meisten Toten eine ephemere Existenz als Schatten, bis sie sich ganz verflüchtigen. Denn nur wenige geraten an den Ort ewiger Verdammnis (Tartaros) und noch weniger nach Elysion, der Insel der Seligen.Den meisten ist ein leichter Übergang hin zum ewigen Vergessen beschieden. So sahen es die „alten“ Griechen.

Ich wanderte heute durch den sinkenden Abend, die weißen Wolkenberge über dem Horizont des Meeres verfärbten sich an den Rändern golden.  Der neue Sichelmond stand hoch am Himmel, und letzte Sonnenstrahlen verfingen sich in den weißen Blüten und ließen sie aufflammen.

I Wandered Lonely as a Cloud

By William Wordsworth  (1770-1850)

I wandered lonely as a cloud

That floats on high o’er vales and hills,

When all at once I saw a crowd,

A host, of golden daffodils;

Beside the lake, beneath the trees,

Fluttering and dancing in the breeze.

 

Continuous as the stars that shine

And twinkle on the milky way,

They stretched in never-ending line

Along the margin of a bay:

Ten thousand saw I at a glance,

Tossing their heads in sprightly dance.

 

The waves beside them danced; but they

Out-did the sparkling waves in glee:

A poet could not but be gay,

In such a jocund company:

I gazed—and gazed—but little thought

What wealth the show to me had brought:

 

For oft, when on my couch I lie

In vacant or in pensive mood,

They flash upon that inward eye

Which is the bliss of solitude;

And then my heart with pleasure fills,

And dances with the daffodils.

 

Meine provisorische Übersetzung:

Ich wanderte wie eine einsame Wolke, die über Täler und Hügel dahingleitet, als ich plötzlich eine Menge, eine Ansammlung von goldenen Asphodelen erblickte. Neben dem See, unter den Bäumen funkelten und tanzten sie im Lüftchen. Wie die Sterne, die in der Milchstraße funkeln und glänzen, dehnten sie sich kontinuierlich in einer nicht enden wollenden Linie entlang dem Rand der Bucht. Zehntausend sah ich mit einem Blick, wie sie ihre Köpfe in spritzigem Tanz umherwarfen. Die Wellen neben ihnen tanzten, aber sie übertrafen die glitzernden Wellen an Freude. Ein Dichter konnte nicht anders als fröhlich sein in solch heiterer Gesellschaft. Ich schaute und schaute und hatte keine Ahnung, welchen Reichtum mir dieses Schauspiel gebracht hatte. Denn oft, wenn ich auf meiner Couch liege in leerer oder nachdenklicher Stimmung, leuchten sie in meinem inneren Auge auf, das der Blizz der Einsamkeit ist. Und dann füllt sich mein Herz mit Vergnügen und tanzt mit den Asphodelen.

(Wahrscheinlich hatte Wordsworth eher Narzissen als Asphodelen im Sinn, denn letztere gibt es nur im Mittelmeerraum, den er nicht besuchte, so weit ich weiß. In anderen Übersetzungen fand ich „Osterglocken“ und „Narzissen“. Dennoch kam mir dieses Gedicht gerade recht, um meine jährlich wiederkehrende Freude an den Affodill-Wiesen zu besingen).

(ps: Ich sah eben, dass „Daffodils“ tatsächlich „Narzissen“ bedeuten, die Affodills/Asphodelen klingen halt sehr ähnlich, so dass ich sie verwechselte).

 

 
 

 

Avatar von Unbekannt

About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Dichtung, Fotografie, Leben, Mythologie, Natur, Psyche, Tagebuch der Lustbarkeiten abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

14 Responses to Tagebuch der Lustbarkeiten: Asphodelenblüte

  1. Diese Blüten sind traumhaft schön, und die Abendstimmung war sicher wunderbar. Wunderschön ist auch das Engl. Gedicht über die „daffodils“ ich glaube, das sind Primeln/“Himmelschlüssel“. 🙏🌷🧚🌟

    Like

  2. Narzissen waren gemeint bzw. „Osterglocken“ und die tanzen vor Freude über die Auferstehung JESU CHRISTI von den Toten.🙏💛

    Like

  3. Avatar von Johanna Johanna sagt:

    Ja es wird sich um die wilden Osterglocken gehandelt haben (leuchtend gelb, etwas kleiner, schlanker als die Herkömmlichen, mit einer langen Trompete 😅) die man hier in England in den Wäldern finden kann …

    Like

  4. Avatar von Ola Ola sagt:

    wunderschöne Blüten

    Like

  5. Avatar von ulfurgrai ulfurgrai sagt:

    Vielen Dank für diesen erhellenden Beitrag, liebe Gerda! Jetzt weiß ich endlich, was es mit der Asphodelenwiese auf sich hat, die Gottfried Benn (ich glaube mehrmals in seinen Werken) heraufbeschwört (ich habe seine Gedichte gerade nicht zur Hand). Auf jeden Fall in seinem Gedicht Tristesse, das so beginnt:

    Die Schatten wandeln nicht nur in den Hainen,
    davor die Asphodelenwiese liegt,
    sie wandeln unter uns und schon in deinen
    Umarmungen, wenn noch der Traum dich wiegt.

    Like

  6. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Auf Gomera zu finden.

    Gefällt 1 Person

  7. Avatar von Unbekannt Anonymous sagt:

    Auf Gomera zu finden

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse eine Antwort zu Anonymous Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..